Daniel Pipes

Erdoğan türkisches Vergnügen

von Daniel Pipes
National Interest
13. November 2019

http://de.danielpipes.org/19150/erdogan-tuerkisches-vergnuegen

Übersetzung: H.Eiteneier

Recep Tayyip Erdoğans Herrschaft über die Türkei begann im März 2003 und teilt sich genau in zwei Zeitalter.

In der ersten Hälfte, die 8 Jahre und 4 Monate dauerte, war er brillant. Er leitete nie da gewesenes Wachstum und regionalen Einfluss. Er ging lange gärende Probleme an, unter anderem die Kurdenfrage, während er diskret seine militärischen Überwacher abwickelte. Die Reihe seiner Erfolge gipfelten im Juli 2011 in der Übernahme der Kontrolle über das Militär, eine Leistung, die allen seinen Vorgängern versagt blieb.

Bei einem dramatischen Treffen am 29. Juli 2011traten der türkische Generalstabschef und das gesamte Militärkommando zurück, womit sie Erdoğan die Kontrolle über die Streitkräfte gaben.

Die 8 Jahre und 4 Monate seit diesem Wendepunkt haben die Auflösung dieser früheren Brillanz erlebt; sie wurde durch Unbeständigkeit, Maßlosigkeit und Unberechenbarkeit ersetzt. Davon gibt es jede Menge:

Für den Anfang geronn demokratische Legitimität in Dikatur. Erdoğan erschien auf nationaler Ebene als ehrliche, konservative, fromme Persönlichkeit, die genau in die Stimmung der Türkei passte. Bei seinem ersten Auftauchen gewann seine neue Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (Adalet ve Kalkınma Partisi, AKP) beeindruckende 34 Prozent der Wählerstimmen (und erstaunliche 66 Prozent der Sitze im Parlament). Eine beeindruckende wirtschaftliche und politische Bilanz vergrößerte 2007 die Stimmenzahl für die AKP auf 46 Prozent und 2011 auf 50 Prozent. Danach schwand Erdoğans Popularität und er verließ sich stattdessen auf ein ganzes Spektrum an Wahlbeeinflussungen, von der Dominierung der Berichterstattung in den Medien über Schlägertrupps, die die Büros der Konkurrenzparteien angreifen, bis zu unverblümtem Wahlbetrug.

Erdoğans gerissene Führung zog schon früh recht unterschiedliche Gruppen von Anführern wie den mächtigsten Islamisten des Landes, Fethullah Gülen, sowie seinen führenden islamistischen Politiker Abdullah Gül an. Auch qualifizierte technische Könner wie der Wirtschaftsweise Ali Babacan und der außenpolitische Guru Ahmet Davutoğlu. Heute sind diese vier allesamt Feinde Erdoğans, die ihn verständlicherweise aufgrund seiner Exzesse ablehnen.

Erdoğans erste Ära erlebte beeindruckendes Wirtschaftswachstum mit reichlich direkten Investitionen aus dem Ausland sowie türkische Exporte, Konstruktionswesen und Unternehmertum. Symbolisch für diese Leistung entwickelte die Regierung Turkish Airlines von einer unwichtigen, schlecht geführten nationalen Fluglinie einen preisgekrönten globalen Koloss, der die meisten planmäßigen Flugziele (315) und die meisten angeflogenen Länder (126) aller Fluggesellschaften aufweist. Aber diese ruhmreichen Jahre sind heute eine weichende Erinnerung, zumeist als Folge von Erdoğans eigenen Mängeln: seine kleptokratischen Gepflogenheiten, seine Vetternwirtschaft (sein Schwiegersohn ist Finanzminister) und eigenwilligen Ansichten. Insbesondere besteht er entgegen aller Beweise darauf, dass hohe Zinsen zu hoher Inflation führen. Symptomatisch für diese Fehler verlor die türkische Lira fast drei Viertel ihres Wertes und rutschte von 61 US-Cent im Juli 2011 auf heute 17 Cent ab.

Turkish Airlines hebt ihr Profil über Verbindungen zu Berühmtheiten wie den FC Barcelona.

Eine Manie für öffentliche Arbeiten schuf einen nutzlosen Mammut-Flughafen in Istanbul, die größte Moschee des Landes und vieles mehr. Es wird sogar von einem Kanal über den Bosporus geredet. Erdoğans Prunk nimmt zudem die Form persönlicher Einrichtungen an wie einer Boeing 747-8 im Wert von $500 Millionen und den größten Palast der Welt, ein Monstrum mit 1.150 Zimmern, das illegal in geschütztem Waldland gebaut wurde. Über leibliche Genüsse hinaus gibt es die Möglichkeit, dass dieser Größenwahnsinnige sich zum Kalifen aller Muslime ausruft, vielleicht zum hundertsten Jahrestag der Abschaffung des Istanbuler Kalifats, entweder am 10. März 2021 (nach dem islamischen Kalender) oder dem 4. März 2024 (nach dem christlichen).

