Liebe/r Leser/in, auf dem Thermometer 11 Grad um 7 Uhr morgens und im Kopf Dutzende Gedanken beim Joggen. Die Straßen sind nass und voller Äste; war das ein Gewitter vergangene Nacht!
In den Nachrichten die dramatischen Bilder der Flutkatastrophe in Deutschland (siehe Seite 10). Der Wetterbericht erläuterte den Zusammenhang zwischen Erderwärmung und Regenfluten in Europa zur besten Sommerzeit: Der Jetstream funktioniere nicht mehr richtig, weil das Eis der Arktis schmelze, lerne ich am Dienstag aus den „heute“-Nachrichten im ZDF. Und während ich nun laufe, denke ich über das „Un-Wort“ Unwetter nach und darüber, ob wir in diesen Tagen einfach nur schlechtes oder extremes Wetter erleben oder live den Klimawandel oder halt Ersteres aufgrund des Zweiten.
Ich bin 45 Jahre alt. Ich rechne also mal noch mit 30- bis 40-mal Sommer- bzw. Skiurlaub. Mein Sohn wird im August 14. Wie wird er solche Sommer erleben, wie ich bis dato, wenn er so alt ist wie ich? Oder heißer? Nasser? Windiger? Gibt es in zehn Jahren im Winter noch Schnee? Ich weiß es nicht. Ich wünsche den Kindern nur das Beste und helfe natürlich von Herzen mit, unsere Erde sauber zu halten.
Am Mittwoch legte die EU-Kommission ihren Giga-Plan „Fit for 55“ vor, mit dem sie alle 27 Mitgliedsstaaten dazu bringen will, im klimapolitischen Gleichschritt ihren Ausstoß von Kohlendioxid bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken (statt wie bisher geplant „nur“ um 40 Prozent). Ich bin da zwiegespalten.
Auf der einen Seite bereitet mir die Klimaentwicklung wie gesagt große Sorgen. Auf der anderen Seite verspüre ich ein tiefes Unbehagen bei dem Gedanken, dass unsere Zukunft mithilfe immer größerer und immer detaillierterer staatlicher Planungen (Big Data macht es möglich!) gestaltet werden soll. Ich habe in meinem ersten Lebensdrittel in der DDR erlebt, wie solche Pläne scheitern – Dreijahres-, Fünfjahres-, Zehnjahrespläne. Die EU plant jetzt mit 27 Staaten, wobei einige schon sagen, sie machen so nicht mit, bis 2055. Bertolt Brecht schrieb im „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“: „Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ‘nen zweiten Plan, geh’n tun sie beide nicht.“ So ist es! Und ich bin mir ganz sicher: Auch mit Internet und Quantencomputern hätte weder die DDR noch das ganze sowjetische Imperium einen Plan für eine gute Zukunft ersonnen. | | Was mich wieder zur EU und ihrer plangläubigen Kommission bringt. Sie weiß natürlich besser als wir alle, dass es noch unendlicher Beratungen, Streitereien und Kompromisse zwischen der Kommission, den Mitgliedsstaaten und dem Europaparlament bedarf, bevor irgendetwas von „Fit for 55“ Realität wird. Schon die Idee, dass künftig auch für die Bereiche Gebäude und Verkehr CO2-Zertifikate erworben werden müssen, die Benzin, Gas und Öl verteuern würden, hält man in Paris für brandgefährlich. Unabhängig stellt sich die Frage: Wer glaubt, dass es Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihrem Stellvertreter Frans Timmermans gelingt, von ihrem großen Plan die USA, China und Indien zu überzeugen?
Die Kraft der westlichen Gesellschaften und Ökonomien wurzelt nicht in staatlichen Masterplänen, sondern in der unberechenbaren Kreativität und dem dafür notwendigen Erfolgsstreben ihrer Bürger und Unternehmer. Nur ein kleines historisches Beispiel mit Bezug zur aktuellen Debatte: Ein gewisser Charles Martin Hall, geboren 1863 in Ohio, revolutionierte das Verfahren zur Gewinnung von reinem Aluminium. Vereinfacht gesagt, schuf er mithilfe von Elektrolyse und der Zugabe von Kryolith ein Verfahren, das den Schmelzpunkt von reinem Aluminiumoxid von 2050 auf gut 950 Grad Celsius mehr als halbierte. In der Folge fiel der Preis für Aluminium um den Faktor 200.
Der Überlieferung nach widmete sich Hall dem Problem der Aluminiumherstellung, weil ein Professor ihm gesagt hatte, damit ließe sich viel Geld verdienen. Und in der Tat wurde Hall schwerreich damit. Doch wichtiger erscheint mir aus heutiger Sicht, dass seine Erfindung den Energieaufwand für die Aluminiumproduktion erheblich verringert hat – mehr als jeder staatliche Plan es vermocht hätte. Technische Innovationen lassen sich eben nicht in staatlichen Bürostuben herbeiplanen, aber sie können vom Staat durch die Schaffung innovationsfreundlicher Bedingungen begünstigt werden. Darüber denken mir alle Bundestagsparteien zu wenig nach.
Das führt mich zu den Grünen, die seit einiger Zeit nicht mehr mit glänzenden Augen, sondern mit bangem Blick in die Zukunft schauen. Sollte das Wahlergebnis im September so mau ausfallen, wie die Umfragen derzeit andeuten, dann steht Annalena Baerbock als Alleinschuldige heute schon fest. Robert Habeck, die Trümmerfrau der baerbockschen Kanzlerkandidatur, wird sagen: An mir hat es nicht gelegen, ich habe lediglich versucht zu retten, was zu retten ist.
Doch damit würden es sich die Grünen und Habeck nach meinem Eindruck zu leicht machen. Wie soll die „Schummelliese“, wie mein Kollege Jan Fleischhauer Baerbock jüngst treffend charakterisierte, im Alleingang das große grüne Projekt zu Fall bringen? Ich glaube vielmehr, dass viele Wähler sich die Pläne der Parteien umso genauer ansehen, je näher die Wahl rückt. Und es hat den Grünen fast nie genutzt, wenn man sich zu genau mit ihren Inhalten befasst hat (auch wenn sie genau das ständig einfordern). Denn dort wimmelt es von staatlichen Vorgaben, und es mangelt bedenklich an Ideen. Das verbindet die Grünen irgendwie mit den Klimarettungsplänen der EU und der amtierenden Bundesregierung.
Mein Kollege Andreas Große Halbuer hat Robert Habeck übrigens in dieser Woche beim Wahlkampfauftakt auf Sylt begleitet. Seine Eindrücke lesen Sie ab Seite 28. | Mit vielen Grüßen Robert Schneider Chefredakteur FOCUS Magazin | Aus aktuellem Anlass!
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