| | | | | 11. Juli 2025 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | alles hängt bekanntlich mit allem zusammen. Das hat 1972 auch der US-Meteorologe Edward N. Lorenz erkannt, der einen Aufsatz mit dem schönen Titel schrieb: âDoes the flap of a butterflyâs wings in Brazil set off a Tornado in Texas?â, kann der Schlag eines Schmetterlingsflügels in Brasilien einen Tornado in Texas bewirken? Es geht dabei um die Frage, welche Auswirkungen sogar kleinste Veränderungen in einem System, bei Lorenz das globale Wetter, haben können. Dieser seit dem Aufsatz so genannte âSchmetterlingseffektâ ist faszinierend. AuÃerdem ist er eine wichtige Voraussetzung für viele Verschwörungstheorien. Ich mag Verschwörungstheorien, die ich nie Verschwörungserzählungen nenne. Hirnrissiges Zeug wie die Reichsbürger-Vorstellung, dass es die Bundesrepublik nicht gebe, mag ich nicht. Und den Perlenkettengagaismus von Frau Weidel, die Hitler für einen Kommunisten hält, mag ich auch nicht. Aber dass Noel und Liam Gallagher in Wirklichkeit misogyne Echsenwesen sind, die im Auftrag von wem auch immer Taylor Swift und Beyoncé vertreiben sollen, halte ich schon für möglich. Die beiden, die in erster Linie dadurch bekannt waren, dass sie sich zerstritten hatten, sind nun als wiedervereinte Oasis in Cardiff zum ersten Mal seit 16-jährigem Menschengedenken wieder aufgetreten. Sie haben die, die sich begeistern wollten, begeistert. Der Landshuter SZ-UK-Korrespondent Martin Wittmann hat sehr eindrücklich von der Begeisterung in Cardiff berichtet, unter anderem, dass unter den männlichen Fans âdie Besoffenen, denen die Schlange (an den Toiletten) zu lang ist, in die Waschbecken pisstenâ. Das ist drastisch, und früher hätte man so ein Verb in der SZ nicht benutzt. Aber früher ist schon lange vorbei, und die Menschheit verroht ohnehin zusehends. Die Menschheit verroht sogar in Oberammergau. Wenigstens ein kleines bisschen. Dieser Tage war ich in der Oberammergauer Aufführung von âRomeo und Juliaâ, die der immer noch hibbelige, genialische Christian Stückl im Festspielhaus inszeniert hat. Da finden alle zehn Jahre die Passionsspiele statt, zwischendurch wird es zu allerhand Theater genutzt. Die Schauspieler sind Oberammergauer, die sich gewissermaÃen für die Passion thespiskarrenmäÃig in Ãbung halten. Während der alte Shakespeare âRomeo und Juliaâ als eine romantische Tragödie angelegt hatte, wurde es beim auch nicht mehr so jungen Stückl ein bunthütiges Klamauk-Drama mit Todesfolge und sehr lauten Pistolenschüssen. Mercutio fuhr auÃerdem ein Zündapp-Moped auf der Bühne. Ich finde, eine Kreidler hätte besser zu ihm gepasst. Die Oberammergauer Aufführung war unterhaltend und könnte Menschen zu Shakespeare bringen, die sonst lieber den Fernsehgarten oder die Rosenheim Cops anschauen. Ob die Popularisierung einer solchen klassischen Tragödie minimal verrohend gegenüber der Tragödie ist, muss jeder selbst entscheiden. Vieles von dem, was bis vor nicht allzu langer Zeit noch als âKlassikerâ galt, verschwindet allmählich im Nebel des Vergessens. Das ist bedauerlich, aber wer hat in letzter Zeit, sagen wir seit den Passionsspielen 2022, schon alle vier Josephs-Bände von Thomas Mann, die âJahrestageâ von Uwe Johnson oder Wielands âDon Sylvioâ gelesen? Klassiker darf man nicht verlieren, auch wenn man sie selten liest oder auf der Bühne sieht. Es ist Stückl immer noch hoch anzurechnen, dass er die Josephs-Tetralogie schon 2011 in Oberammergau auf die Bühne brachte. Schwer gekürzt und bearbeitet natürlich, aber dennoch beeindruckend. So etwas hilft gegen Vergessen und Verlieren. Oasis verliert man im Moment nicht. Ist vielleicht auch kein Klassiker. Für mich, musikalisch sozialisiert durch ProgRock und Songwriter in den Siebzigern, war Oasis immer eine ganz nette Schrum Schrum-Band. Für viele Menschen aber, die in den Neunzigerjahren jung waren, war Oasis damals ihre Gegenwart. Mehr als das, sie war beste Band, beste Freunde, beste Musik, bester Rausch, und auÃerdem ins Waschbecken pissen. Nur Letzteres lässt sich heute fast so wiederholen, wie man es damals erlebte. Aber immerhin wird die Erinnerung bei so einem Konzert stärker, eindrücklicher, gegenwärtiger. Noch dazu, wenn man Teil der Wiedervereinigung der Gallagher-Brüder ist, irgendwie. Was wohl in 400 Jahren von unserer heutigen Kultur, populär oder nicht, geblieben sein wird? âRomeo und Juliaâ wurde 1597 uraufgeführt, es ist immer noch auf den Spielplänen. Regisseure wie Stückl versuchen, das Alte für die Heutigen relevant zu machen. Relevanz, Bedeutung, ist ein wichtiges Kriterium dafür, ob ein Stück, ein Buch, ein Song bleibt. Bei den allermeisten dieser Werke ist das nicht der Fall. Sie sind zeitgebunden und verblassen so, wie die Zeit verblasst, in der sie geschaffen wurden. Sie verschwinden, sie werden vergessen. Es ist bitter, aber Günter Grass oder Siegfried Lenz verlieren mit jeder literarisch interessierten Boomerin, die stirbt, an Relevanz, zumindest aber an öffentlicher Aufmerksamkeit. Wie das wohl mit Oasis in 400 Jahren sein wird? Ja, das ist eine rhetorische Frage, auch wenn die technische Ãberlieferung heutiger Musik oder Literatur deutlich besser ist als die der Musik vor 400 Jahren. Dennoch: Oasis wird fort sein, vergessen, verweht, keine Waschbecken mehr. Es sei denn, Noel und Liam sind wirklich Eidechsenwesen, und die Eidechsen übernehmen diese Welt in ein paar Dutzend Jahren. Könnte ja sein. Wer weià schon, was der Flügelschlag eines Schmetterlings bewirken kann? | |
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