In der Außenpolitik ist der einst eindrucksvolle Regionalansatz "Null Probleme mit den Nachbarn" in eine triste Realität des "nur Probleme mit den Nachbarn" zerfallen. Syrien bietet die dramatischste Veränderung: Vor dem Juli 2011 erreichten die Beziehungen zwischen Ankara und Damaskus nie da gewesene Höhen mit verstärkten Reisen und Handel, koordinierter Diplomatie und etwas vielleicht Einzigartigem: Die beiden Führer und ihre Ehefrauen machten zusammen Urlaub. Zur Hälfte von Erdoğans Amtszeit begannen die Beziehungen sich zu verschlechtern, was zur Schirmherrschaft der Türkei für ISIS führte, dass sie 40 Prozent des nach Syrien fließenden Wassers blockiert und schließlich eine Invasion des Nordostens des Landes. Über Damaskus hinaus sind die Beziehungen zu Bagdad, Abu Dhabi, Riyad, Jerusalem und Kairo vergiftet. Das winzige Qatar sticht als Ankaras einiger staatlicher Verbündeter heraus.

Beim Blick über die Region hinaus unternahm Erdoğan nach 2011 extravagante Schritte, die die Großmächte verprellten. Seine Schläger verprügelten Demonstranten auf den Straßen von Washington DC und seine Luftwaffe schoss ein russisches Kampfflugzeug ab. Seine Revolverschnauze warf Angela Merkel "Nazi-Maßnahmen" vor und verurteilte provokativ den Umgang der Chinesen mit ihrer muslimischen Uiguren-Bevölkerung, einem Turk-Volk. Erdoğan unternahm schließlich Schritte, um jede dieser Regierungen zu besänftigen, um die Beziehungen zu verbessern ohne den früheren Schaden ungeschehen zu machen.

Sultan Erdoğan

Wohin nun, Türkei? Es zeichnen sich Stürme ab, bei denen zwei Gefahren herausstechen: die Wirtschaft und die Außenpolitik. Wirtschaftsgesetze beugen sich niemandem, nicht einmal dem Sultan Erdoğan. Solle er, wie es wahrscheinlich zu sein scheint, weiter auf seiner widersinnigen Theorie zu Zinsraten bestehen und zudem weiter westliche Wirtschaftsmächte verprellen, wird er entweder die Türkei in eine Katastrophe oder unter chinesische Oberherrschaft führen.

Die Außenpolitik stellt eine weitere große Gefahr dar. Die Entführung von Dissidenten mit türkischer Staatsbürgerschaft, Bohrungen in Zyperns Exklusiv-Wirtschaftszone und die Invasion bei einem Nachbarstaat deuten auf eine Arroganz, die angesichts der isolierten Position Erdoğans diesen enorm ungeschützt sein lässt. Eines der außenpolitischen Missgeschicke – vielleicht das in Syrien – könnten zu seinem politischen Niedergang wie auch dem der AKP führen.

Amerikanische Führungspolitiker sind bezüglich Recep Tayyip Erdoğan im Grunde ratlos gewesen. George W. Bush unterstützte, dass er Premierminister wurde. Barak Obama nannte ihn stolz einen Freund. Donald Trump gab ihm die Einladung zur Invasion in Syrien ein. Das Verteidigungsministerium blendet sich selbst in das Denken, der NATO-Verbündete werde eines Tages zurückkehren. Das Außenministerium verlässt sich auf seinen traditionellen Instinkt des Appeasement.

In einer ungewöhnlichen Entwicklung traf sich George W. Bush mit Erdoğan, als der nur AKP-Vorsitzender war, womit er den Weg ebnete, dass Erdoğan Premierminister wurde.

Es ist an der Zeit, Erdoğan nicht nur als Feind zu erkennen, sondern auch die Bedrohung zu antizipieren, die er für sein Land, seine Region und darüber hinaus darstellt. Das bedeutet die Türkei aus der veralteten Kategorie "NATO-Verbündeter" zu entlassen und sie in derselben Liga zu betrachten wie den Iran: Partner der Feinde Amerikas, ideologischer Aggressor, Förderer von Jihad-Gewalt und Atomwaffen-Aspirant. Nur so kann man sich für die kommenden Schwierigkeiten wappnen.

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