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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Mittwoch, 31.03.2021 | Leicht bewölkte, aber sonnige 22°C. | ||
+ Virologe Drosten ruft nach dem „Holzhammer“ + Berlin verteilt kostenlos 1,6 Millionen FFP-2-Masken + Verwaltung drängte Schulleitungen ultimativ zu Astrazeneca + |
von Lorenz Maroldt |
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Guten Morgen, es waren unfassbare Szenen, die sich gestern in Berlin abspielten. Der Tag begann mit der fürsorglichen Meldung „Bundesregierung rät zur Gartenarbeit“ – als Ersatz für die geschlossenen Sportstudios. Da öffneten die Betonstädter ihre Türen und versammelten sich bei 20 Grad und Sonnenschein überall in den Parks, umarmten und küssten sich, ließen die Flaschen kreisen und pfiffen auf Corona, den Senat und die Welt. Am Abend dann, die dritte Welle wurde immer steiler, ein Impfstoff aus dem Verkehr gezogen, ein wirksamer Lockdown abgelehnt, deklamierte Angela Merkel: „Der Prozess des Nachdenkens ist noch nicht abgeschlossen.“ Heureka. Vielleicht könnten die Kanzlerin und der Relativierende Bürgermeister Corona um ein Moratorium bitten, bis in diesem Prozess mal ein Urteil fällt? | |||
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Denn je länger das Virus wütet, desto wütender werden die Leute – und zwar auf die Politik. „Die Lage ist ernst“, nennt der NDR die neuste Folge seines Corona-Podcasts mit Christian Drosten. „Der Begriff der Dauerwelle gehört in den Friseursalon und nicht in die Infektionsepidemiologie“, sagt da der Virologe, „wir kennen diesen Begriff dort überhaupt nicht.“ Was Drosten dagegen kennt: das Wort „Holzhammer“ – und den hält er jetzt für erforderlich: „Ich glaube, es wird nicht ohne einen neuen Lockdown gehen.“ | |||
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Auch Bürgermeister Klaus Lederer schreibt (Bezug nehmend auf die jüngsten Senatsbeschlüsse): „Mit jedem Tag wird leider klarer: Das genügt nicht, um die dritte Welle zu brechen.“ Ausgangssperren lehnt er als „hilflos und rein symbolisch“ ab: „Wir müssen Verhältnisse ändern, damit Menschen ihr Verhalten ändern können.“ Der Kultusenator befindet sich derzeit in Quarantäne, die Folgen einer Bundesratssitzung. Hier können Sie mal sehen, was er sieht, wenn er aus seinem Fenster schaut. | |||
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Und dann haben wir noch drei führende Mediziner der Hauptstadtregion nach ihrer Meinung gefragt – die Antworten sind so klar wie ein Fläschchen Impfstoff: Sie fordern einen landesweiten Lockdown – Geschäfte, Schulen und Verkehr müssten heruntergefahren, Kontakte drastisch reduziert werden. + Rüdiger Heicappell, Impfarzt und Direktor der Asklepios-Klinik im märkischen Schwedt (hat bereits mehr als 1000 Menschen in Berlin und Brandenburg geimpft): „Wir befinden uns in einem biologischen Kriegszustand. Es kann nicht sein, dass jeder Dorfschulze entscheiden kann, ob Atomwaffen oder Pfeil und Bogen eingesetzt werden. Wir müssen drei Wochen alles herunterfahren, am besten bundesweit. Und in dieser Zeit gewissenhaft das Massenimpfen vorbereiten.“ + Jörg Weimann, Chefarzt und Experte für Intensivmedizin der Berliner Ärztekammer: „Wird kein harter Lockdown verhängt, werden sich die Krankenhausbetten rasant mit Covid-19-Patienten füllen. Unabhängig vom Chaos um den Astrazeneca-Impfstoff braucht das Land jetzt eine Pause von zumindest drei Wochen.“ + Patrick Larscheid, Amtsarzt in Reinickendorf: „Jetzt nützen nur noch schärfere Schutzmaßnahmen. Ein dreiwöchiger Stopp kann verhindern, dass sich die Lage dramatisch zuspitzt.“ Für die Impfkampagne gibt es jetzt übrigens Larscheid-Videos in 15 Sprachen (u.a. in Tigrinya, Urdu, Farsi) – und damit er gleich als Arzt erkannt wird, hat sich „Pätrick“ (so stellt er sich jedenfalls vor) ein Stethoskop umgehängt. | |||
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Ach, und jetzt hätten wir beinahe den Senat vergessen – der hat nämlich gestern getagt. Geredet wurde viel (u.a. über ein nächtliches „Grüppchen-Verbot“), beschlossen wurde nichts (anders als in Brandenburg, wo über Ostern eine Ausgangssperre verhängt ist). Zahl der Senatsmitglieder, die sich derzeit im Urlaub befinden: 4 von 11. | |||
