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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 01.10.2024 | bewölkt, teils regnerisch bei 8 bis 12°C. | ||
+ Berlin übernimmt das alte DDR-Spaßbad SEZ + Neues Bürgeramt besteht nur aus drei Arbeitsplätzen + Koalition verhängt Haushaltssperre + Kostenlose Schwimmkurse für Kinder + Neue Karten zeigen unsere Milchstraße + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, eine schöne kurze Woche ist das. Der Auslöser dafür zieht sich allerdings schon sehr lange in die Länge: die deutsche Einheit, die am Donnerstag mit einem Feiertag begangen wird, den kaum jemand ausgelassen zu feiern gedenkt. Zu sehr ist und fühlt sich Ostdeutschland noch benachteiligt im gemeinsamen Land, zu sehr gefällt es sich aber auch in dieser Rolle und wird darin beständig politisch befeuert. Dabei haben Ost, West, Nord und Süd genügend gute Gründe, sich selbstkritisch zu hinterfragen, was für das Gemeinsame zu tun ist und getan wird. Die eroberte Demokratie sich immer wieder neu zu erarbeiten – das bleibt gerade in Ostdeutschland und erst recht nach den jüngsten Wahlen eine Herausforderung, die sich noch lange hinziehen dürfte. Zusammen eine Einheit zu finden; eine Einheit in auch selbst empfundenem Frieden und in täglich geschätzter Freiheit; eine Einheit, die niemals in einer Gleichheit münden kann, aber zumindest ein gleiches Maß an Interesse für alle Menschen haben sollte – dafür wird es hoffentlich nicht noch einmal mehr als 30 Jahre brauchen. Denn das kann und will sich niemand mehr vorstellen: dass Berlin nicht wie heute eine freie Stadt ist, die ungeteilt das Schönste schafft: Gemeinsamkeit. | |||
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Vielleicht ist die deutsche Einheit genau das: für immer unfertig. Ein gutes Symbol dafür ist das immer noch nicht gebaute Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlins Stadtmitte. Bei der sogenannten Einheitswippe vor der überflüssigen Stadtschloss-Attrappe bewegt sich seit mehr als einem Jahr gar nichts mehr. Dabei ist die Idee einer großen Wippe, die vom Volk in Schwung gebracht wird, vielleicht aktueller denn je. „Menschen, die sich nicht kennen, finden zusammen und verständigen sich über alle Grenzen, Herkünfte und Meinungen hinweg, etwas in Bewegung zu setzen – das ist der Kern des Denkmals“, sagt Kreativdirektor Johannes Milla im Checkpoint-Gespräch. „Gerade heutzutage braucht es ein verbindendes Denkmal, denn es geht längst nicht mehr nur um die Einheit von Ost und West, sondern von uns allen – und wir kämpfen gerade um die Freiheit in ganz Europa.“ Doch so wichtig scheint das die Bundesregierung nicht zu nehmen. Denn nach Berlin-typischen Verzögerungen und Verteuerungen sowie Deutschland-typischen Lieferproblemen und Bauvorschriften kommt nun ein Problem in der Stahlbaufirma hinzu, die die Wippe konstruiert hat. Inzwischen hat sie Insolvenz angemeldet. Nun soll eine andere Baufirma den Auftrag übernehmen – das kostet aber inzwischen mehr Geld. Nach Checkpoint-Informationen sind von den zunächst geschätzten 10 Millionen und dann veranschlagten 15 Millionen Euro für die Wippe bereits 12 Millionen ausgegeben; nach Informationen aus dem Kulturausschuss des Bundestages fehlen bis zur Vollendung noch knapp vier weitere Millionen. Nicht einfach in Zeiten knapper Kassen. Wer sich die Baustelle des Denkmals anguckt, sieht tatsächlich Berlins Dauerzustand: