Die hohen Inflationsraten haben auch ihr Gutes – jedenfalls für manche... Liebe Leserin, lieber Leser, die Staatsschulden sind während der Pandemie stark gestiegen, und zwar weltweit. Die Regierungen sahen sich gezwungen mit Hilfsmaßnahmen und höheren Staatsausgaben dem massiven Wirtschaftseinbruch entgegen zu steuern, bzw. die strukturellen Schäden durch die Krise zu begrenzen. Nicht alle Staaten waren dazu finanziell in der Lage, aber gerade in den Industrieländern wurden enorme Anstrengungen unternommen. Das spiegelt sich auch in der Entwicklung der Staatsschulden wider. In Deutschland sind diese von 2019 bis 2022 von 1.900 auf 2.367 Mrd. Euro, also um fast 25 Prozent gestiegen. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt BIP gerechnet belief sich der Anstieg von 59,8 auf 67,2 Prozent. Auch andere Länder und Regionen erlebten eine starke Zunahme der Schulden, wie die Grafik zeigt:
Ausdrücklich oder implizit steckte hinter der schuldenfinanzierten Krisenbewältigung die Annahme, dass sich die Schulden durch höheres Wachstum nach der Krise quasi automatisch wieder abbauen ließen. Das hat ja auch nach der Finanzkrise von 2008 und der Eurokrise von 2011 in vielen Ländern geklappt. In Deutschland z.B. sanken die Staatsschulden in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von 82 Prozent im Jahr 2010 auf 60 Prozent im Jahr 2019.
Die Schulden sind nur schwer wieder abzubauen Doch gelingt das auch diesmal wieder? Kurz- und mittelfristig können daran Zweifel aufkommen, und zwar aus mehreren Gründen: 1. Nicht nur wegen des gestiegenen Schuldenniveaus auch wegen der stark erhöhten Zinsen nimmt die Zinslast für die Staatshaushalte zu, besonders wenn alte Schulden durch neue ersetzt werden müssen. 2. Die Folgen der Corona-Krise werden vielfach erst jetzt bei den Staatseinnahmen wirklich spürbar. Sinkende oder langsamer steigende Steuereinnahmen führen aber dazu, dass ein immer größerer Anteil des laufenden Haushalts für Zinszahlungen draufgeht. 3. Die Konjunktur kommt aus verschiedenen Gründen nicht so schnell wieder in Schwung wie erhofft, es braucht aber Wachstum zur Verringerung der Schuldenquote und zur Erhöhung der Staatseinnahmen. Ist das ein Cocktail, der eine neue Schuldenkrise verursachen kann? Zur Beantwortung dieser Frage muss ich etwas ausholen, aber um die Antwort schon einmal vorauszuschicken: Derzeit sieht es nicht danach aus, und das ist nicht zuletzt der hohen Inflation zu "verdanken". Denn Inflation erleichtert es den Staaten die Schuldenlast zu tragen. Das Problem bei hohen Schulden ist nämlich generell nicht der absolute Stand der Verschuldung, sondern die Schuldentragfähigkeit. Vereinfacht gesagt: Solange die Zinsen gezahlt und Tilgungen vorgenommen bzw. alte durch neue Schulden ersetzt werden können, kommt es nicht zu einer Schuldenkrise, der Gläubiger bleibt zahlungsfähig. Vereinfacht gesagt steigt der Schuldenstand in Relation zum BIP, wenn das nominale Wirtschaftswachstum geringer ist als der durchschnittliche Zinssatz der Staatsschulden. In diesem Fall müssen Gelder aus dem Staatshaushalt aufgewendet werden, um die Schulden zu bedienen. Das kann zu einem Schneeballeffekt führen, sprich: Der finanzielle Handlungsspielraum des Staates sinkt und er kann daher immer weniger investieren, um die Wachstumsbedingungen zu verbessern. Das kann in einer Schuldenfalle enden. Umgekehrt gilt: Ist das nominale Wachstum höher als der Zinssatz, dann sinken die Schulden in Relation zum BIP. Faktisch erzielt der Staat nominal höhere Steuereinnahmen, während die Zinszahlungen nicht mitwachsen. Dabei ist ganz wichtig zu verstehen, dass dieser Effekt durch eine hohe Inflation verstärkt wird, denn die nominale Wachstumsrate setzt sich aus der realen Wachstumsrate und der Inflation zusammen. Aktuell sinken daher in vielen Ländern nicht zuletzt wegen der hohen Inflation die Schuldenquoten, wie auch die Prognosen des IWF in der Grafik oben zeigen. Das heißt, die Schulden sinken nicht absolut gesehen, vielfach steigen sie sogar weiter an, aber das BIP wächst dank der Inflation noch schneller. Haushaltsdisziplin und Schuldenstruktur sind wichtig Doch ganz so einfach sind die Zusammenhänge natürlich nicht, es gibt weitere Faktoren, die eine Rolle spielen: 1. Der Primärüberschuss (also der Saldo des Staatshaushalts vor Nettokreditaufnahme und Zinszahlungen) wirkt sich ebenfalls auf die Entwicklung des Schuldenstands aus. Je höher der Primärüberschuss, umso stärker sinkt die Schuldenquote – und umgekehrt. Die Haushaltsdisziplin der einzelnen Länder spielt also eine wichtige Rolle beim Schuldenabbau. 