W&V Techonomics
von 06.05.2024 - 14:33 Uhr   » Zur Webversion
Jochen Fuchs

Jochen G. Fuchs, aka der ‚E-Fuchs‘, sortiert die Ereignisse der Woche aus den Bereichen KI, Tech und Commerce und analysiert daraus das, was wirklich wichtig ist.

Hallo John,

Die Branche beschäftigt sich in dieser Woche mit dem morgigen Apple Event "Let loose", welches mein Kollege Michael Gronau zu Recht als Startschuss für Apples KI-Zeitalter betrachtet.
 
Man hätte in den vergangenen Monaten auf die Idee kommen können, dass Apple den KI-Trend LLMs verpennt hat und an Boden verliert. Der stetige Strom an veröffentlichten Research-Papern lässt sich aber auch so deuten, dass Apple im Hintergrund an einem Produkt arbeitet, das mit einem Paukenschlag aufwarten könnte.
 
Es muss und wird vermutlich nicht gleich “The Next Big Thing” sein. Aber bekanntlich ist Apple ja gerade bei leisen Revolutionen gut. 
 
Das Konzept des Smartphones und des Touch-Displays haben die Kreativen aus Cupertino ja auch nicht unbedingt erfunden, sondern aufgegriffen und zum Erfolg im Massenmarkt geführt. 
 
Das könnte jetzt beim Thema KI wiederholen, denn wie Michael in unserer Vorschau auf das Apple Event erklärt, kommt voraussichtlich mit dem KI-Chip M4 und dem Apple Pro der Startschuss für Apple ins KI-Zeitalter . Eine bessere Siri könnte kommen. Das würde ich begrüßen, denn, wie meine Tochter gestern treffend sagte: Siri und Alexa sind einfach dumm.
 
In meinem Techonomics-Artikel werfe ich in dieser Woche einen Blick auf  Menschen, die mit KI-Charakteren chatten, ihre Sorgen teilen, streiten, flirten und sich anscheinend sogar in die künstlichen Persönlichkeiten verlieben. Und was macht die Branche? Support-Chatbots einrichten, die Retouren und Beschwerden abwickeln. Yeah!
 
Statt Steve Jobs im Online-Apple-Store zu replizieren, der dir mit seiner Original-Stimme und als Avatar die Vorzüge des neuen iPhones erklärt und gleichzeitig mit dir als Beatles-Fan über die letzte Beatles-Single plaudert.
 
Wie es besser gehen könnte, liest du unten in meinem Artikel "Der KI-Chatbot, dein persönlicher Freund und Verkäufer".
 
Diese 3 Meldungen solltest du kennen
Das erwartet dich in unseren W&V Highlights (Member)
  • Apple am KI-Wendepunkt
  • Der EU AI Act und seine Folgen für die Kreativindustrie
  • Ausgepackt: Ist der Rabbit R1 das KI-Gadget, das alles verändert?
  • 8 Mythen: Worauf Unternehmen bei Data Driven Marketing hereinfallen
 
Viel Spaß beim Lesen
Dein
Jochen G. Fuchs

Jochen G. Fuchs

 
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Der KI-Chatbot, dein Verkäufer zum Verlieben
 
Bild 1
Ein freundlicher KI-Verkäufer-Chatbot. (Grafik generiert von Dall-E durch Jochen G. Fuchs für W&V.)
Im lauten Getöse des Schlagabtauschs der KI-Anbieter um technische Daten wie Kontext-Längen und Parametern geht ein Aspekt fast unter: dass wir Menschen dazu neigen, Dinge zu vermenschlichen. Weltweit chatten Menschen mit KI-Chatbots, die Persönlichkeiten emulieren. Sie teilen ihre Sorgen, streiten, flirten und verlieben sich anscheinend sogar in die künstlichen Persönlichkeiten. Und was macht die Branche? Support-Chatbots einrichten, die Retouren und Beschwerden abwickeln. Gähn. Da geht doch mehr.
 
Der tanzende Kerzenleuchter aus Disneys „Die Schöne und das Biest“, kann buchstäblich ein Lied davon singen, dass wir Dinge vermenschlichen. Und diese Angewohnheit macht vor KI keinen Halt. Das kann einerseits gefährlich und irritierend sein, andererseits ist die Vermenschlichung ein Faktor, den Marketing und Handel sich gewinnbringend zunutze machen können.
 
Vermenschlichung der KI, KI-Dating und was Handel und Marketing davon haben
Gefährlich ist es, wenn wir in Industrie und Medien der KI durch Metaphern und Bilder schon jetzt stellenweise unterstellen, zu „denken“, zu „handeln“ oder Intentionen zu verfolgen. Gefährlich, weil es reiner Blödsinn ist, der ein falsches Bild erzeugt. Eine KI denkt nicht, hat keine Absichten und Intentionen. Solche Bilder verzerren die Wahrnehmung und die Erwartungen an die Technologie.
 