das Halbfertige. Die Pfahlgründung ist abgeschlossen, auch eine Vertiefung für die Stahlwippe wurde ausgehoben, die Rampen stehen bereit. Die zuständige Behörde, das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, hatte mit Milla & Partner einen Generalübernehmervertrag geschlossen. Diese hatte die Stahlfirma beauftragt, was aber in gegenseitigen Vorwürfen endete. „Es ist schon beschämend, dass das Projekt in völliger Stagnation verharrt ist“, sagt Milla. So wird der Bau des Denkmals selbst ein Denkmal für den Zustand der deutschen Einheit. Vom Bundestag bereits 2007 beschlossen, brachten Wettbewerbe, Meinungsverschiedenheiten im Siegerteam über die Konstruktion, Bedenken von Denkmal- und Tierschützern etwa wegen wilder Fledermäuse sowie Finanzierungslücken die Wippe immer wieder neu zum Stehen. Die vorvorletzte Eröffnung war 2019 geplant, die vorletzte 2022, die letzte im vergangenen Jahr, die allerletzte in diesem Oktober. Nun wird es wohl noch ein Jahr dauern. Wenn es überhaupt klappt. Offiziell zuständig ist Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die nun die knapp vier Millionen Euro zusätzliche Kosten einwerben müsste. Milla, der selbst seit 13 Jahren mit dem unvollendeten Projekt betraut ist, gibt die Hoffnung nicht auf. „Frau Roth ist politisch am Zug“, sagt der verhinderte Denkmalerrichter. Keiner weiß so gut wie er: Eine Wippe bewegt sich nicht, wenn niemand einen Anstoß gibt. | |||
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Es war das Mittelmeer von Ost-Berlin, wo die DDR im Wellenbad, auf der Schlittschuhbahn oder bei der vom DDR-Fernsehen übertragenen Gymnastik mal auf großer Welle zur Entspannung lud. Heute nun könnte die letzte Stunde des legendären Sport- und Erholungszentrums in Friedrichshain schlagen (eine alte Erinnerung hier). Wie die Finanzverwaltung auf Nachfrage bestätigte, soll am heutigen Dienstag ein Gerichtsvollzieher das Gebäude übernehmen. Damit soll der bisherige Eigentümer Rainer Löhnitz gezwungen werden, das Gelände zu verlassen, das er 2003 vom Land Berlin für einen symbolischen Euro gekauft hatte, dann aber nicht wie zugesagt in ein neues Bad verwandelte. So verfiel das „baukulturell hochwertvolle Ensemble“, wie es Architektenkammer-Chefin Theresa Keilhacker nennt, in großen Teilen zusehends zur Ruine. In diesem Jahr erstritt sich das Land vor Gericht nun ein Rückkaufrecht; inzwischen ist der Berliner Liegenschaftsfonds wieder Eigentümer. Nun soll die Stadt wieder Zutritt bekommen, um hier etwas Neues zu bauen. „Wir wollen 500 Wohnungen bauen und hier auch Raum für soziale Angebote schaffen“, sagt SPD-Stadtentwicklungspolitiker Mathias Schulz. Der Bebauungsplan ist vor einigen Jahren aufgestellt worden, damals noch unter der Ägide der früheren Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke). „Umzubauen statt abzureißen und neu zu bauen ist das Gebot der Stunde“, sagte Lompscher nun bei einer Podiumsdebatte (nachzusehen hier). „Dieses Gebot, das sage ich auch selbstkritisch, ist damals so deutlich nicht erkannt worden.“ Was Berlin im einst legendären SEZ am Volkspark Friedrichshain noch erkennen kann, wird sich heute zeigen. „Bisher wissen wir nicht, wie es innen aussieht“, sagt Schulz. Danach wird man sehen, ob Ost-Berlins größte Welle bald von den Zeitläuften der Stadtgeschichte hinweggespült wird. | |||
