Liebe/r Leser/in, in fußballerisch glücklicheren Zeiten standen die Erfolge auf dem Platz für die Wohlfahrt im richtigen Leben, jeder Titel der Nationalelf verknüpfte sich aufs Schönste mit dem nationalen Schicksal: Der Finalsieg 1954 in Bern etwa steht für Wiederaufstieg und Wirtschaftswunder nach dem Krieg, der Triumph 1990 in Rom für Wiedervereinigung und deutsche Einheit. Nach dem plötzlich gewachsenen Talent-Reservoir hatte der philosophierende Fußballkaiser Franz Beckenbauer die Nationalelf damals für „auf Jahre hinaus unschlagbar“ erklärt.
Und jetzt? Der Sommer 2023 steht für Rumpelfußball der bittersten Art. Drei freud- und sieglose Länderspiele stehen zu Buche. Kein Aufbruch, nirgends. Stattdessen Pfiffe von den Rängen, Rücktrittsforderungen gegen Nationaltrainer Hansi Flick. Und das alles ein Jahr vor der Europameisterschaft im eigenen Land. Sommermärchen kündigen sich anders an. Den Fußballphilosophen bietet sich daher ein weites Feld zur Analyse, ob und was das Gestümper auf dem Platz mit gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zu tun hat. Ironischerweise setzte es am Tag der jüngsten Kolumbien-Klatsche einen Tiefschlag aus der Schweiz für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das Lausanner Institut IMD brandmarkte uns als Absteiger der Saison. In seinem „World Competitiveness Ranking“ für 2023 wird die Wettbewerbsfähigkeit von 64 Ländern anhand von 336 Kriterien bewertet. Trauriges Resultat: Deutschland fällt um sieben Positionen zurück auf Rang 22.
Kein Wunder, dass Unternehmer sich still und leise davonmachen, lieber dort investieren, wo sie gastfreundlichere Bedingungen vorfinden. Stichwort Energie, Stichwort Steuern, Stichwort Bürokratie. So kann es nicht weitergehen.
Nicht mit dem Standort, nicht mit dem Sport. Schon gar nicht hilft es, im Gefühl moralischer Überlegenheit Sonderwege zu beschreiten, die zielsicher in die Irre führen. So zieht der Ökonom Justus Haucap, ein leidenschaftlicher Fußballfan, spöttisch die Parallelen zwischen tristem Gekicke und Politmurks: „Andere Staaten sehen unseren Fußball als absolut vorbildlich an. Viele wollen und werden uns nacheifern, weil wir so ein tolles Vorbild sind. Der deutsche Fußball ist einfach klasse. Niemand macht das so gut wie wir.“
Wenn es aber an schlüssiger Strategie und eigenen Talenten mangelt, liegt die Versuchung nahe, sich den vermeintlichen Erfolg auswärts teuer einzukaufen.
Auch das gilt für Sport wie Volkswirtschaft. So spendiert das Trainerduo Scholz/Habeck einem alternden Techkonzern aus Amerika zehn Milliarden Euro, damit er in Ostdeutschland eine Chipfabrik hochzieht. Kein Bäcker, Metzger, Maschinenbauer darf mit solcher Großzügigkeit rechnen.
Zehn Milliarden – das heißt: Jeder neue Job kostet den Steuerzahler eine Million Euro, mindestens. „Da wird mir ganz schwindelig“, stöhnt Wirtschaftsprofessor Haucap, und der Mann ist als St.-Pauli-Anhänger Kummer gewohnt. |