Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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24. November 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
der Vorsitzende der AfD im Landtag von Thüringen nutzt in seinen Reden Nazi-Begriffe wie Lutschbonbons: "Lebensraum", "entartet", "kulturfremd", "Volksverderber", "Volksverräter". Björn Höcke tut das nicht zufällig, sondern um zu erklären, was er politisch will. Er ist ein Neonazi. Und seine Partei, die AfD, ist eine Partei, die nur die Menschen achten will, die sie nach ihrem völkischen Weltbild für würdig erachtet. Mir verschlägt es den Atem, wenn ich sehe, dass so eine Partei Zustimmungswerte und Wahlerfolge erzielt, wie sie die NSDAP bei den letzten Reichstagswahlen im Jahr 1932 hatte. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben die Artikel über die wehrhafte Demokratie formuliert, weil sie genau das verhindern wollten: dass eine extreme Partei noch einmal, wie in der Weimarer Republik, die Demokratie nutzt, um die Demokratie zu zerstören. Die Demokratie ist noch einigermaßen stark in Deutschland. Aber viele Opfer der AfD sind es nicht - und der Ton gegen sie wird schärfer. Die demokratischen Kräfte dürfen nicht warten, bis die AfD die Landtage dirigiert, die Lehrpläne in den Schulen diktiert und ihre Leute in Gerichten und Verwaltungen unterbringt.

Haldenwang liefert der AfD billiges Propagandamaterial

Der Verfassungsschutz ist dafür da, rechtzeitig und laut zu warnen – auf dass dann die Waffen zur Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat genutzt werden können, die im Grundgesetz bereitliegen. Thomas Haldenwang, er war sechs Jahre lang Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, hatte seine Aufgabe genau so verstanden und fast bis zuletzt gut gearbeitet. Er reparierte den schlechten Ruf des Verfassungsschutzes. Sein Vorgänger Hans-Georg Maaßen hatte sich als geltungssüchtiger Krawattenkobold mit Rechtsaußen-Neigungen gefallen. Haldenwang stufte die ganze AfD hoch zum "Verdachtsfall" für rechtsextremistische Bestrebungen. Ein zweites umfangreiches Gutachten zur Verfassungsfeindlichkeit der AfD hatte sein Verfassungsschutz fast fertig: Es sollte bis Jahresende entschieden werden, ob die AfD weiterhin nur als Verdachtsfall geführt oder, auf der Basis umfangreicher Analysen, in die Rubrik "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" hochgestuft werden soll. 

Dann freilich hat sich Haldenwang als CDU-Kandidat für den Wahlkreis Wuppertal bei der Bundestagswahl 2025 aufstellen lassen. Diese parteipolitischen Ambitionen des bisherigen Verfassungsschutzpräsidenten schaden dem Verfassungsschutzamt und sie schaden der Arbeit gegen den Rechtsextremismus– weil Haldenwang so der AfD billiges Propagandamaterial liefert. Die Rechtsaußenpartei tut sich jetzt leicht, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz als einen politischen Konkurrenzschutz zu diskreditieren. Das zweite Gutachten des Verfassungsschutzes, das beweisen sollte, dass die AfD als Ganzes rechtsextremistisch ist, wird jetzt nicht so schnell erscheinen – es wird also in absehbarer Zeit keine Basis für einen Parteiverbotsantrag sein können. Das ist bitter.
SZPlus Prantls Blick
Der Hintern des Herrn Haldenwang
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Ich wünsche Ihnen, trotz alledem, ein wenig Ruhe in wilden Zeiten.
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Stolpersteine, Stolpertexte
Warum erst jetzt? Wer dieses Buch gelesen hat, wird das unvermeidlich fragen: Warum hat so viele Jahrzehnte gedauert? Warum hat es so lange gedauert, bis einige der unzähligen schriftlichen Erinnerungen deutschsprachiger jüdischer Menschen vor dem Vergessen bewahrt wurden? Schriftstellerinnen und Schriftsteller führen sie in diesem Buch mit zweiundzwanzig "Stolpertexten" endlich vor Augen. Ihnen ist etwas Großes gelungen: Sie verwandeln die Lebensspuren, die im Archiv des Leo-Baeck-Instituts konserviert worden sind, in lebendige Geschichten.

