Liebe/r Leser/in, Es gibt sie noch, die wundersamen Geschichten aus der Welt der Wirtschaft. Erlebnisse, wie sie uns jüngst ein Autozulieferer geschildert hat. Der Mann hatte eine Idee, und dann ging alles ganz schnell. Von den Behörden wurde ihm versprochen, dass er sich nicht im Dickicht der Bürokratie verheddert für seine neue Fabrik, eine einzige staatliche Stelle werde sich um ihn kümmern, keine zwölf Monate solle das Ganze dauern. Und das Wunder nahm seinen Lauf. Die Genehmigung hatte der Mittelständler nach drei Monaten in der Tasche, weitere sechs Monate später nahm sein Betrieb die Arbeit auf. 500 Angestellte stehen dort bereits in Lohn und Brot. Das Dumme an der Geschichte: Sie spielt nicht in der Heimat, sie ist kein leuchtendes Beispiel für das neue Deutschland-Tempo, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) so gern beschwört. Dieses Glanzstück an Effizienz und Verwaltungskunst ereignete sich im nördlichen Afrika, genauer gesagt in Marokko. Der Mittelständler kann sein Glück kaum fassen: „Zu Hause wäre das nicht passiert. Da würden wir noch mit der Bürokratie kämpfen.“ Hierzulande wird nur viel gesprochen vom Bürokratieabbau, die Rede darüber ist so alt wie die Bürokratie selbst. Das Wort wurde im 18. Jahrhundert in den deutschen Sprachgebrauch aufgenommen, als Begriff für eine „kurzsichtige und engherzige Beamtenwirtschaft“, wie es Meyers Konversationslexikon vor mehr als 100 Jahren ausdrückte. Kommission um Kommission zur Verschlankung des Staates wurde seither gegründet, heraus kommen trotzdem immer neue Ungetüme wie aktuell das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Die Bundesregierung hat nun 140 Maßnahmen angekündigt, um Bürger wie Wirtschaft zu entlasten. „Unsere Unternehmen leiden an einem Bürokratie-Burnout“, gesteht Justizminister Marco Buschmann (FDP). 72 Prozent von ihnen stufen die Verwaltung laut einer Umfrage als zu langsam und zu unflexibel ein, in Ulm ruft die Industrie- und Handelskammer deshalb die Unternehmer jetzt gar zur Demo auf die Straße. Motto: „Es reicht.“ Berufen können sich die Gewerbetreibenden auf ihren Landesvater, den Grünen Winfried Kretschmann, der klagt, die Bürokratie sei wie ein wucherndes Brombeergestrüpp, das dringend zurechtgestutzt gehört. Drei Oberbürgermeister im Südwesten haben deshalb einen Brandbrief nach Berlin geschickt, auf 14 Seiten listen sie Beispiele für unsinnige Vorschriften auf, etwa die Verordnung für Weinfest-Lauben, für die nachzuweisen ist, dass sie eine meterhohe Schneelast aushalten. Draußen gefeiert und Wein getrunken wird freilich im Sommer, einer wenig schneereichen Jahreszeit in Schwaben. Dieser Fall lehrt einmal mehr: An den finanziellen Mitteln scheitert es nicht, um die Bürger von bürokratischem Ballast zu befreien. Eher im Gegenteil. Oder mit den Worten des Finanzministers von Baden-Württemberg, des Grünen-Politikers Danyal Bayaz: Das Problem des Staates sind nicht zu wenig Einnahmen, wie oft geklagt wird, sondern zu viel: „Geld schafft Stellen, Geld schafft Bürokratie.“ |