2. Die stark gestiegenen Zinsen wirken sich erst allmählich auf die Staatshaushalte aus, denn sie werden ja nur bei neu aufgenommenen Schulden fällig. Die Haushalte von Staaten, die in nächster Zeit viele Schulden refinanzieren müssen, wo also viele Anleihen auslaufen, stehen daher stärker unter Druck. 3. Die absolute Höhe der Staatsschulden, sprich die Sünden der Vergangenheit spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Je höher die Zinszahlungen bereits sind, umso stärker wirken sich steigende Zinsen für neue Schulden aus. Die Situation in der EU Die Analysten der DekaBank haben in einer Studie unter den genannten Gesichtspunkten die Schuldensituation der EU-Länder unter die Lupe genommen. Deutschland steht hier gar nicht so gut da, nicht zuletzt weil in nächster Zeit ein hoher Refinanzierungsbedarf besteht und die höheren Zinsen dadurch auf den Haushalt schneller durchschlagen als in manchen anderen Ländern. Unter den großen EU-Ländern ist in dieser Hinsicht neben Deutschland besonders Italien anfällig. Dafür sticht das ehemalige (und vielleicht auch aktuelle) Problemland bei der aktuellen Haushaltspolitik positiv heraus, denn diese trägt aktuell zum Rückgang der Schuldenquote bei, ebenso wie in Irland, Portugal und Griechenland. Frankreich und Belgien machen hier gerade das Gegenteil und erhöhen durch neue Kredite ihre ohnehin hohen Schuldenquoten. Immerhin weist ein Drittel der EU-Staaten eine sinkende Schuldenquote bei einem bereits relativ niedrigen Schuldenstand auf, darunter Deutschland, Österreich und Irland. Aber was nützt das, wenn einzelne Länder in Schieflage kommen und am Anleihemarkt gegen diese Länder gewettet wird wie während der Eurokrise? Dann können alle Länder in den Sog geraten, vor allem die mit einer geringen Haushaltsdisziplin. Doch die EZB hat dazu gelernt, wie eine solche Krise verhindert bzw. eingedämmt werden kann, das Instrumentarium ist hier deutlich besser als während der Eurokrise. Ausschließen kann man nichts, aber aus dieser Richtung droht aktuell nur eine geringe Gefahr. Zumal die EU inzwischen zumindest in Teilen gemeinsam finanzierte Ausgabenprogramme wie Next-Generation aufgelegt hat, durch die vor allem in den haushaltspolitischen Problemländern die Wachstumsbasis erhöht wird. Das größte Risiko ist ein politisches: Sollten Länder wie Frankreich u.a. weiterhin den Eindruck erwecken, an einer soliden Finanzpolitik nicht interessiert zu sein, dann könnte das Reaktionen an den Märkten zur Folge haben, durch die die Anleihemärkte unter Druck gesetzt werden und die Zinsen für neue Schulden weiter steigen. Mein Fazit Das Risiko einer neuen Schuldenkrise sollte nicht vernachlässigt werden. Akute Anzeichen dafür gibt es aber nicht und vorbereiten kann man sich darauf ohnehin kaum. Für mich ergibt sich aus der Analyse aber vor allem diese Schlussfolgerung: Regierungen und Notenbanken können nicht wirklich an einer zu starken Verringerung der Inflationsrate und an zu stark steigenden Zinsen interessiert sein. Denn neben den negativen Effekten für das Wachstum würde sich dadurch auch die Schuldentragfähigkeit vieler Staaten verschlechtern, möglicherweise über einen Kipppunkt hinaus. Wohl auch deswegen rechnen einer Studie der Fondsgesellschaft Invesco zufolge mehr als 85 Prozent der befragten Staatsfonds und Notenbanken damit, dass die Inflation im kommenden Jahrzehnt höher sein wird als im letzten. Als Anleger solltest Du Dich darauf einstellen, indem Du weiterhin in Sachwerte wie Aktien und Immobilien investierst, denn nur diese werfen langfristig eine Rendite ab, die deutlich über der Inflationsrate liegt. Anleihen können anders als bis vor kurzem eine gute Ergänzung in einem ausgewogenen Portfolio sein, mehr aber nicht.
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Herzliche Grüße und bis kommende Woche
Dein Lars Erichsen Chefredakteur Rendite-Report www.rendite-report.de |