Die da oben
Liebe Frau Do, in den vergangenen Jahren ist es schick geworden, auf das Establishment zu schimpfen, die so genannten Alt-Parteien und überhaupt alle „da oben“. Einige Politiker verdanken ihre Popularität fast ausschließlich dieser Strategie, manche verdanken ihr sogar den Wahlerfolg. Es gibt sicher viele gute Gründe, sich über arrogante Politiker,
szmtag

21. August 2017

Liebe Frau Do,

in den vergangenen Jahren ist es schick geworden, auf das Establishment zu schimpfen, die so genannten Alt-Parteien und überhaupt alle „da oben“. Einige Politiker verdanken ihre Popularität fast ausschließlich dieser Strategie, manche verdanken ihr sogar den Wahlerfolg. Es gibt sicher viele gute Gründe, sich über arrogante Politiker, gierige Manager und selbstgerechte Journalisten zu ärgern, doch alle pauschal in einen Sack zu stecken, die zu einer vermeintlichen Elite gehören, und mit einem Knüppel draufzuschlagen – das halte ich für unangemessen. In fast allen Demokratien des Westens habe das klassische Establishment in einem ausgeklügelten System von Macht und Gegenmacht der eigenen Bevölkerung zu einem nie gekannten Wohlstand verholfen, schreibt unser Politikchef Martin Kessler in seinem Plädoyer für eine Elite. Allerdings müsse der Weg nach oben für jeden Tüchtigen und Begabten offenstehen.

Eine ganz, ganz wichtige Bedingung, die leider offenbar an mancher deutschen Privatschule nicht mehr ganz oben auf der Prioritätenliste steht. Gerade in Ballungsräumen gebe es einen sozial selektiven Zugang, so belegen es wissenschaftliche Studien. Soll heißen: Wer auf eine Privatschule möchte, hat bessere Chancen, wenn seine Eltern Ärzte, Ingenieure, Lehrer oder Professoren sind statt Taxifahrer oder Industriearbeiter. Über den jetzt entbrannten Streit zwischen Wissenschaftlern und Privatschulen berichtet Kirsten Bialdiga.

CSU-Chef Horst Seehofer hat gestern in einem ARD-Interview seine Position zur Obergrenze für Flüchtlinge fünf Wochen vor der Bundestagswahl in aller Deutlichkeit und ganz entschieden, äh, ja was eigentlich – widerrufen, geändert, bestärkt? Vermutlich trifft „der Realität angepasst“ es am besten. Jedenfalls hat er die Obergrenze nicht mehr ausdrücklich als Bedingung für eine Koalition mit der CDU im Bund genannt. Nach dem Interview ließ das Orakel aus München aber klarstellen, dass damit die Grenze von maximal 200.000 Flüchtlingen pro Jahr keinesfalls obsolet sei. Und wenn man statt „Obergrenze“ jetzt von „Kontingent“ spreche, dann sei das auch in Ordnung. Birgit Marschall aus unserem Berliner Büro hat versucht, die Aussagen des bayrischen Ministerpräsidenten zu sortieren.

Der Reiz von Daddelautomaten hat sich mir nie erschlossen. Auf Knöpfe drücken, damit Tomaten, Sonnen oder Kleeblätter sich drehen, weiterdrehen oder nicht mehr drehen? Während der Apparat Höllenmelodien dudelt? Und dafür auch noch Geld bezahlen? Aber tatsächlich sehen das manche Menschen ganz anders: Rund 9000 Spielotheken gibt es in Deutschland und  mehr als 300.000 Spielautomaten. 7,8 Milliarden Euro Jahresumsatz hat die Branche zuletzt erzielt und dem Staat dabei Steuereinnahmen von mehr als 1,8 Milliarden Euro eingebracht. Wäre eigentlich gar nicht so schlecht – wenn auf der anderen Seite der Bilanz nicht fast eine halbe Million Spielsüchtiger stünde. Zum 1. Dezember tritt daher eine Verschärfung des Glücksspielstaatsvertrags in Kraft, 70 Prozent der 4200 Spielhallen in NRW sollen dann von der Schließung bedroht sein. Mein Kollege Tobias Jochheim hat sich mit dem Geschäftsmodell der Branche beschäftigt und beim Selbstversuch in einer Spielhalle festgestellt, wie schnell man über sein eigenes Limit geht. Und weiter verliert.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche 

Stefan Weigel

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