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Stimme
des Westens

Moritz Döbler

25. April 2020

Liebe Frau Do,

in Corona-Zeiten ist der häusliche Weinkonsum stark gestiegen, aber wie findet man den richtigen Tropfen? Unser Kulturchef Lothar Schröder hat eine virtuelle Weinprobe mitgemacht und war ganz angetan. Die sogenannte Nassverkostung ist tatsächlich auch virtuell möglich, Youtube und einigen findigen Winzern sei Dank. „Weinproben sind im Grunde wie Butterfahrten. Nur ohne lebensgefährliche Heizdecken, dafür mit lebensbereicherndem Wein“, schreibt er. Und wenn das dann auch zu Hause geht, umso besser. „Der beste Quarantäne-Abend ever“, resümiert eine Teilnehmerin.

Heizdecken gelten als Produkte für ältere Semester, womit wir bei der Corona-Risikogruppe wären, die es zu schützen gilt. Aber was die Krise eigentlich mit der Jugend macht, hat sich unsere stellvertretende Chefredakteurin Eva Quadbeck in ihrer Analyse gefragt. Die Teenager, die mit maximalen Selbstentfaltungsmöglichkeiten aufgewachsen sind, fallen plötzlich auf sich selbst zurück. Einst war von der Generation Golf die Rede – ob wir irgendwann von einer Generation Corona reden werden? Manche Personalchefs werden jedenfalls bei eingegangenen Bewerbungsunterlagen „Corona-Abitur“ am Rand vermerken.

Um eine noch jüngere Gruppe geht es in einem Interview, das mein Kollege Jörg Isringhaus geführt hat: „Die Kinder müssen jetzt in den Fokus“, fordert Wolfgang Kölfen, ein hoch angesehener Chefarzt einer Kinderklinik in Mönchengladbach. Nach seiner Darstellung führen die Krisenmaßnahmen dazu, dass Eltern ihre Kinder seltener in die Klinik bringen – auch dann, wenn es um Notfälle geht. Einige Politiker bemühen bei Corona martialische Kriegsrhetorik, in diesem Duktus müsste hier von Kollateralschäden die Rede sein – aber das sollten wir nicht übernehmen. Wenn unser Verhalten Kinder in lebensgefährliche Situationen bringt, müssen wir etwas tun. Der erste Schritt ist Aufklärung, und deswegen finde ich diesen Text so wichtig.

Einer der Corona-Kriegsrhetoriker ist Donald Trump, der nun vorschlägt, Desinfektionsmittel intravenös zu verabreichen. Nein, ich werde nicht dafür plädieren, das an ihm auszuprobieren. Aber immer, wenn man denkt, irrer kann es nicht werden, legt er noch eine Schippe drauf. Unser Redakteur Wolfram Goertz, promovierter Mediziner, hat den Vorstoß des mächtigsten Mannes der Welt kommentiert. In seinem amüsanten Text kommt auch Mr. Spock vor, was nie schaden kann. „Faszinierend“, sagt der Vulkanier, wenn die Menschen irrationales Verhalten an den Tag legen. Die Medizin lernt ständig mehr über das Virus, täglich erscheinen Studien mit neuen Facetten. Wenn Sie sich nicht mit Trumps Unsinn beschäftigen wollen, sondern mit gesicherten Erkenntnissen, bitte hier entlang: Wolfram Goertz hat den Stand des Wissens in Diagnostik, Therapie und Vorbeugung in einem – zugegebenermaßen sehr langen – Essay gebündelt.

Wenn Sie jetzt alles über Corona wissen, werden Sie sich auch mit Schutzmasken beschäftigen müssen. Wie diese beschaffen sein sollten und was man für den Gebrauch, der ab Montag vorgeschrieben ist, wissen muss, hatten wir Ihnen ja schon zusammengestellt (hier nochmal ein Link, falls Sie das verpasst haben). Aber dahinter steckt ein Markt, der sich binnen Wochen radikal verändert hat: Matthias Beermann, Philipp Jacobs und Carsten Pfarr haben die Masken-Wirtschaft untersucht. Es geht um internationale Geschäfte mit abenteuerlichen Margen, Glücksritter und verzweifelte Einkäufer in Behörden, Kliniken und Unternehmen, die für Nachschub sorgen sollen. Für den Hausgebrauch tun es selbstgebastelte Schutzmasken, das hilft mittelbar auch jenen, die in Kliniken auf die Handelsware angewiesen sind .

Zum Abschied ein Abschied: Unser Kolumnist Reinhold Michels, ein streitbarer Konservativer, dessen Texte gelegentlich heftige Reaktionen in der Leserschaft auslösen, hat einen Nachruf auf Norbert Blüm verfasst. Es ist ein geradezu liebevoller Text über einen ebenso ernsten wie heiteren Großen der CDU. „Die Renten sind sicher“, war wohl sein prägendster Satz, der bis heute nachhallt, aber mich hat vor allem seine Menschlichkeit beeindruckt. In der Politik prägt häufig das Amt den Menschen, der es innehat; hier war es wohl anders herum. Das hat viel mit Haltung und auch mit Kraft zu tun, und beides wünsche ich uns in diesen schwierigen Zeiten. Es ist ernst, bleiben Sie heiter, womöglich bei einem Glas mit lebensbereicherndem Wein. Blüms Liebling war übrigens die Scheurebe.

Schönes Wochenende!

Herzlich

Ihr

Moritz Döbler

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