Sehr geehrter Herr Do,
es ist eine der dämlichsten Entwicklungen in einer an dämlichen Entwicklungen nicht armen Zeit: Ihr Name lautet „kulturelle Aneignung“ und hat inzwischen einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Mit dem Begriff ist die „Übernahme eines Bestandteils einer Kultur von Trägern einer anderen Kultur oder Identität“ gemeint. In der Praxis sieht das dann so aus, dass sich Eltern inzwischen beschimpfen lassen müssen, wenn sie ihre Kleinen im Fasching in ein Indianerkostüm stecken. Aber auch auf der großen Bühne ist „kulturelle Aneignung“ ein Thema: Popstar Billie Eilish wird im Netz angefeindet, weil sie aus Coolness-Gründen mit „schwarzem“ Akzent singe und ihre Übergrößen-Outfits aus der afroamerikanischen Streetwear der 1990er- und der Nullerjahre übernommen habe. Der Vorwurf zielt auf Bereicherung an fremden ästhetischen Ressourcen, kurz: auf kulturelle Aneignung. In Erinnerung ist auch noch der Fall der Sängerin Ronja Maltzahn, die auf einer „Fridays For Future“-Demo auftreten sollte und dann von den Veranstaltern wieder ausgeladen wurde. Offizielle Begründung: „Es ist für uns nicht vertretbar, eine weiße Person mit Dreadlocks auf unserer Bühne zu haben.“ Man bot der Künstlerin großmütig an, sich vorab die Haare zu schneiden, dann stünde einem Engagement nichts mehr im Wege (ich berichtete an dieser Stelle über den absurden Fall).
Nun sorgt ein weiteres Beispiel der kulturellen Zensur für Aufsehen. Mittendrin: Münchens ehemaliger Oberbürgermeister Christian Ude. Der Kommunalpolitiker im Ruhestand, für seinen Humor und seine tolerante Stadtpolitik bundesweit geachtet, machte jetzt seinem Ärger über die neue Verbotskultur freie Luft. In einem gepfefferten Social-Media-Kommentar verurteilte der 74-Jährige, der von 1993 bis 2014 unangefochten die bayerische Landeshauptstadt regiert hatte, die Entscheidung eines Schweizer Konzertveranstalters, der einen Auftritt der Band „Lauwarm“ nach Zuschauerprotesten abgebrochen hat. Alt-OB Ude? Lauwarm? Kulturelle Aneignung?

Der Reihe nach: Am Abend des 18. Juli versammelte sich auf der Bühne einer Berner Brasserie („Lorraine“) die Schweizer Reggae-Band „Lauwarm“ zu einem musikalischen Gastspiel. Die Stimmung wird als entspannt und heiter beschrieben, bis sich in der Konzertpause einige Zuschauer beim Veranstalter über die Musiker beschwerten. Stichwort: kulturelle Aneignung. Die Beschwerdeführer fühlten demnach „Unwohlsein mit der Situation“, weil zwei Band-Mitglieder Rastafrisuren trügen, die Combo außerdem jamaikanische Reggae-Mucke spiele und die Musiker dabei auch noch bunte Kleider aus Sambia und Gambia trügen. Und das als Weiße.
Credit: @lauwarm_music
Der Veranstalter entschied sich daraufhin, das Konzert abzubrechen. Erst berichteten nur Schweizer Medien über den Vorfall, inzwischen zieht die Geschichte vom abruptem Konzert-Ende weite Kreise. Auch in den sozialen Medien. So zeigt sich etwa der Münchner SPD-Stadtrat, Kabarettist und Liedermacher Roland Hefter entsetzt über diesen willkürlichen Akt der Zensur und fordert in seinem Facebook-Beitrag explizit zur Aneignung fremder Kulturen auf: „Einige Teile unserer Gesellschaft sind so krank, dass mir die Worte fehlen. Wir brauchen ‚kulturelle Aneignung‘! Nur so kann man mit Kultur die Welt, das Verständnis und die Freundschaft von Menschen aus verschiedenen Kulturen voranbringen. Europäische Bands spielen Reggae, Country und Blues. Arabische Musiker spielen Beethoven und Mozart und am besten alle miteinander – und das ist gut so! Deutsche Köche kochen israelische Spezialitäten und umgekehrt. Ich freu mich über jeden Afrikaner oder Chinesen in Lederhose und Dirndl und jeden Jugendlichen, egal wo er herkommt, wenn er Dreadlocks und Rastalocken trägt, wenn es ihm gefällt. Kultur wird von Menschen für Menschen gemacht – und zwar für alle Menschen.“