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Was die Polizei uns verschwieg, als wir vor ein paar Tagen nach dem Impfstand fragten (CP vom 27.3. und vom 29.3.): Die Behörde hatte alle Astrazeneca-Termine für ihre Belegschaft bereits vor einer Woche gestoppt. Die Schulverwaltung drängte dagegen die Leitungen weiterführender Schulen noch am Freitag, alle Beschäftigten mit Astrazeneca impfen zu lassen – andernfalls würden sie zurückgestuft. Hier Auszüge aus einer Mail der Schulaufsicht Steglitz-Zehlendorf, die dem Checkpoint vorliegt: „Das Impfangebot besteht nur für die Impfung mit diesem Impfstoff. Es besteht an dieser Stelle keine Wahlfreiheit. Wenn das Angebot von den Beschäftigten nicht angenommen wird, ‚rutschen‘ diese Personen wieder in die Impfgruppe 3 und müssen warten, bis diese Gruppe an der Reihe ist. Durch dieses Impfangebot sind die Beschäftigten in die Gruppe 2 bevorzugt aufgenommen worden. Dieses Privileg sollte allen noch einmal verdeutlich werden.“ Am Tag zuvor, bei der großen Videokonferenz von Staatssekretärin Beate Stoffers mit 700 Schulleitungen, hatte Charité-Professor Frank Mockenhaupt noch behauptet: „Alle drei Impfstoffe sind super. Das einzige Problem von Astrazeneca ist die schlechte Presse.“ Gestern dann stoppte ausgerechnet Mockenhaupts Charité als erste Klinik die Astrazeneca-Impfung ihrer eigenen Belegschaft – wegen weiterer Fälle gefährlicher Hirnvenenthrombosen, die mit Astrazeneca in Verbindung gebracht werden. Betroffen davon waren bisher ausschließlich Frauen unter 60. Der Frauenanteil an den Berliner Lehrkräften liegt bei 70%. Vollends kurios wird die Sache vor dem Hintergrund einer anderen Mail, die von der Bildungsverwaltung am Dienstag vergangener Woche, also am 23.3., an die Schulleitungen aller öffentlichen weiterführenden und beruflichen Schulen sowie die Referatsleitungen der Schulaufsicht ging (liegt dem Checkpoint ebenfalls vor) – darin schreibt der Referatsleiter Personalmanagement: „Aktuell besteht eine Wahlfreiheit hinsichtlich des Impfstoffes.“ Ein eklatanter Widerspruch zur oben zitierten Astrazeneca-Aufforderung drei Tage später, in der es explizit, ultimativ und unmissverständlich heißt: „Es besteht (…) keine Wahlfreiheit“. | |||
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Was gestern sonst noch geschah: + „Ein bundesweites Schnelltest-Konzept ist nie gekommen“, sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci nach der Senatssitzung. Dazu auch folgende Meldung: Die „Test-Taskforce“ von Immobilienminister Spahn und Auspuffminister Scheuer erklärt, „dass die Taskforce ihre Aufgabe erfüllt hat und in den Stand-by-Modus treten kann“. + „Dringender Aufruf“, schreibt die Gesundheitsverwaltung: Der Senat appelliert an Dienstleister, zur Kontaktnachverfolgung „verfügbare digitale Angebote wie die Luca-App“ zu nutzen. Der Berliner Geschäftsführer Björn Grindberg hat’s ausprobiert, auf der App erscheint folgender Hinweis: „Dein Gesundheitsamt ist leider noch nicht dabei.“ + Berlins Impfmanagement ist super, nur leider sind die Leute zu blöd, ihre Termine wahrzunehmen, meint der Regierende Bürgermeister. Unterdessen stapeln wir in der Checkpoint-Redaktion die Mails derjenigen, die doppelt und dreifach eingeladen wurden – aber niemanden erreichen konnten, um ihre nicht benötigten Slots für andere freizugeben. + „Testen, Testen, Testen“ lautet die Parole – und in Berlin soll das kostenlos sogar jeden Tag möglich sein, jedenfalls theoretisch. Und hier die Mail von einem leitenden Arzt, der solche Tests anbieten will: „Seit Februar bemühen wir uns, die Genehmigung zu bekommen. Leider scheinen die für die Zertifizierung zuständigen Damen und Herren der Senatsverwaltung im Homeoffice eingeschlafen zu sein. Im Februar und Anfang März wurde auf Anfragen per Brief und Mail vorsichtshalber gar nicht reagiert. Nach der Registrierung auf der nun frei geschalteten Webseite kam eine Eingangsbestätigung – das wars. Weder wird auf Nachfragen per Mail geantwortet, noch kommt man über die auf der Anmeldewebseite genannte Telefonnummer („wir sind für Sie da“) weiter. Die Callcenter-Dame bittet aber um Verständnis: „Das ist doch öffentlicher Dienst.“ + „Hallo Herr Maroldt“, schreibt ein Checkpoint-Leser, „benötigen sie vielleicht für morgen ein negatives Sars-CoV2-2 Schnelltest Ergebnis? Ich habe ihnen bereits eines erstellt.“ Er hat es aus einem seiner alten negativen Ergebnisse mit einem PDF-Editor ininnerhalb von 5 Minuten perfekt zusammengebastelt – versehen mit aktuellem Datum, meinem Namen und meiner Büro-Anschrift. Wenn ich wollte (und Zeit hätte), könnte ich damit heute ohne Aufwand ins Museum gehen (mache ich natürlich nicht). | |||
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Am 19. Februar hatten wir Sie gefragt: „Würden Sie sich mit Astrazeneca impfen lassen?“ 68% sagten: „Ja klar, da habe ich überhaupt keine Bedenken.“ Nach dem Impfstopp von gestern und vor dem Hintergrund der neuen Voraussetzungen (Söder: „Wer es sich traut, der soll auch die Möglichkeit haben“) wollen wir es heute noch mal wissen: | |||
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Ihre Antwort auf unsere Frage von gestern – 73% sagen: „Ja, wir halten die Osterruhe ein.“ | |||
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