Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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11. Juni 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
„zu den Grundirrtümern der letzten Jahrzehnte gehört der Glaube, dass man Flüchtlinge wirklich gerecht sortieren könne: In ‚gute‘ Flüchtlinge, die aus politischen Gründen, und in ‚böse‘ Flüchtlinge, die aus wirtschaftlichen Gründen fliehen. Alle Anstrengungen wurden darauf gerichtet, alle sind sie gescheitert. Stets hat man die Probleme am Schwanz statt am Kopf gepackt. Mit Paragrafen hat man versucht, Schicksale zu verwalten. Wann wurde je mit gleicher Kraft versucht den Menschen dort zu helfen, wo sie das Schicksal trifft? Fluchtsituationen entstehen doch nicht deshalb, weil es die Bundesrepublik mit dem Grundrecht auf Asyl gibt“.

So steht es in meinem ersten Leitartikel zum Thema Asyl, der 1990 in der Süddeutschen Zeitung erschien - drei Jahre bevor dann das  Asylgrundrecht nach einer langen, wilden Debatte massiv eingeschränkt wurde. Es war dies damals mein erster großer Text über Migration, und er endete so: „Die Überlegungen zur Bekämpfung von Fluchtursachen stehen erst am Anfang. Man wird eine völlig neue Form von Entwicklungshilfe in einer völlig neuen Dimension erfinden, man wird gewaltige Hilfsprojekte in Angriff nehmen müssen. Es gibt nur eine Alternative: Wir können uns einmauern oder unseren Reichtum teilen“. Die europäische Politik hat sich nun endgültig für das Einmauern entschieden. Der Asyl-Kompromiss, der vom Europäischen Rat beschlossen wurde, lässt ein Asylrecht und den Flüchtlingsschutz nur noch dem Namen nach bestehen.

Vor dreißig Jahren war für den damaligen Kanzler Kohl die Änderung des Asylgrundrechts ein Akt der Staatsnotwehr gegen die Flüchtlinge. Angreifer waren jedoch nicht die Flüchtlinge, sondern die Neonazis und Ausländerfeinde. Ich war damals gegen den deutschen Asylkompromiss und ich bin heute gegen den europäischen Asylkompromiss. Ich war und bin dagegen, dass Asylpolitik gemacht wird nach dem Motto „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“. Menschen, Flüchtlinge, Flüchtlingsfamilien sind keine Späne. Ich war und bin dagegen, dass über Menschen mit juristischen Fiktionen entschieden wird. Zu den juristischen Fiktionen gehört das Modell der angeblich sicheren Herkunfts- und Drittstaaten, das vom EU-Asylkompromiss jetzt exzessiv ausgebaut wird. Ich war und bin dagegen, Flüchtlinge absichtlich schlecht zu behandeln, um auf diese Weise vermeintliche Anreize zu begrenzen. Ich war und bin gegen Haftlager, in die sogar Familien gesperrt werden. Ich war und bin dagegen, Flüchtlinge, wenn sie nicht aus der Ukraine kommen, als Menschen dritter Klasse zu behandeln. Solche politische Rohheit ist ansteckend. Ich bin für eine Flüchtlingspolitik, die von der Devise ausgeht: Handeln wir so, wie wir selbst behandelt werden wollten, wenn wir Flüchtlinge wären.

