Der Lehman-Moment | Thüringen | Tanzen
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Stimme
des Westens

Moritz Döbler

05. März 2020

Liebe Frau Do,

erinnern Sie sich noch, wie Angela Merkel im Oktober 2008 in einer Fernsehansprache ein großes Versprechen abgab? „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“ Anlass war die Lehman-Pleite, die eine globale Finanzkrise ins Rollen gebracht hatte. Neben der Kanzlerin stand der damalige Finanzminister Peer Steinbrück, und er ergänzte, „dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren“. Längst hat sich gezeigt, dass die folgenden Niedrigzinsen sehr wohl den Wert der Spareinlagen reduziert haben. Schon in diesem Lehman-Moment war klar, dass die beiden ein Versprechen abgeben, das sie im Zweifel nicht halten würden. Trotzdem stiftete ihr Signal Vertrauen. Ähnlich hat es 2012 der damalige EZB-Präsident Mario Draghi gemacht, als er sagte, er werde alles tun, was nötig sei: „Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“ Solche Erklärungen ähneln einem Bluff beim Poker – mit schlechten Karten auf der Hand große Töne zu spucken kann durchaus funktionieren. Unser Wirtschaftsredakteur Georg Winters fordert in einem Essay, dass die Bundesregierung in Sachen Corona ein ähnliches Versprechen abgibt wie damals in dem Lehman-Moment, und benennt weitere denkbare Hilfsmaßnahmen. In der Tat gerät die Wirtschaft gerade in einen unüberschaubaren Abwärtsstrudel und empfinden viele Menschen eine tiefe Verunsicherung. Eines ist sicher: Ein guter Bluff allein wird nicht reichen, um das zu ändern.

Das fängt schon bei vermeintlich kleinen Dingen an. In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron die Beschlagnahme aller Lagerbestände von Schutzmasken bekanntgegeben. Ein solcher Schritt ist im nationalen Pandemieplan in Deutschland zwar auch vorgesehen. Stattdessen verhängte der Krisenstab der Bundesregierung aber lediglich einen Exportstopp für Masken, Handschuhe und andere Schutzkleidung. Ja, klar, es wäre schon absurd, wenn China die in China produzierten Masken in Deutschland aufkaufen kann und die Menschen hier dann ohne Schutz wären. Aber nun kauft NRW eine Million Schutzmasken zu einem ungenannten Preis aus ungenannter Quelle, die dann an Ärzte und Krankenhäuser verteilt werden. Und zugleich macht Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann aber just den Ärzten und Krankenhäusern scharfe Vorwürfe, weil sie nicht vorgesorgt hätten. Ich muss gestehen, ich finde die französische Lösung klarer. Weiterhin können Sie alle Nachrichten rund um das Coronavirus in unserem Live-Blog verfolgen.

Sich die Hand zu geben, ist derzeit nicht so angesagt. Bodo Ramelow hat Björn Höcke nicht die Hand geben wollen, als dieser ihm offenbar zur Wahl zum Ministerpräsident Thüringens gratulieren wollte. In Zeiten des Coronavirus ist das eine ziemlich schwache politische Geste. Wem schütteln Sie noch die Hand? Den Tag im Erfurter Landtag hat unser aus Berlin angereister Korrespondent Dr. Gregor Mayntz in einer sehr lesenswerten Reportage genau beschrieben. Dass der linke Ministerpräsident nun mit Hilfe der CDU gewählt wurde, kann man falsch finden. Aber selbst wenn man nicht so prinzipientreu ist, sollte sich keine übermäßige Erleichterung einstellen. Ich vermute, der Ärger ist längst nicht ausgestanden. In gut einem Jahr soll eine neue Landtagswahl stattfinden, bis dahin kann viel schiefgehen. Und wenn nun am Ende Björn Höcke da oben steht und entscheidet, von wem er sich die Hand schütteln lässt? Unmöglich, sagen Sie? Donald Trump konnte angeblich auch nicht US-Präsident werden und wurde es doch. In der Politik zählen die Gewissheiten der Vergangenheit nichts.

Und in der Kultur kommt man häufig mit Etiketten nicht weiter. Ist die Fernsehsendung „Let’s Dance“ ein Trashformat? Irgendwie schon – aber eigentlich auch nicht, denke ich, wenn ich die Liebeserklärung von Barbara Grofe an diese Erfolgsshow lese. Früher galten Quotenbringer im Fernsehen als neuzeitliche Interpretation des steinzeitlichen Lagerfeuers, an dem alle teilhaben. Doch es passiert inzwischen selten, dass eine Sendung die Straßen leerfegt. Ich sehe den Text meiner Kollegin also auch als einen wunderbaren Beitrag zum Artenschutz. Wenn Sie ihn gelesen haben, können Sie sich das ja morgen Abend mal anschauen.

Aber tanzen Sie schon heute gut durch den Tag!

Herzliche Grüße

Moritz Döbler

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