Eine der prominenten Stimmen, die den Beitrag von Roland Halfter kommentieren, stammt von Alt-OB Christian Ude. 
Unter den Post schreibt er: „Lieber Roland, herzlichen Dank für Deine erfrischenden Worte. Ohne ,kulturelle Aneignung‘ gäbe es keinen Jazz in Europa. Davon haben in meiner Jugend alte Nazis geträumt. Und nur die Spießer von der ,Sauberen Leinwand‘ waren so sittenstreng und verbotsfreudig wie heute die Sittenwächter der woke-Generation. Immerhin durfte man damals aber noch unbeanstandet aussprechen, dass es überhaupt Männer und Frauen gibt…“   Zur Einordnung: Ude, einer der Vorreiter der „Christopher Street Day“-Bewegung in bundesdeutschen Großstädten, kritisiert hier die sogenannte „Woke-Bewegung“ mit klaren Worten und vergleicht deren zunehmende Lust an der Zensur mit der „Aktion Saubere Leinwand“, einer erzkonservativen Initiative, die in den 1960er-Jahren die Kinoleinwände der Republik vor „Schmutz und Schund“ bewahren wollte und dabei so restriktiv vorging, dass sich sogar die katholische Kirche davon distanzierte. 
Szene aus "Das Schweigen" von Ingmar Bergmann (1963). Durch seine provozierende Darstellung von Sexualität sorgte Ingmar Bergman für Furore und einen handfesten Skandal. Besonders die Masturbationsszene von Ingrid Thulin erregte die Gemüter.
Credit: Arthaus
Der Berner Konzertveranstalter veröffentlichte im Nachgang übrigens noch folgendes Statement, um sein drastisches Verhalten zu begründen: „Wir möchten uns bei allen Menschen entschuldigen, bei denen das Konzert schlechte Gefühle ausgelöst hat. Wir haben es verpasst, uns im Vorhinein genug damit auseinanderzusetzen und euch zu schützen“, heißt es in einem Facebook-Posting der Brasserie.

Ohne Worte.

Viele Worte schenkten Sie mir als Reaktion auf meinen Newsletter von vergangener Woche. Ich hatte Sie dazu aufgefordert, mir Ihre Meinung zum Thema „Energiesparen als oberste Bürgerpflicht“ zu schreiben. Und wie ich feststellen durfte, bewegt die ungewisse Energie-Zukunft viele von uns – nicht nur mich. Michael K. schrieb mir dazu: „Sparen ist in unserer Gesellschaft nicht gewünscht. Richard David Precht hat es letztens so richtig formuliert. Unser Gesellschaftssystem ist nicht an Bedürfnisdeckung, sondern an Bedürfnisweckung orientiert. Die Menschen sollen kaufen, kaufen, kaufen... Dass dies der Nachhaltigkeit konträr entgegensteht und zudem ökologisch höchst fragwürdig ist (man denke nur an die unendlichen Berge von Müll in den Ozeanen und anderswo), steht wohl außer Frage. Es gab aber zu allen Zeiten Menschen, die sich dem widersetzten und sich nicht einspannen ließen in diesen Kreislauf von Kaufen und Wegwerfen. Die sparsam mit unseren natürlichen Ressourcen umgingen und Gebrauchtes lieber veräußerten oder verschenkten, statt es wegzuschmeißen (Buchtipp „Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit“ von Annette Kehnel). Diese Menschen, und ich möchte mich dazu zählen, werden kein Problem damit haben, sich auch in Zukunft einzuschränken. Es ist für mich also eine Frage der Gesinnung, ganz unabhängig davon, ob im Osten Europas jetzt ein Krieg tobt oder nicht.“ 

Chris S. sieht hier die Bundesregierung in der Pflicht: „Ich wünsche und hoffe, dass unsere Bundesregierung die Umstellung zum energetischen Beheizen von Wohnraum und für Warmwasser noch stärker fördert, damit möglichst viele Hausbesitzer, gleich wohl für Eigennutzung als auch Vermietung, die Warmwasserversorgung und Beheizung umstellen können und damit der Abschied von den fossilen Brennstoffen eingeläutet wird.“ Und Jan M. richtet einen Appell an den PLAYBOY-Chefredakteur: „Der sinnvolle und sparsame Umgang mit natürlichen Ressourcen sollte immer erste Bürgerpflicht sein. Natürlich sind Sie der Chefredakteur eines Lifestyle-Magazins und Konsum bzw. die Werbung für Konsum ist die Grundlage Ihrer wirtschaftlichen Existenz. Daher müssen Sie diesen ja auch propagieren. Allerdings könnten Sie ja auch intelligenten Konsum fördern, anstatt immer noch den Zeiten von Mad Men nachzutrauern. Und auch der Chef eines Herrenmagazins darf modern sein. Das tut nicht weh. Und falls Sie sich doch lieber nach alten Zeiten zurücksehnen, der Club of Rome hat seinen Bericht Grenzen des Wachstums schon 1972 veröffentlicht. Ist immer noch erstaunlich aktuell.“
Credit: Lions Gate / AMC
Aktuell ist übrigens auch, was ich Ihnen jetzt als meine Highlights der Woche vorstellen möchte. 

Viel Vergnügen,
Ihr
Florian Boitin, Chefredakteur
boitin@playboy.de
 
 

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NOCH MEHR SPASS
 
 
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