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5 nach 12 - Was ist heute wichtig? Das Mittags-Update von WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt
Sehr geehrte Damen und Herren,
sie gehörten zum Corona-Alltag in Deutschland wie Erni und Bert zur Sesamstraße: die regelmäßige Lageeinschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) zur Entwicklung des Infektionsgeschehens. Nun wird dieses Informationsangebot eingestellt, auch das offenbar ein Teil der sogenannten „neuen Normalität“. Oder wie es RKI-Vizechef Lars Schaade formulierte: „Es gibt eine neue Phase der Pandemie.“ Daher werde die Behörde nur noch anlassbezogen Briefings anbieten (daher auch zum Abschied heute ein letztes Mal die RKI-Führung im Newsletterfoto). Ausgerechnet jetzt, wo Deutschland in die entscheidende Phase der Lockerungen eintritt, lockert das RKI seine Informationspolitik. Das könnte sich noch als großer Fehler erweisen.
RKI-Vize Lars Schaade
Was die aktuellen Zahlen angeht, so verzeichnete das RKI die höchste Zahl an Neuinfektionen in dieser Woche. Insgesamt waren am Donnerstag 166.091 infizierte Menschen gemeldet– ein Plus von 1284 seit dem Vortag. Bundesregierung und Ministerpräsidenten hatten gestern im Zusammenhang mit umfassenden Lockerungen der Corona-Maßnahmen auch einen Notfallmechanismus beschlossen, um zu verhindern, dass das Virus sich unkontrolliert ausbreiten kann. Liegt die Zahl der Neuinfektionen in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt über 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, muss die betroffene Region zurück in den Lockdown. Zuständig für die Erfassung sind die Gesundheitsämter vor Ort. Das RKI habe die Bundesregierung bei dieser Entscheidung beraten, sei aber bei der Festlegung der Zahlen nicht beteiligt gewesen, sagte Schaade. „Das ist ein pragmatischer Grenzwert, den ich auch grundsätzlich für sinnvoll halte.“ Es sei geübte Praxis, dass die Gesundheitsämter eine Situation vor Ort bewerten. Kontaktsuche, Quarantäne, Isolierung - das werde weiterlaufen.
 
Nach der 50-Neuinfektionen-Regel müssten derzeit zwei Regionen in Deutschland zurück in den Lockdown. Mit Stand Mittwoch, 6. Mai (0 Uhr) wären der Landkreis Greiz in Ostthüringen und die kreisfreie Stadt Rosenheim in Oberbayern gezwungen, wieder strengere Maßnahmen zu verhängen. Im knapp 100.000 Einwohner zählenden Kreis Greiz gab es in den letzten sieben Tagen demnach 84,6 Fälle pro 100.000 Einwohnern – die mit Abstand höchste Rate an Neuinfektionen deutschlandweit. Rosenheim (rund 63.000 Einwohner) auf Platz zwei wies in den vergangenen sieben Tagen hochgerechnet 52,1 Fälle pro 100.000 Einwohnern auf.
 
Markus Söder, der bereits vor der Konferenz von Kanzlerin und Ministerpräsidenten für Bayern einen Exitplan vorgelegt hatte, bleibt dennoch seiner Rolle als Deutschlands ermahnungsfreudigster Landespolitiker treu. Er forderte bei den Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen „mehr Besonnenheit, zu etwas längerer Zeit“. Corona sei „für den Tag unter Kontrolle“, sagt der CSU-Politiker den Kollegen vom ZDF. „Aber es gibt natürlich keine Entwarnung, denn wir haben keinen Impfstoff, wir haben keine Therapie. Ein bisschen wundere ich mich schon, mit welcher Geschwindigkeit jetzt – und zwar innerhalb von Tagen - wieder alles zugelassen werden soll.“ Bayern werde daher „alles etwas später machen als andere, weil ich glaube, wir müssen an der Stelle mehr mit Umsicht als mit Hektik reagieren“. Statt "Bayern first" also "Bayern last".
 
Eindringliche Mahnungen, man könnte auch von Revolte sprechen, kommen von namhaften CDU-Politikern zum Thema Grenzschließungen. Gerichtet sind sie an beziehungsweise gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und seine Entscheidung, die Grenzkontrollen und -schließungen zu verlängern. Zwölf CDU-Bundestags- und Europaabgeordnete, darunter Volker Kauder und Andreas Jung, fordern in einer gemeinsamen Stellungnahme die rasche Wiederöffnung der Grenzübergänge. „Nach über sieben Wochen muss Schluss sein mit Gitterzäunen und Schlagbäumen im Herzen Europas“, heißt es in dem Papier. „Eine Verlängerung bedeutet, dass Familien weiter getrennt, Pendler massiv behindert und jetzt auch noch Schulwege blockiert werden!“ Die wegen der Corona-Pandemie geltenden Schließungen der Grenzen mit der Schweiz, Frankreich und Luxemburg sofort aufzuheben. Spätestens zum 15. Mai müssten dann alle wegen der Krise verhängten Grenzbeschränkungen entfallen.

Bleiben Sie gesund,

Ihr



Ulf Poschardt


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