| | | | | 22. Juni 2025 | | Prantls Blick | | Die politische Wochenschau | | | |
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| | | Prof. Dr. Heribert Prantl | | | |
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| | | wie soll jemals Frieden werden im Nahen Osten, wie soll Frieden werden in der Ukraine? Von Walter Benjamin stammt die Feststellung: âDass es âso weiterâ geht, ist die Katastrophe ⦠Die Rettung aber hält sich an den kleinen Sprung in der kontinuierlichen Katastrophe.â Der Poet und Sänger Leonard Cohen hat einen schmerzlich schönen Song auf diesen Sprung gedichtet: âThere is a crack, a crack in everything / Thatâs how the light gets in.â Es gilt also, mit dem Riss zu rechnen, durch den das Licht kommt â in der Ukraine und im Nahen Osten - wissend, dass er unberechenbar ist. Es gilt, die Möglichkeit zum Sprung zu suchen. Parteitage (wie der nächste SPD-Parteitag, der am kommenden Freitag beginnt) sind daher auch Rettungssprung-Suchtage. Sie sind, wenn es gut geht, Tage, an denen man darüber nachdenkt, wie das Immer-so-Weiter aufhören kann. Wenn es um die Ukraine geht, ist das Nachdenken über eine Friedensordnung in Europa jenseits des Kriegs unverzichtbar. Und dieses Nachdenken beginnt mit dem Gedanken, dass Moskau zu Europa gehört, so wie Mariupol, München, Marseille und Madrid. Madrid gehörte auch zur Zeit der Franco-Diktatur zu Europa; und die Strahlkraft des demokratischen Europas hat dazu beigetragen, diese Diktatur zu überwinden. Die Probleme auf dem Kontinent verschwinden nicht damit, dass man sich Russland als eine Art natürlichen ewigen Erbfeind in der Nachbarschaft denkt. Die Geographie lässt sich nicht ausblenden, die gemeinsame europäische Geschichte mit ihren Höhen und Tiefen auch nicht. Die Suche nach Frieden, nach einer gesamteuropäischen Friedensordnung kann und darf daher nicht als Irrweg, nicht als sinnloses Unterfangen bezeichnet werden â schon deswegen nicht, weil jeder andere Weg so gefährlich ist, dass er an ein Zeitenende führen kann. Worüber die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag nachdenken sollten âÃberall dröhnt der Ruf nach mehr Sicherheit, nach Abschreckung und Aufrüstung. Wer vermag den Frieden zu retten?â Kürzlich wurde mit diesen Worten das âFriedensgutachten 2025â vorgestellt. Es ist das gemeinsame Gutachten der deutschen Friedensforschungsinstitute, erscheint seit 1987 und heiÃt in diesem Jahr âFrieden retten!â Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachgebieten untersuchen darin internationale Konflikte aus einer friedensstrategischen Perspektive und geben Empfehlungen für die Politik. Auf fast jeder Seite finden sich sehr bedenkenswerte Erkenntnisse. Es lohnt sich daher, das diesjährige Gutachten ausführlich zu zitieren und zu studieren: âDie Idee, Sicherheit allein durch militaÌrische Abschreckung zu erreichen, greift zu kurz. Sie fuÌhrt in eine beklemmende Welt wechselseitiger AufruÌstung, in der schon kleine Fehler in den Untergang fuÌhren koÌnnen. Das ist eine der zentralen Lehren aus dem Kalten Krieg. Die RuÌstungswettlaÌufe zwischen den BloÌcken fuÌhrten die Welt mehrfach an den Rand der nuklearen Vernichtung, die teils nur durch schieres GluÌck vermieden werden konnte. Erst die Einsicht, dass man nur miteinander bestehen koÌnnte, also ein Gleichgewicht statt Dominanz angestrebt werden muÌsse, fuÌhrte zu ersten RuÌstungskontrollvertraÌgen und vorsichtigen KooperationsansaÌtzen, die die Situation stabilisierten. GegenwaÌrtig ist nicht klar, in welche langfristige Strategie die VerteidigungsfaÌhigkeit Deutschlands eingebettet und mit welchen diplomatischen Initiativen die regelbasierte Ordnung aufrechterhalten werden soll.â Es geht also darum, friedensfördernde Mechanismen in Gang zu setzen. Es wäre gut, wenn eine Partei wie die SPD, die eine groÃe friedenspolitische Tradition hat, auf ihrem Parteitag darüber nachdenken könnte. Es geht um âkollektive Sicherheitâ, nach der das Grundgesetz verlangt. Es geht um das Zusammenleben in Europa. | |
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| | | Wie die SPD wieder eine kluge Partei werden könnte | | |
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| Ich widme diesen Newsletter dem Angedenken meines SZ-Kollegen Hermann Unterstöger. Er konnte so unprätentiös grandios mit der deutschen Sprache umgehen wie kein anderer. Er war die Verkörperung der Süddeutschen Zeitung, wie ich sie immer geliebt habe. Unterstöger, der groÃartige Streiflichtautor und glänzende Sprachlaborist, ist kurz vor seinem 82. Geburtstag gestorben. Ich wünsche Ihnen gute Sommertage. | |
