Ein Geisterspiel, die Kanzlerin und Corona | #metoo | Magie
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Stimme
des Westens

Moritz Döbler

12. März 2020

Liebe Frau Do,

nun hat es also stattgefunden, das erste Geisterspiel der Bundesligageschichte. Das Coronavirus hat den Fußball besiegt. Vor leeren Rängen trat gestern Abend der 1. FC Köln bei Borussia Mönchengladbach an, die Gastgeber setzten sich mit 2:1 durch. So ganz ließen sich die Fans nicht aussperren, vor der Nordkurve hing ein Banner mit der Aufschrift "Holt den Derbysieg" - und nach dem Spiel wurde hinterm Stadion mit der Mannschaft gefeiert. Karsten Kellermann beschreibt das historische Match.

Wer ist schuld, dass man nicht ins Stadion gehen darf? Regelmäßig wird „den Medien“ vorgeworfen, sie stifteten mit ihrer Berichterstattung Hysterie. „Don’t kill the messenger“, lautet ein schöner Leitspruch. Es ist nicht der Überbringer der Nachricht, den man zur Rechenschaft ziehen sollte. Insofern ist es höchste Zeit, dass die Bundeskanzlerin das Wort ergriffen hat. Ihr Ziel ist, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem insgesamt nicht zu überlasten. „Es ist eben nicht egal, was wir tun, es ist nicht vergeblich, es ist nicht umsonst“, sagte Angela Merkel. „Es geht also um das Gewinnen von Zeit.“ Ich wünschte mir, diese Botschaft hätte sie früher gesetzt – das hätte Zeit gewonnen. Jedenfalls ist Corona jetzt Chefsache: Eine politische Einordnung hat unsere stellvertretende Chefredakteurin Eva Quadbeck aufgeschrieben.

Auf die Rheinische Post trifft der Hysterievorwurf ohnehin nicht zu. Unser Medizinexperte Dr. Wolfram Goertz schreibt in seiner Analyse über die Frage, ob die Schwelle von 1000 Teilnehmern bei Großveranstaltungen nicht viel zu hoch ist, wenn die Prävention ernst gemeint ist. Für Journalisten ist eher ungewöhnlich, dass der Doktortitel für eine Promotion als Arzt steht: Aber Goertz hat Theoretische Medizin an der RWTH Aachen studiert, eine Dissertation aus der Inneren Medizin geschrieben, war lange in einer Universitätsklinik tätig und ist mit zwei Medizin-Journalistenpreisen ausgezeichnet worden. Wir sind sehr froh, dass wir ihn zu unserer Redaktion zählen, erst recht in diesen Zeiten. Er ist der personifizierte Gegenentwurf zur medialen Überhitzung.

Unterdessen verfolgen wir in den Nachrichten, wie Italiens Regierung im Kampf gegen das Coronavirus immer drastischere Maßnahmen ergreift. Im ganzen Land ist die Bewegungsfreiheit inzwischen eingeschränkt, die Bevölkerung soll möglichst zuhause bleiben. Jetzt hat Regierungschef Giuseppe Conte die Schließung fast aller Geschäfte angeordnet - nur Supermärkte, Apotheken und Drogerien dürfen öffnen. Über die Entwicklung halten wir Sie auch heute in unserem ständig aktualisierten Live-Ticker zur Covid-19-Pandemie auf dem Laufenden.

Das Virus macht an keinen Grenzen halt, die Globalisierung frisst ihre Kinder, wie sich in der Wirtschaft gerade zeigt. „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“, heißt es schon im „Zauberlehrling“. Falls Sie bei alldem etwas Magie brauchen, lege ich Ihnen statt Johann Wolfgang von Goethe unsere Chefin vom Dienst ans Herz: Laura Ihme hat einen wunderbaren Text über Harry Potter geschrieben. Anlass ist die Premiere eines Harry-Potter-Theaterstücks am Wochenende in Hamburg. Lassen Sie sich verzaubern!

Erinnern Sie sich noch an den Hashtag #metoo, aus dem eine globale Frauenbewegung entstand? Ausgangspunkt waren die sexuellen Übergriffe des Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein, der nun zu 23 Jahren Haft verurteilt wurde. Frauen in aller Welt berichteten von ähnlichen Fällen, in denen Männer ihre Macht sexuell ausnutzten. Unser Kulturchef Dr. Lothar Schröder hat ein Fazit der #metoo- Bewegung gezogen, für die das Weinstein-Urteil ein wichtiger Sieg, aber keineswegs der Schlusspunkt ist. Und ja, es war eine bewusste Entscheidung, diesmal nicht eine Frau über dieses Thema schreiben zu lassen. Männer müssen sich schließlich mit ihrem Rollenverständnis genauso auseinandersetzen.

Die Perspektive zu wechseln, lohnt sich fast immer – starten Sie mit einem offenen Blick in den neuen Tag.

Herzlich

Ihr

Moritz Döbler

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