Und was hat es genutzt?
Seit über drei Jahrzehnten kommentiere ich jetzt zum Thema Migration. „Und was hat es genutzt?“, fragen mich meine Journalistenschülerinnen und Journalistenschüler, bei denen ich Kommentar-Unterricht halte. Ja, was hat es genutzt? Das habe ich mich bei den aktuellen Nachrichten über den europäischen Asylkompromiss auch gefragt. Aber: Wenn man gegen den Strom schwimmt, kann man nicht erwarten, dass der Strom deswegen seine Richtung ändert. Soll, muss ein Kommentator so vehement Partei ergreifen? Ja! Aber nicht für eine politische Partei, sondern für eine Sache, manchmal auch für eine Person; für die Grundrechte vor allem und im Zweifel: für die Schwachen. Es geht es um mein Selbstverständnis als politischer Journalist. Darüber habe ich in meinem neuen Buch nachgedacht, das in zwei Wochen erscheint. Es heißt „Mensch Prantl. Ein autobiographisches Kalendarium.“ Es ist ein Bekenntnis zu einem Satz, der in der Präambel der Schweizerischen Verfassung steht und der mir seit jeher gut gefällt: „Die Stärke eines Volks misst sich am Wohl der Schwachen.“ Das gilt auch für und in Europa.
SZPlus Prantls Blick
Kinder in Haft: Europa verrät seine Werte
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Ich wünsche Ihnen viel Sommersonne und Freude an den Heckenrosen im Garten oder auf dem Balkon.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Künstliche Intelligenz - Volle Dröhnung 
Wer von künstlicher Intelligenz nicht genug kriegen kann, wer die KI rechtlich durchdringen will und dabei die volle Dröhnung braucht, hier ist sie: ziegelsteinschwer, 1 350 Seiten dick, allein das Stichwortverzeichnis umfasst 31 Seiten. „Chat-GPT“ ist noch nicht dabei, das gewichtige Buch kam Anfang 2022 auf den Markt, also Ante Chat GPT Natum. Aber ansonsten haben weit über hundert Bearbeiter fast alles zusammengetragen und analysiert, was über „Recht und Praxis automatisierter und autonomer Systeme“ zu sagen ist. Von einer „Gesamtdarstellung der Materie“ sprechen die drei Herausgeber im Vorwort. Das Ganze geht vom automatisierten Fahren und vom Deep Learning bis hin zu Sexrobotern und zu Upload-Filtern. Das Werk ist natürlich zum Nachschlagen, nicht zum Von-vorn-bis-hinten-Lesen. Das Ganze ist auch nicht billig, es kostet 158 Euro. 

Wer es billiger, lesbarer und süffiger haben will, der greife zu einem anderen Werk mit anderem Anspruch, einem wunderbaren Taschenbuch von Katharina Zweig, Informatikprofessorin an der TU in Kaiserslautern. Sie hat dort den Studiengang „Sozioinformatik“ ins Leben gerufen. Ihr Buch „Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl“ ist mittlerweile in der fünften Auflage erschienen. Sie wolle, so schreibt sie im Vorwort, ihre Leserinnen und Leser ermächtigen, ihnen „das Gefühl des Kontrollverlusts nehmen, das viele beschleicht, wenn es um Algorithmen geht“. Es gelingt ihr! Katharina Zweig gelingt ein packender KI-Grundkurs. Es erinnert mich an ein Büchlein, das Jura-Studierende seit jeher am Beginn ihres Studiums kaufen und das mittlerweile eine Million Auflage hat: „BGB – leicht gemacht“.  Sehr empfehlenswert: KI – leicht gemacht.   

Chibanguza/Kuß/Steege: Künstliche Intelligenz. Recht und Praxis automatisierter und autonomer Systeme. Das Buch ist 2022 im Verlag Nomos erschienen, es hat 1 350 Seiten und kostet 158 Euro. 
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Katharina Zweig: Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl. Wo künstliche Intelligenz sich irrt, warum uns das betrifft und was wir dagegen tun können. Das Taschenbuch ist bei Heyne mittlerweile in der 5. Auflage erschienen, es hat 319 Seiten und kostet 20 Euro. Die Originalausgabe stammt aus dem Jahr 2019.
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Man nennt ihn „Mütze“
Man nennt ihn „Mütze“ – Kanzler Scholz kann sich die Finger schlecken, dass er so einen hat wie ihn: Rolf Mützenich, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, ist ein geradliniger, aufrechter Mann ohne Falsch und Tadel. Er widerlegt so ziemlich alle Vorurteile, die es gegen Politiker gibt. Er ist uneitel, ihn drängt es in den Bundestag, nicht in die Talkshows, er ist ein harter, kluger und fleißiger Arbeiter – mit spannendem Background: Er ist Köln geboren, stammt aus einer Arbeiterfamilie, war der erste seiner Familie, der studiert hat. Promoviert hat er beim Friedensforscher Dieter Senghaas über „Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik“. Einflussreich ist er auch deshalb, weil er seinen Einfluss nicht herausstellt. In Kürze wird Mützenich 64, für den nächsten Bundestag will er nicht mehr kandidieren. Wird er die ganze Legislaturperiode lang noch Frationschef bleiben oder beerbt ihn Matthias Miersch? Diese Frage nutzt der Kollege Georg Ismar in der SZ vom vergangenen Dienstag zu einem spannenden Blick in die Maschinerie der SPD.
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