es ist noch gar nicht so lange her, dass ich das letzte Mal „ich sehe was, was du nicht siehst“ gespielt habe. Es war bei den Olympischen Spielen und ich habe „was gesehen, das war fest“. Oder nicht? Es ging um die Kruppenpartie eines Dressurpferdes, bei dem ich der Meinung war, sie sei fest. Ich hatte auch ein paar Argumente: Der Galopp hinten eher etwas hackend gesprungen, die Passage hinten mehr Schritt als Trab, und das Maul – naja, viel Schaum, was heißt das schon? Die Kandare fiel zumindest deutlich durch. 45-Grad-Winkel werden ja auch überbewertet. Lehrbücher sowieso.
Ich hätte gern gegrübelt und nach weiteren Indizien für meine Feststellung (oder Mutmaßung) gesucht. Allein – die Zeit reichte nicht. Denn ich sah schon wieder etwas, das andere nicht sahen, diesmal vorn. Schwang da nicht das Bein vorne links deutlich höher aus als vorne rechts? Ist Takt nicht „Gleichmaß der Bewegung“? Ist taktmäßig aber ungleichmäßig hoch eine 8? Eine 7? Gar eine 9? Oder doch eher eine 6? Es ist tendenziell eine 8, das belehrte mich der Blick in die parallel eingeblendete höchstrichterliche Urteilsfindung.
Und so ging das fröhlich weiter. Als ich gerade schon an mir zu zweifeln begann, fiel mir eine Begegnung mit Prof. Dr. Inga Wolframm ein im Rahmen der Dressur-Europameisterschaften in Riesenbeck im vergangenen Jahr. Die Sportwissenschaftlerin berichtete damals einer ausgesuchten Zahl von Journalistinnen und Journalisten aus ihrem Forschungsalltag. Schon lange beschäftigt sie sich mit unterschiedlichen Aspekten der (Dressur-)Reiterei. Und auch mit dem Beurteilen, dem Richten. Sie hat nicht nur untersucht, wohin Richterinnen und Richter bevorzugt gucken, sie kann auch erklären, warum unser Hirn gar nicht in der Lage ist, alles zu erfassen. Und dass es sich einen Ausweg baut, um gewisse Situationen so gut wie möglich beurteilen zu können. Eine Abkürzung.
Das hat sie nun im ersten #doitride-Talk nochmal erläutert und sich dabei mit Reitmeister Martin Plewa und Dr. Carsten Munk von der Deutschen Richtervereinigung ausgetauscht. Moderiert von Karolin Leszinski von der Reiter Revue kam es zu einer mehr als einstündigen Diskussion – unser Tipp für diese Woche (siehe unten).
Beste Grüße aus Hamburg,