Daniel Pipes

Erdoğans Türkei kommt nicht zurück

von Daniel Pipes
National Interest
20. April 2020

http://de.danielpipes.org/19410/erdogans-tuerkei-kommt-nicht-zurueck

Übersetzung: H.Eiteneier

Von 2002, als Recep Tayyip Erdoğan und die AKP an die Macht kamen, bis etwa 2016 tobte unter den Beobachtern der Türkei in den Vereinigten Staaten eine Debatte: Ist Ankara noch ein Verbündeter?

Eigentlich zog sich diese Debatte aus nostalgischen Gründen lange hin, nachdem offensichtlich war, dass die Türkei nicht länger ein Verbündeter ist. Das Thema ist jetzt zum Glück abgeschlossen; trotz NATO-Mitgliedschaft wird diese Behauptung von niemandem mehr erhoben.

Aber eine neue Debatte ist eröffnet worden: Ist die Feindseligkeit der Türkei eine vorübergehende Anomalie oder das langfristige Normal? Ist es mehr so, wie als Necmettin Erbakan 1996/97 an die Macht kam und wie bei Mohammed Mursi in Ägypten 2012/13 oder eher wie die iranische Revolution, die sich jetzt in ihrem fünften Jahrzehnt befindet?

In Washington sind die Meinungen geteilt. Weit gefasst argumentieren der Präsident, das Verteidigungsministerium, das Außenministerium und Geschäftsinteressen dafür, dass es sich um eine Anomalie handelt; sie erwarten, dass dieses unglückliche Intermezzo mit einer fröhlichen Rückkehr zu den guten, alten Tagen endet. Der Kongress und die meisten Analysten argumentieren für eine langfristige Veränderung; das ist hier auch meine Argumentation.

Um die amerikanische Debatte zu verstehen, muss man zu den guten, alten Tage zurückgehen. Die Zeit vom Beitritt der Türkei zur NATO 1952 bis zur entscheidenden Wahl von 2002 dauerte rund 50 Jahre; die amerikanisch-türkischen Beziehungen, wenn auch nicht ohne Probleme (ganz besonders die gegenseitige Wut wegen Zypern 1964) waren einfach und gut: Washington führte, Ankara folgte.

Ich hatte im Oktober 1992 die Gelegenheit eine Woche als Gast des Außenministeriums in Ankara zu verbringen; meine deutlichste Erinnerung ist der Mangel an Entscheidungsbereitschaft. Beamte hingen an den Faxmaschinen für die türkische Botschaft in Washington herum, ob diese politische Anleitung schickt. Ich übertreibe, aber nicht allzu viel. Ein halbes Jahrhundert funktionierte dieses Arrangement für beide Seiten gut; die Türkei genoss den Schutz vor der Sowjetunion, die Vereinigten Staaten konnten auf einen verlässlichen Verbündeten zählen.

Das türkische Außenministerium ist viel stärker beschäftigt als es früher der Fall war.

Zwei Entwicklungen höhlten diese Stabilität in den 1990-er Jahren aus: der Zusammenbruch der Sowjetunion und dass türkische Mainstream-Parteien in Korruption und Inkompetenz versanken. Islamisten, seit den Tagen Atatürks eine unwichtige Kraft, zogen Nutzen aus diesen Veränderungen und kamen 1996/97 kurz an die Macht. Das Militär schob sie beiseite, ohne die zugrundeliegenden Probleme anzugehen.

Dann folgte die wilde Wahl von 2002. Die AKP kam aus dem Nichts und profitierte von einer Besonderheit der türkischen Verfassung, die eine 10-Prozent-Hürde der Gesamtstimmenzahl für den Einzug einer Partei ins Parlament festsetzt. In dem Jahr kamen nur zwei Parteien über das Minimum von 10 Prozent; die anderen gewannen buchstäblich 9, 8, 7, 6 und 5 Prozent. Diese Kuriosität erlaubte der AKP mit einem Drittel der Stimmen zwei Drittel der Parlamentssitze zu erhalten. Der resultierende Schock zerstörte die Opposition komplett; sie bleib demoralisiert, bis sie endlich beim Rennen um den Bürgermeisterposten von Istanbul 2019 einen Sieg einfuhr.

Was die Beziehungen zu den USA angeht, kam der Wendepunkt schon bald nach der Regierungsübernahme durch die AKP. Am 1. März 2003 lehnte das türkische Parlament es ab amerikanischen Truppen türkisches Territorium als Basis für den Krieg gegen Saddam Husseins Regime im Irak zu nutzen. So erstaunlich die Veränderung nach 50 Jahren robuster Allianz auch war, das offizielle Amerika zuckte zu dieser Ablehnung nur mit den Schultern. Präsident George W. Bush führte seine engen Beziehungen zu Erdoğan fort, dem er persönlich half ein juristisches Verbot zu überstehen und Premierminister zu werden. Barack Obama bezeichnete Erdoğan als einen seiner fünf Lieblingsführer des Auslands. Donald Trump schmeichelte ihm und beschwichtigte ihn.

Die ständige Freundlichkeit dieser drei ungleichen Präsidenten demonstriert das Widerstreben im Weißen Haus die fundamentalen Veränderungen in der Türkei einzugestehen. Genauso versuchte das Verteidigungsministerium die guten, alten Tage beizubehalten; es beschwichtigte, Boeing und andere Konzerne wollten weiter verkaufen.

