Die komplizierte Geschichte der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens ist um ein Missgeschick reicher. 116.466 elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gingen offenbar seit September 2022 an eine nicht vorgesehene Adresse, nämlich an eine einzelne Arztpraxis anstelle, wie vorgesehen, an die AOK Niedersachsen. Wie die für „Telematikanwendungen der Gesundheitskarte“ gegründete Gematik GmbH seit gestern informiert, weiß sie seit dem 30. Juni von dem Fauxpas. „Grund für die Fehlleitung ist wahrscheinlich eine fehlerhafte Implementierung in Praxisverwaltungssystemen von einigen Herstellern.“ Über derartige Systeme sind Arztpraxen mit Krankenkassen und anderen Institutionen verbunden.
Die betroffene Arztpraxis, deren Adresse die Gematik nicht verrät, merkte allem Anschein nach lange nichts von dem hohen E-Mail-Aufkommen. Die Gematik versucht zu beruhigen. „Wahrscheinlich“ habe man in der Praxis die elektronischen Poststücke nicht öffnen können. Außerdem handele es sich um einen „Berufsgeheimnisträger“.
Sie habe den Bundesdatenschutzbeauftragten informiert, betont die Gematik. Eine Sprecherin der Bonner Behörde sagt auf FOCUS-Anfrage, man prüfe den Fall. Eigentlich zuständig seien aber die Landesdatenschutzbeauftragten, wobei es sich eher nicht um jenen in Niedersachsen handele, sondern um die Kollegen in Hessen und Bayern. Dort säßen nämlich die Hersteller der verantwortlichen Praxisverwaltungssysteme. In Wiesbaden bestätigte man, von der „Datenpanne" Kenntnis zu haben. Die Fachabteilung prüfe alles. Aus dem Landesamt in Bayern hieß es, man kenne noch keine Details, gehe aber„von keinem hohen Risiko aus".
Kurt-Martin Mayer, Wissen & Gesundheit |