Liebe/r Leser/in, es ist in diesem Herbst genau 30 Jahre her, dass die DDR in einer friedlichen Revolution unterging. Friedlich blieb sie auch, weil sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit geschah: Fotos und Fernsehbilder gelangten oft auf abenteuerliche Weise in den Westen, die Aufnahmen der Massenproteste auf dem Alexanderplatz im November 1989 beispielsweise wurden aufgezeichnet von einer eingeschmuggelten Videokamera und waren dann in den „Tagesthemen“ zu sehen. Die Öffentlichkeit hat die Proteste befördert und vor Willkür seitens des DDR-Regimes geschützt.
Dreißig Jahre später gibt es einen großen Unterschied: Bei jedem Protest heute sind unzählige Handys dabei, keine Prügelattacke, die ungefilmt und ungestreamt bliebe. Wenn Öffentlichkeit vor Willkür schützt, dann müsste dieser Schutz umfassender sein als je zuvor. Doch blicken wir in diesen Tagen nach Hongkong, dann müssen wir feststellen, dass die dortigen Machthaber heute – anders noch als die Mächtigen 1989 – überhaupt kein Problem damit zu haben scheinen, dass die Welt ihnen bei ihren Gewaltorgien zuschaut. Das sagt viel über die derzeitigen Machthaber in Peking. Aber es sagt auch etwas über uns, die Öffentlichkeit: Stumpft uns die Allverfügbarkeit der Bilder eher ab, als dass sie uns aufregt? Bewegt es uns noch, wenn wir bei Facebook, Instagram oder in der „Tagesschau“ zusehen, wie anderswo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden? Ich wünsche mir mehr Empörung. Erst wenn uns diese schrecklichen Bilder wirklich wieder aufregen, wird Öffentlichkeit etwas bewirken.
Starten Sie gut in diese Woche! |