In diesem Geist spielt die Exekutive herunter, dass die Türkei von einem islamistischen starken Mann regiert wird, der ihre mächtigsten Institutionen kontrolliert: das Militär, die Geheimdienste, die Polizei, die Justiz, die Banken, die Medien, die Wahlvorstände, die Moscheen und das Bildungssystem. Mehr noch: Erdoğan hat eine Privatarmee aufgestellt, SADAT. Er geht nach Belieben hart gegen jeden vor, der mit ihm nicht übereinstimmt; wagen Sie es zum Beispiel eine harmlose Petition zu unterschreiben, werden Sie möglicherweise als Terrorist eingestuft und enden im Gefängnis. Mit abnehmender Popularität hat er sich zunehmend auf Wahlbetrug verlassen, Oppositionsführer ins Gefängnis gesteckt und seine Schläger die Büros von Konkurrenzparteien angreifen lassen.

Erdoğan und die AKP sind nicht nur an der Macht verankert, sie haben auch eine ganze Generation geformt und verändern das Land. Es hilft zu erkennen, dass die Türkei einer Version der Islamischen Revolution des Iran durchläuft. Wir erleben, wie in Zeitlupe ein zweiter Iran entsteht, auf weniger gewalttätige und dramatische Weise, dafür aber raffinierter und möglicherweise dauerhafter. Drückt man das in Computer-Terminologie aus, dann war Khomeini der Islamismus 1.0, Erdoğan ist 2.0 oder sogar 3.0.

Erdoğan von der Türkei (links) mit Irans Khamenei, darüber wacht Khomeini.

Es folgte eine massive Verschiebung der türkischen Einstellungen gegenüber dem Westen im Allgemeinen und den Vereinigten Staaten im Besonderen. Im Jahr 2000, kurz bevor Erdoğan ins Amt kam, zeigten Meinungsumfragen, dass etwas mehr als die Hälfte der Türken Amerika positiv gegenüber standen; dieser Wert fiel während seiner Amtszeit auf 18 Prozent. Antiamerikanismus ist heute in Politik, Medien, Filmen, Schulbüchern, Moscheepredigten und darüber hinaus weit verbreitet.

Heute ist die Feindseligkeit auf beiden Seiten zu finden. Die Wut über ihren Kauf des russischen S-400 -Raketensystems veranlasste den Kongress die Türkei vom F-35-Programm auszuschließen. Nach Jahrzehnten der Vermeidung einer Abstimmung über eine amerikanische Völkermord-Resolution aus Sorge um türkische Sensibilitäten stimmte das Repräsentantenhaus 2019 mit 405 zu 11 Stimmen dafür; der Senat verabschiedete das Gesetz per mündlicher Abstimmung.

Es gibt wenig Gründe zu erwarten, dass die Amerikaner in Ankara einen freundlicheren Empfang erleben werden, nachdem Erdoğan abtritt. Ja, er ist 66 Jahre alt und soll an allerlei Krankheiten leiden. Aber Kandidaten, die als seine Nachfolger gehandelt werden (wie Süleyman Soylu) wahren seine Ansichten. Darüber hinaus sind die anderen großen politischen Stränge in der Türkei, die Nationalisten und die Linken, noch feindseliger als Erdoğans Partei. Mit Ausnahme der kurdischen HDP sind alle anderen im türkischen Parlament vertretenden Parteien (MHP, CHP Iyi) weit antiamerikanischer als die AKP. Sie beschuldigen Erdoğan sogar proamerikanisch zu sein.

Erdoğan (links) mit Süleyman Soylu, einem möglichen Nachfolger.

Zusammenfassend darf die amerikanische Politik nicht auf der Hoffnung fußen, dass die Türkei zurückkehren wird. Sie ist weg, wie der Iran weg ist. Nicht für immer, aber erst einmal auf Dauer. Die US-Regierung muss sich langfristig auf ein hässliches, vielleicht Schurken-Ankara vorbereiten. Hier sind acht politische Empfehlungen zum Umgang mit der neuen Türkei, angefangen mit der, die am wenigsten Folgen hat:

Fethullah Gülen darf nicht zurück in die Türkei geschickt werden.

1. Zu einer Reihe außenpolitischer Themen sollten Beschwerden erhoben, sie verurteilt und bis zu einem gewissen Grad Maßnahmen ergriffen werden; dazu gehören die Unterstützung der Türkei für ISIS, die Invasion in Syrien, Syrien und dem Irak Flusswasser vorzuenthalten, eine Militärexpedition nach Libyen zu schicken und in der zypriotischen ausschließlichen Wirtschaftszone zu bohren.

2. Der Auslieferungsantrag gegen den in Pennsylvania lebenden Fethullahl Gülen, Erdoğans ehemaligen Verbündeten und heutigen politischen Todfeind sollte öffentlich abgelehnt werden.

3. Kurden, Gülenisten, Persönlichkeiten der parlamentarischen Opposition und andere sollten zu hochrangigen Treffen in Washington einladen, um Unterstützung für sie zu signalisieren.

4. Wirtschaftliche Abkoppelung. Zum Beispiel sollte der Ankauf türkischer Staatsschulden verboten, türkische Energieunternehmen von Ausschreibungen ausgeschlossen und Zölle auf Dumping-Stahl erhoben werden.

5. Als Reaktion auf den Kauf des russischen S-400-Raketensystems sollte die Türkei dem Gesetz zur Bekämpfung der Gegner Amerikas durch Sanktionen (Countering America's Adversaries Through Sanctions Act – CAATSA) hinzugefügt werden.

6. Die US-Truppen sollten aus der Türkei geholt werden.

7. Die Türkei sollte aus der NATO geworfen werden. Obwohl die Statuten der NATO keine Mittel vorsehen, um Mitglieder hinauszudrängen, gestattet das Wieder Übereinkommen zum Recht der Verträge einer einstimmigen Mehrheit den Rauswurf eines Schurkenstaates. Es ist schlicht vorstellbar, dass das gemacht werden kann. Also machen wir es.

Daniel Pipes (DanielPipes.org, @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
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