Ausgabe vom 09.03.2020

Die Corona-Panik geht weiter

Die Corona-Panik geht weiter
von Torsten Ewert

Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

heute dürften die Medien wieder einmal von einem schwarzen Tag an den Börsen schreiben. Und jede Beschönigung verbietet sich angesichts der Verluste, die damit nun in die dritte Woche gehen – und das ohne jede nennenswerte Gegenbewegung.

Italiens führende Industriemetropole leidet unter dem Coronavirus

Die Gründe für die heutige erneute Panik sind vielfältig, und man kann weiterhin nur mutmaßen, was der konkrete Anlass für den Ausverkauf war. Sicherlich hat die großflächige Abriegelung von Norditalien damit zu tun, von der nun auch die italienische Industriemetropole Mailand betroffen ist.

Hier haben rund 100 der 200 größten Konzerne des Landes ihren Sitz, vor allem die Autoindustrie (Fiat) und viele Zulieferer, die auch für andere Hersteller in Europa Teile fertigen. Die italienische Börse ist dort beheimatet und viele Banken, die ohnehin im Krisenmodus sind.

Die Argumentation, dass die Konjunktur aufgrund der Corona-Pandemie eine Art Vollbremsung hinlegt, erhält durch diese Nachrichten natürlich neue Nahrung. Das ließ auch den Ölpreis kollabieren, der bereits heute im frühen asiatischen Handel um bis zu 31 % einbrach – allerdings auch deshalb, weil die OPEC+ sich am Freitag nicht auf niedrigere Fördermengen einigen konnte, um den Preis zu stabilisieren. Der Einbruch wurde wiederum als Zeichen einer bevorstehenden starken Konjukturabkühlung gewertet etc.

Panikverkäufe führen zu Handelsaussetzungen der US-Futures

Das alles führt zu Effekten, die für die Medien an sich schon ein gefundenes Fressen sind. So gab es bei den US-Futures mehrfach Handelsaussetzungen. Dafür gibt es feste Regeln, die in drei Stufen ablaufen:

Die erste Stufe ist erreicht, wenn der S&P 500 um 7% einbricht. In diesem Fall wird der Handel für 15 Minuten unterbrochen. Die zweite Stufe wird bei einem Rückgang von 13 % ausgelöst, wenn dieser bis 15.25 Uhr (US-Zeit) stattfindet. Es gibt dann eine weitere 15-minütige Pause. Wenn der S&P 500 um 20% fällt, werden die Märkte für diesen Tag geschlossen. Alle Prozentangaben für diese Schwellen beziehen sich auf den Schlusskurs des vorangegangenen Handelstages.

Das einzige historische Ereignis, bei dem der S&P 500 theoretisch alle drei Stufen ausgelöst hätte, war der Schwarze Montag während des berühmten Börsencrashs im Oktober 1987. (Allerdings gehen die Börsenbetreiber natürlich davon aus, dass diese Regeln genau einen solchen Einbruch verhindert hätten.)

Wie „Kurzschlüsse“ an den Börsen beseitigt werden

Für die Futures, die auch außerhalb der offiziellen Handelszeiten der NYSE notiert werden und die den Wochenhandel bereits am späten Sonntagnachmittag beginnen, gelten prinzipiell die gleichen Regeln, wobei außerbörslich eine niedrigere Schwelle von 5 % gilt. Da diese Schwelle bereits gegen 21 Uhr New Yorker Zeit (3 Uhr morgens MESZ) erreicht und danach kaum wieder überschritten wurde, war der vorbörsliche Handel seitdem quasi völlig ausgeschaltet, wie im folgenden Chart an der langen waagerechten Linie gut zu sehen ist:

S&P500-Future, Intradaychart 08/09.03.2020

Erst mit dem Öffnen des Aktienhandels (Kassamarkt) an der NYSE nahmen auch die Futures ihre Kursbewegungen wieder auf, da dann die größere 7%-Schwelle gilt. Diese wurde danach ebenfalls erreicht (siehe Pfeil), was aber nur eine kurzzeitige Unterbrechung zur Folge hatte.

Solche Handelsunterbrechungen heißen offiziell Circuit Breaker, eigentlich ein Begriff aus der Elektrotechnik, den man mit „Kurzschlussunterbrecher“ übersetzen kann. Diese technische Vokabel passt auch wunderbar für die Börse, denn solche Kursausschläge sind erfahrungsgemäß häufig auf Kurzschlussreaktionen der Anleger oder bestimmte technische Probleme der Börsenplattformen oder einzelner Händler bzw. Market Maker zurückzuführen.

