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Liebe/r Leser/in,

um ehrlich zu sein: Ich hatte von Anfang an ein mieses Gefühl. Richard Burton lag oben auf der Mauer, die Suchscheinwerfer hatten ihn schon erfasst (siehe Foto). Er hätte nur springen müssen. Dann wäre er im Westen gewesen und hätte überlebt. Er aber zögerte, blickte zurück, machte kehrt und stieg die Mauer auf der östlichen Seite wieder hinunter. Getroffen sackte er zusammen, fiel neben seine erschossene Gefährtin. Bewegend – und sicher sehr anständig. Aber ich dachte: Er war ein guter Geheimagent. Den hätten wir noch brauchen können.

Der Spion, der aus der Kälte kam, starb auf der Leinwand 1965. Sein Schöpfer, der britische Schriftsteller John le Carré, setzte dann noch eins drauf und behauptete, die Welt der Spione sei grau und schmutzig. Sie habe gar nichts mit Glamour zu tun. Nichts mit aufregendem Sex, teuren Reisen und schnellen Autos. James Bond, so sein eiskaltes Urteil, sei einfach nicht realistisch. Was er damit anrichtete? Nun, er diskreditierte einen Berufsstand. Er erklärte Spione zu kaputten Typen, die verraten und verkauft werden. Die Spiele spielen, in denen es nur Verlierer gibt. Ich befürchte, dass den Geheimdiensten deshalb ein Heer talentierter Nachwuchs-Dunkelmänner und- frauen verloren ging. Wir werden nie erfahren, wie viele hochbegabte junge Menschen sich seither gegen ein Leben als Spitzel entschieden haben. Zumindest auf der westlichen Seite der Mauer.

Lange blieb dieser Fachkräftemangel unbemerkt. Die kalten Krieger gingen in Rente, die Konflikte erloschen, und alle Bösen waren irgendwann weg. Also schliefen die Guten ein und träumten von weißen Tauben. Jetzt sind sie wieder wach und sehen sich von Bösen und ihren Schattenarmeen umzingelt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz meldet, Deutschland werde derzeit besonders intensiv und aggressiv ausspioniert. Zwielichtige Mächte wie China oder Russland machen Jagd auf höchst sensible und leider mäßig geschützte Informationen. Wer glaubt, die geheimen Dienste würden sich heute nur noch auf Viren, Trojaner und künstliche Intelligenzen verlassen, die sie in unsere Laptops und Smartphones kriechen lassen, der sollte sich mal von Topagenten wie Jason Bourne oder Ethan Hunt aufklären lassen: Die Drecksarbeit machen immer noch Menschen.  Es sind Kundschafter, die uns auskundschaften. Es sind Verräter, die uns verraten. Und Deutschland, das weiß die Bundesregierung, gehört zu den beliebtesten Reisezielen von Spionen. Hin und wieder bitten wir ein paar Dutzend Mitarbeiter der russischen Botschaft, das Land zu verlassen. Wir könnten auch jeden zweiten Bewohner von Charlottenburg zur Ausreise drängen. Das würde Putin ebenso wenig beeindrucken. Nein, wer sich gegen Agenten wehren will, der braucht Agenten. Und die haben wir nicht mehr.

Kennen Sie etwa noch irgendjemand, dem Sie das Handwerk des Spionierens zutrauen? Außer Lothar Matthäus, der offenbar alle Geheimnisse der Bayernkabine kennt. Ich meine auch nicht den Nachbarn, der regelmäßig die Mülltonnen kontrolliert. Und schon gar nicht den abgehalfterten Chefredakteur, der seinen Mailmüll vermarktet. Das sind nur jämmerliche Gelegenheitsverräter. Ich meine die harten Typen. Die es draufhaben. Die intrigieren, manipulieren und sabotieren können. John le Carré, der selbst lange beim britischen Geheimdienst arbeitete, nannte sie schlicht die Halsabschneider – jene, die den Job erledigen.
Wenn da draußen zumindest noch einer von diesem Kaliber unterwegs ist, dann rufe ich ihm zu: Ich weiß Ihren Einsatz zu schätzen. Halten Sie durch. Bleiben Sie kalt, entschlossen und hart. Es ist mir egal, ob Sie Ihren Martini geschüttelt trinken oder gerührt. Aber nehmen Sie sich 007 ansonsten nicht zum Vorbild. Der ließ sich neulich freiwillig von Raketen treffen. Da hätte er auch die Mauer herabsteigen können. Auf der östlichen Seite.

Viel Erfolg bei Ihrer Mission in dieser Woche –

herzlich grüßt

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Markus Krischer,
stellvertretender Chefredakteur FOCUS Magazin

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