Lieber Herr Do, bitte verzeihen Sie, ich muss Ihnen diese Frage stellen: Schämen Sie sich denn gar nicht? Nein? Gut, dann gehören Sie sicher zu den Menschen, die ihre Ernährung inzwischen komplett umgestellt haben, strengstens vegan leben und Fleischvertilger für ignorante Hinterwäldler halten. Sie zählen täglich mit einem Fitness-Tracker Ihre Schritte – die Sie selbstverständlich in nur eine Richtung führen: steil nach oben. Aber natürlich immer schön step by step, die Fahrt per Aufzug ist für Sie tabu. Sie reisen auch längst nicht mehr mit dem Flugzeug zu Ihren Business-Terminen, geschweige denn mit dem Billigflieger in den Urlaub. Kreuzfahrten übers Mittelmeer? Niemals. Die gute Deutsche Bahn ist ja schließlich auch immer zur Stelle. Wenn auch nur selten pünktlich. Ihre Ausdrucksweise gleicht der eines hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten, niemals würde Ihnen ein billiger „Herrenwitz“ über die Lippen kommen. Schon gar nicht in Gegenwart von Frauen. Sie rauchen nicht, trennen vorschriftsmäßig Ihren Müll und fahren auf gar keinen Fall ein SUV. Niemals. Sie wollen sich ja nicht schämen müssen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich essen wir alle viel zu viel Fleisch, bewegen uns zu wenig, vermüllen unsere Umwelt. Unsere Autos sind zu protzig, unser Verhalten Frauen gegenüber leider viel zu häufig auch. Ist es doch traurige Realität, dass Frauen in so manch männlicher Umgebung nach wie vor wenig zu lachen haben. Es ist aber das, was man wohl „Zeitgeist“ nennt, das nervt. Fleisch-Scham, Flug-Scham, Konsum-Scham, Alter-weißer-Mann-Scham.
Wer heute noch immer nicht freitags für die Zukunft streikt, im Restaurant dafür weiterhin nach dem Zigeunerschnitzel verlangt, das dritte Geschlecht für einen Filmtitel von Orson Welles hält und durch die Innenstädte mit seinem Sport Utility Vehicle brettert, ist nichts weiter als ein aus der Zeit gefallener, gewissenloser, intoleranter Egoist. Und soll sich was schämen. |