Die Idee hinter den Metaphern ist es vermutlich, eine Nähe zur Technologie zu schaffen und emotionale Barrieren abzubauen. Eigentlich ist das gar nicht mehr nötig. Die sprachliche Eloquenz der aktuellen Chatbots auf Basis der großen LLMs kann schnell dazu führen, dass man sich fühlt, als würde man mit einem Menschen sprechen. Nein, nicht nüchtern-technokratisch klingende Bots wie ChatGPT. Sondern die Bots der KI-Anbieter für anthropomorphe Chatbots wie Replika, Character.AI oder Crushon.ai. Es gibt einen existierenden Markt für KI-Dating-Apps. Die helfen nicht etwa beim Daten, sondern stellen einen KI-Bot oder gar eine gigantische Auswahl an KI-Charakteren zu Verfügung, von freundlich-hilfreich bis erotisch-erregend.
 
Stöbert man in den Facebook- und Reddit-Threads der User-Groups und Anbieter, dann stößt man schnell auf Nutzer:innen, die viel Zeit mit ihren Chatbots verbringen und auch emotionale Bindungen an diese entwickeln. Updates der zugrundeliegenden, speziell trainierten KI-Modellen sowie der Guard-Rails und Filter können innerhalb einer solchen Kundenbasis zu gewaltigem Aufruhr führen, wenn der Chatbot sich nicht mehr so verhält wie gewohnt. Oder gar den Sex verweigert.
 
Obwohl faktisch noch keine Chatbots den Turing-Test vollständig bestanden haben, haben Anbieter wie Replika es geschafft, den Chatbots Persönlichkeit zu verleihen. Sie speichern persönliche Daten über ihre Nutzer:innen, um sie im späteren Verlauf wieder hervorzuholen und so die glaubwürdige Illusion zu erzeugen, dass sie die Nutzer:innen kennen. Sie entwickeln personalisierte Gesprächsroutinen, die charakterliche Eigenschaften von Menschen nachahmen.
 
Das ist einerseits reine Unterhaltung, aber andererseits sprechen sowohl Anbieter als auch Wissenschaft ebenfalls von möglichen therapeutischen Wirkungen im Falle von speziellen mentalen Konditionen und Problemen. Seine Probleme und Sorgen bei einem nicht wertenden Gesprächspartner abzuladen, erinnert ja irgendwie an die heilende Wirkung eines Tagebuchs. Nur, dass das Tagebuch jetzt antwortet. Negative Effekte werden auch vermutet, Menschen könnten vollends in der virtuellen Welt versinken und menschliche Kontakte noch weniger pflegen. Das ist allerdings auch eine Sorge, die so alt ist wie das Internet. Vermutlich noch älter, irgendwer wird bei der Erfindung des Telefons schon Angst gehabt haben, dass die Menschen sich jetzt nicht mehr gegenseitig besuchen.
 
Schafft euch den perfekten, freundlichen Salesbot
Ich habe früher als Verkäufer gearbeitet. Zu Stammkunden habe ich schnell eine persönliche Beziehung aufgebaut – oder zumindest die Illusion einer persönlichen Beziehung. Einige persönliche Informationen helfen beim Verkaufen: Welche Marken bevorzugt jemand, ist er oder sie eher sportlich oder elegant, bevorzugt das Meer oder die Berge? Aber auch wie die Kinder heißen oder zumindest wie alt sie sind, kann hilfreich sein. Das ist eine Menge Information und Menschen kommen irgendwann an ihre Grenzen. Irgendwann werden es zu viele Stammkunden, um sich alle zu merken.
 
Das Problem hat eine KI nicht. Statt dröger Support-Chatbots könnten zukünftig Charaktere für jeden Kunden erstellt werden, die Daten zur Personalisierung in den Gesprächen sammeln, mit weiteren Daten zur Person aus Unternehmensquellen gefüttert werden und so eine persönliche Beziehung zu den Kund:innen aufbauen. Quasi eine Horde personalisierter Verkäufer-Bots, die sich unendlich viele Stammkund:innen merken können. Und nicht nur Outdoor-Artikel empfehlen, sondern auch Touren-Empfehlungen liefern oder ein Schwätzchen über die letzte Nanga-Parbat-Besteigung. Und dabei die Tonalität und Sprachregelung des Unternehmens berücksichtigen.
 
Oder die Marketing-Welt entdeckt die Charakter-Chatbot-Plattformen für sich. Eine AI-Freundin, die sich mit einem Bergsteiger unterhält, könnte sehr glaubwürdig und unterhaltsam Produktempfehlungen für Outdoor-Artikel aussprechen. Noch sind die Welten der nüchternen persönlichen KI-Assistenten und Chatbots und der Charakter- und Dating-KI-Chatbots voneinander getrennt. Sie verfolgen unterschiedliche Ziele und Unternehmenszwecke. Das wird so nicht bleiben, die Potenziale sind meiner Meinung nach zu offensichtlich.
 
Salesbots Charakter zu verleihen führt (gewollt) zu einer Vermenschlichung des Bots, ist also mit Vorsicht zu behandeln. Wie die beleidigten Replika-Nutzer:innen zeigen, die sehr emotional auf Beleidigungen oder unsensiblen Äußerungen der Bots reagieren. Vermutlich braucht es eine ausgewogene Balance zwischen Charakter und Identifizierung als Bot.
 
Flirten sollte der KI-Sales-Bot also bitte lieber nicht, aber wenn er eine Persönlichkeit aufweist und eine Beziehung zu den Kund:innen aufbaut, dann sind wir endgültig im Conversational Commerce angekommen.
 
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