Liebe/r Leser/in, der gestrige Wahlabend ist schnell erzählt: Die CDU hat zweimal haushoch verloren, die Grünen haben zweimal ordentlich gewonnen, die FDP könnte zweimal fast mitregieren, und die SPD bleibt in Mainz am Ruder und in Stuttgart ein Zwerg.
Und das sind die Konsequenzen für den Bund: Seit gestern, 18 Uhr, läuft ein SPD-Kanzlerkandidat durch Berlin, der sich besoffen hat am Siegersekt von Malu Dreyer. Olaf Scholz ist davon überzeugt, dass er im Bund eine Chance hat, Kanzler zu werden. Diese Überzeugung speist sich daraus, dass die SPD in Rheinland-Pfalz weiterregieren kann und in Baden-Württemberg vielleicht die Chance erhält, als Juniorpartner mitzuregieren. Aus beiden Umständen und dem schwachen Abschneiden der CDU leitet der Spitzenmann einer bundesweiten 16-Prozent-Partei einen Führungsanspruch ab. Das klingt eher tragisch.
Seit gestern, 18 Uhr, überlegen sich die Grünen, ob sie in Stuttgart die bequeme Koalition mit der CDU aufkündigen und stattdessen auf ein Bündnis mit SPD und FDP setzen sollten. Die Ampel wäre ein Signal für die vielen Grünen-Anhänger, die deutlich linker sind als Merkel-Freund Winfried Kretschmann. Und endlich hätten sie die CDU wieder auf Distanz, die inzwischen fest mit einem grünen Juniorpartner nach der Bundestagswahl rechnet.
Bei der CDU ist es genau so gekommen, wie viele befürchtet hatten: Weder in Mainz noch in Stuttgart vermochte sie die Wähler zu überzeugen. Nur die Tatsache, dass es so viele Briefwähler gab, die ihr Kreuz schon vor Wochen gemacht hatten, bewahrte die Partei wohl vor einem noch größeren Absturz. Denn den jüngsten Skandal um korrupte Unions-Abgeordnete im Bundestag kannten die meisten Briefwähler noch gar nicht, als sie abstimmten.
Für Armin Laschet ist die denkbar ungünstigste Situation eingetreten: Nur wenige Wochen nach seiner Wahl zum Parteichef geben ihm die Landtagswahlen keinerlei Rückenwind für die von ihm angestrebte Kanzlerkandidatur. Im Gegenteil: Malu Dreyer und Winfried Kretschmann können der Union jetzt genüsslich zeigen, wie man Koalitionen schmiedet, in denen die Farbe Schwarz gar nicht vorkommt.
Markus Söder, der machthungrige Löwe, schaut dem traurigen Schauspiel von München aus zu. Meine Einschätzung: Die Lage für die Union ist derzeit so verfahren, dass der bayerische Ministerpräsident auf eine eigene Kanzlerkandidatur gerne verzichtet.
Und während sich die Union weiter um sich selbst kümmert, wartet Deutschland auf Impfstoff, Selbsttests und besseres Wetter ...
Ich wünsche Ihnen trotz allem einen optimistischen Start in die Woche! |