Bisher gab es Stolpersteine. Jetzt gibt es auch Stolpertexte. Die kleinen Gedenksteine, die Stolpersteine, erinnern die an die letzten frei gewählten Wohnorte von NS-Opfern, sie geben den Menschen ihre Namen zurück, ihre Geburts- und Sterbedaten. Die jetzt erschienen "Stolpertexte", von Schriftstellerinnen und Schriftstellern verfertigt, führen die Leser in die Lebensorte der Ermordeten und Verfolgten zurück. Es sind Reisen in das Deutschland der Dreißigerjahre und Länder, in die es die Verfolgten und deren Angehörige verschlagen hat.

Juli Zeh schreibt einen "Stolpertext für Edith Hillinger". Es ist ein Text, in dem der Mohn eine große Rolle spielt. Die Brieselanger Mohnblumen gehören zu den frühesten Kindheitserinnerungen der Malerin Edith Hillinger, die heute 91 Jahre alt ist und in Kalifornien lebt. Mohnblumen haben die Tochter eines jüdischen Architekten ihr Leben lang begleitet – als Mädchen, wenn sie aus Berlin heraus zu ihren Großeltern auf der Brieselanger Farm vor den Toren Berlins gefahren ist, in späteren Kindheits- und Jugendjahren nach der Vertreibung der Familie in die Türkei, nach Istanbul. Die Hügel entlang des Bosporus waren damals kaum bebaut. Alles war dem Mädchen fremd, die Sprache, die Küche, die Gewohnheiten. Der knallrote Mohn aber wurde für Edith Hillinger zur Brücke, die das alte und das neue Leben verband. Blumen sind ihre Lebensbegleiter, ihr Zugang zur Kunst. Suche man ihre Werke im Netz, schreibt Zeh, falle sofort auf, dass ein Motiv ständig wiederkehre: "Poppy Petals in Wasserfarben, Tinte, Aquarell oder als Collage. Poppy Petals sind Mohnblumenblätter."

Jedes Leben, von dem die "Stolpertexte" erzählen, hätte eine ausführlichere Darstellung verdient. Die Herausgeber haben die Länge offenbar auf fünf bis sechs Seiten beschränkt. Das ist in einigen Fällen ein spürbarer Mangel. Olga Grjasnowa beschreibt in ihrem "Stolpertext für Ernst Feder" einen Augenblick der Flucht Feders in Marseille unmittelbar vor der Abreise nach Brasilien. Feder war einer der wichtigsten Journalisten der Weimarer Republik und wurde im brasilianischen Exil einer der engsten Vertrauten Stefan Zweigs. Darüber würde man gerne ein wenig mehr erfahren. Die Herausgeber heben hervor, die an diesem kleinen großen Buch beteiligten Schriftsteller hätten jüdische Lebensspuren in Erinnerung verwandelt. Das ist wichtig in einer Zeit, in der der anschwellende Antisemitismus die Erinnerung bekämpft und das Vergessen und Verfälschen forciert. Die Lektüre provoziert nicht nur die Frage: "Warum erst jetzt?". Die nächste Frage lautet: "Wann erscheint der zweite Band?".

Stolpertexte – Literatur gegen das Vergessen. Erschienen im Leo Baeck Institut New York/Berlin 2024, 165 S., 19 Euro
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Hungerland
An vielem mangelt es im Sudan, nur nicht an Schießgerät. Dem drittgrößten Staat Afrikas droht eine Katastrophe, wie sie die Welt seit der großen Hungersnot in Äthiopien vor vierzig Jahren nicht mehr gesehen hat. Aber was heißt hier sehen? Die Welt schaut nicht hin. Sie nimmt nicht zur Kenntnis, was im Sudan los ist – die Gegenwart ist grausam und die Zukunft trostlos. Zwei Generäle führen mit ihren Armeen Krieg gegeneinander, Millionen Menschen hungern, viele Hunderttausend verhungern. Der Kollege Arne Perras und der Fotograf Jürgen Escher sind in die Kampfgebiete und in die Nuba-Berge gereist; die Berge bieten Zuflucht vor dem Krieg, aber nicht vor dem Hunger. Der Hunger, so schreibt Perras, "ist zur Waffe in einem Krieg geworden, dessen Ende nicht einmal zu erahnen ist". Für seine eindringliche, seine grandiose und aufrüttelnde Reportage im Buch Zwei der Wochenend-SZ gebührt Perras und seinem Fotografen Escher ganz großer Dank – Dank für den Mut, Dank für die Akribie, Dank für die meisterliche Schilderung der ungeheuren Nöte und Probleme im Sudan; Dank dafür, dass die beiden Journalisten, trotz aller Furchtbarkeiten, da und dort ein noch klein wenig Hoffnung entdecken. Vielleicht könnte man das Elend sonst einfach nicht aushalten.
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