Bedenkzeit kann erhitzte Gemüter (und Computer) abkühlen

In solchen Fällen kann es tatsächlich hilfreich sein, diesen „Kurzschluss“ (bei Menschen und/oder Computern) dadurch zu trennen, indem man die Systeme pausieren lässt und allen eine Bedenkzeit einräumt. Entweder um wieder zur Besinnung zu kommen oder die Technik wiederherzustellen. Auch diesmal scheint das funktioniert zu haben, denn nach dem ersten Einbruch zu Beginn des Aktienhandels fingen sich die Kurse wieder.

In Fällen wie dem heutigen, wo die Anleger vermeintlich gute Gründe für eine Panik sehen, sind solche Handelsunterbrechungen aber zweischneidig. Denn im heutigen globalen Börsenhandel weichen die Trader einfach auf Märkte aus, die noch geöffnet sind.

Das Problem dabei: Es kommt in diesen Ausweichmärkten zu einem plötzlichen Anstieg des Handelsvolumens, wobei insbesondere relativ illiquide Märkte wie der DAX in die Bredouille kommen können. Man kann sich leicht vorstellen, was passiert, wenn alle Trader, die normalerweise den (höchst liquiden!) S&P500-Future handeln, sich plötzlich auf den DAX stürzen. (Der S&P500-Future wird auch von vielen Nicht-US-Tradern bevorzugt – eben, weil er so liquide ist.)

Wenn sich alle Trader auf den DAX stürzen

Das erlebten wir heute Morgen an den europäischen Börsen. Der DAX-Future, aber auch der (deutlich liquidere) Euro-STOXX50-Future gingen in die Knie und verloren bereits im vorbörslichen Handel rund 10 %. Mit der regulären Handelseröffnung ab 9 Uhr kamen dann zwar neue Verkaufsorders hinzu, aber eben auch mehr Liquidität, so dass die Lage zum Glück insgesamt unter Kontrolle blieb.

Dennoch ist z.B. der heutige Einbruch im Euro-STOXX50-Future der stärkste seit dem überraschenden Brexit-Votum Ende Juni 2016 und der fünftgrößte seit Mitte 1998 (die Kurshistorie, die mir vorliegt) überhaupt. Nur nach dem 11. September 2001, zum Flash-Crash am 6.5.2010 und dreimal im September/Oktober 2008 während der Finanzkrise ging es an der europäischen Future-Börse ebenfalls noch höher her.

Weiter warten auf die Gegenbewegung

Doch all diese Ereignisse waren an den Börsen Ausgangspunkte für mindestens eine kräftige Gegenbewegung. Und wie eingangs erwähnt, steht genau diese bisher noch aus. Erst dann erkennt man klarer, welche Aktien oder Branchen weiterhin schwach bleiben, schon wieder Stärke zeigen oder vielleicht sogar von den Turbulenzen profitieren.

Diese Gegenbewegung ist fällig und wird kommen – anders als bullishe Übertreibungen (die, wie wir gesehen haben, sehr lange anhalten können) sind Panikreaktionen eher kurzlebig. Man kann nicht ständig in Angst und Schrecken leben, sondern arrangiert sich entweder mit der schlechten Lage, versucht sie zu ändern oder resigniert.

Dieser Wendepunkt ist nicht mehr weit weg. Womöglich hat die heutige Panik, die mit einer ersten Kursumkehr einherging, schon diese Wende eingeleitet. Es könnte aber auch sein, dass die Schwäche noch bis zum Verfallstag in der kommenden Woche anhält.

Auch der große Verfallstag steht im Bann der Panik

Apropos Verfallstag: Eigentlich hatte ich heute eine erste Analyse der Verfallstagspositionen zum großen Verfallstag am Freitag nächster Woche (20.3.) geplant. Diese erübrigt sich aber vorerst. Wie Sie im aktuellen Verfallstagsdiagramm auf der Stockstreet-Webseite leicht selbst erkennen können, steht der DAX mit seinen 10.625 Punkten tief im roten Bereich der Put-Positionen.

Kursziele, die man daraus ableiten könnte, erscheinen nach den jüngsten Verlusten zum Teil „utopisch“. Abgesehen davon dürfte allein der heutige Handelstag die bisherigen Strategien der Beteiligten gehörig durcheinandergeworfen haben. Warten wir daher erst einmal ab, wie sich die Lage in den nächsten Tagen entwickelt. Dann lässt sich sicherlich mit Blick auf den Verfallstag wieder eine fundiertere Analyse abgeben.

Mit besten Grüßen

Ihr Torsten Ewert



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