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Ostdeutschland bleibt in seinen Gefühlen zerwühlt. Deshalb schreiben wir weiterhin jede Woche unseren Newsletter „Im Osten“ mit aktuellen Analysen und Hintergründen über die gar nicht mehr neuen Bundesländer (kostenloses Abo hier). Und wir treffen Menschen, die den Wandel zwischen Ostsee und Erzgebirge erleben, beklagen und gestalten, zu ausführlichen Gesprächen. So auch Linkspartei-König Gregor Gysi, dessen Partei allmählich das einstige Land abhanden kommt und den ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen Esther Kogelboom und Karin Christmann im Bundestag getroffen habe. Das Interview, bei dem es munter hin und her ging, erscheint am Mittwoch im Tagesspiegel – aber Sie dürfen hier schon mal reinlesen: Herr Gysi, verzweifeln Sie manchmal an den Ostdeutschen? Nein. Ja. Nein oder ja? Ich verzweifle doch nicht an mir! Nein, bei der AfD-Wahl kommen mehrere Faktoren zusammen. Menschen in Ost und West, aber mehr im Osten, haben Angst vor der Globalisierung. Zweitens: Menschen haben auch Angst vor Flüchtlingen. Wenn du in einer geschlossenen Gesellschaft gelebt hast wie in der DDR, hast du Menschen muslimischen Glaubens in Dresden nicht kennengelernt. Drittens: Die Daffke-Haltung darf man nicht unterschätzen. Daffke-Haltung? Dass du jemanden ärgern willst. Du sagst: Die sagen mir, ich darf alles wählen, bloß nicht die AfD. Jetzt mache ich es gerade. Wenn die Ostdeutschen hören: Ihr seid ein brauner Fleck — es interessiert viele nicht. Sie möchten die etablierte Politik ärgern. Etabliert sind für sie inzwischen alle Parteien, von der CSU bis zur Linken. Die ganze Zeit zu jammern, das war doch Ihr Ticket früher als Linkspartei. Darauf baut jetzt die AfD auf. Wir haben doch nicht gejammert, hören Sie mal zu, wir haben die Probleme benannt. Aber immer alles schwarz gemalt. Zumindest das, was schwarz war. Sie haben nicht auf die Frage geantwortet. Haben Sie zu viel schlecht gemacht an der Einheit, so dass die Leute die Schnauze voll haben? Nein, die Verhältnisse bestimmen das Denken der Leute. Sie haben uns ja gar nicht mehr gewählt. Trotzdem denken sie so. Und was denken Sie, liebe Leserinnen und Leser? | |||
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Wir kommen zu einem der Top-Zitate des Regierenden Bürgermeisters. „Machen ist wie wollen. Nur krasser. Lassen Sie uns einfach mal krass machen“, verkündete Kai Wegner (CDU) vor einem Jahr. Ausgerechnet bei einem seiner Lieblingsthemen, der lange fälligen Verbesserung des Bürgerservices, misslingt das Machen allerdings ziemlich krass. Statt des versprochenen zusätzlichen Bürgeramtes wurden in Marzahn-Hellersdorf am Montag lediglich drei neue Arbeitsplätze in Betrieb genommen. Und die sind nicht mal voll arbeitsfähig. Die Senatskanzlei verkündete dennoch feierlich die Eröffnung eines „neuen Bürgeramtsstandorts“. Besser wäre es wohl gewesen, sie hätte nicht groß darauf hingewiesen, denn die Sache fällt bisher ziemlich klein aus. Nach Checkpoint-Informationen starteten die neuen Mitarbeitenden am Montag zunächst ohne Telefone, auch die angekündigte Freischaltung der Termine klappte nicht wie geplant. Zu allem Überfluss kann bislang vor Ort nicht bezahlt werden, weshalb hier nur gebührenfreie Dienstleistungen angeboten werden. So werden aus 30 Tagen Wartezeit auf einen Bürgeramtstermin in Berlin wohl auch im nächsten Jahr keine 14 mehr. Krass, oder? | |||
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