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| Heribert Prantl | | Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung |
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| | | | | | | Kein Stein auf dem anderen | | Ein Gutachten habe ich an dieser Stelle noch nie empfohlen. An dieser Stelle empfehle ich üblicherweise Sachbücher, Fachbücher und Ratgeber; ich empfehle bisweilen auch das, was man âschöngeistige Literaturâ nennt; manchmal auch Kinderbücher. Aber dieses Gutachten (in gedruckter Form 156 Seiten lang und als Buch im Transcript Verlag, Bielefeld, erschienen und dort auch kostenlos zum Download verfügbar) ist von allem etwas: Es ist ein Sach- und Fachbuch für äuÃere und innere Sicherheit, es ist ein Ratgeber für die Politik und es ist schön und geistvoll geschrieben, also eine Grundlage für profunde Gespräche. Es ist auf bestimmte Weise auch ein Kinderbuch, weil es darin letztlich um die Zukunft der nachfolgenden Generationen geht: Es geht um den Frieden, es geht darum, wie man ihn retten kann. Die vier deutschen Friedensforschungsinstitute (das BICC in Bonn, das IFSH in Hamburg, das INEF in Duisburg-Essen und das PRIF in Frankfurt am Main) haben es verfasst und es ist so substanziell und so klug, dass es nicht genügt, einfach daraus nur ein paar Sätze zu zitieren, wie ich es in meinem obigen Newsletter schon getan habe. Es ist wirklich eine Leseempfehlung wert; auf fast jeder Seite finden sich anregende, lucide, richtungsweisende Erkenntnisse und Empfehlungen. Das Gutachten beginnt mit der richtigen und hochaktuellen Feststellung, dass die USA unter der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps âlängst kein Ordnungsfaktor mehrâ sind, dass die neue Administration nicht nur die amerikanische Demokratie in Richtung Autokratie umbaut, sondern auch auÃenpolitisch kaum ein Stein auf dem anderen bleibt. Trump hat, so heiÃt es, ein neo-imperialistisches Verständnis der Welt, âdas nicht auf Vertrauen und Kooperation basiert, sondern auf engem Eigennutz, der auf kurzfristigen Vorteil setztâ. Dieses Politikverständnis weise viele Gemeinsamkeiten mit der Weltsicht von Wladimir Putin auf: âIhre Welt ist eine, in der die GroÃen sich nehmen, was sie wollen â und die Kleinen dies ertragen müssen.â Als Folge sei die transatlantische Partnerschaft, zentraler Pfeiler der regelbasierten Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg, an ihr Ende gekommen. Das Gutachten der Friedensforscher beschäftigt sich mit den Konsequenzen. Das ist beunruhigend, packend und wegweisend zugleich. Frieden retten! Friedensgutachten 2025. Autoren sind das Bonn International Centre für Conflict Studies, das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, das Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen und das Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main. Das Gutachten ist als Buch erschienen im transcript-Verlag, Bielefeld. Es hat 156 Seiten und kostet 15 Euro. Eine Datei im pdf-Format ist als kostenloser Download verfügbar. | | | | |
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| | | | | Was folgt, ist Chaos | | Der Text des Schriftstellers Navid Kermani ist das Allergescheiteste, das man zum Krieg Israels gegen Iran sagen kann. Kermani, 1967 als Sohn einer aus Iran eingewanderten Arztfamilie geboren, beschreibt in seinem Gastbeitrag die zerstörerischen Folgen des israelischen Angriffs für eine demokratische Zukunft Irans. âSollte es Netanjahu gelingen, tatsächlich die Amerikaner mit in den Krieg zu verwickeln, wird direkt oder indirekt auch die Nato mit hineingezogenâ, warnt Kermani. Es ist dies Netanjahu gelungen: Die Folgen des tonnenschweren US-Bunkerbrecher-Bombardements in Iran in der Nacht vom Samstag auf Sonntag sind unabsehbar. âUnd dann spätestensâ, so warnt Kermani, âklebt der Dreck auch an den Deutschen fest.â Zum Satz des deutschen Kanzlers Friedrich Merz über die Drecksarbeit, die Israel dem Westen abnehme, sagt Kermani mit aller wahren Klarheit und Schärfe: âWer Respekt vor der Drecksarbeit hat, Bomben auf Zivilisten abzuwerfen, ist selbst ein Dreckskerl.â | | | |
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| | | | | Meinung | | Kommentare, Kolumnen, Gastbeiträge und Leserdiskussionen im Ãberblick | |
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