Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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23. Februar 2025
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
de Gaulle hatte recht. Wie sehr er recht hatte, zeigt sich heute, in trumpischen Zeiten. Charles de Gaulle, französischer General und Präsident von 1959 bis 1969, träumte von einem starken europäischen Europa, das sich von den USA nicht vereinnahmen lässt. Und er träumte nicht nur, er wollte es realisieren, zusammen mit Konrad Adenauer, dem deutschen Bundeskanzler. Die deutsch-französische Versöhnung und Freundschaft, 1962 in der Kathedrale von Reims feierlich zelebriert, galt ihm als Einstieg in diese, seine Realvision, die mit dem politischen Gleichschritt in den deutsch-französischen Beziehungen beginnen und zu einer Union der beiden Staaten führen sollte.

Der Elysée-Vertrag war für de Gaulle die Choreografie für dieses Projekt, der Vertrag sollte die Perspektiven formulieren – Deutschland und Frankreich als Kernzelle des europäischen Projekts, mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und unter anderem einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft. Adenauer hatte schon 1955 in einem Regierungsbulletin erklärt: „Die Zeit des Nationalstaats ist vorüber. Wir haben nur noch zwischen Untergang und Einigung zu wählen.“ Aber in Zeiten der Berlinkrise, des Mauerbaus und der sowjetischen Hochrüstung war das de-Gaulle-Projekt der bundesdeutschen Politik zu gewagt. Der Elysée-Vertrag wurde kräftig abgespeckt und auf Drängen der deutschen Transatlantiker wurde eine amerikafreundliche Präambel zum Vertrag geschrieben, in der festgehalten wurde, dass Deutschland auf seiner engen Bindung an die USA beharre. Dass sich Jahrzehnte später die Vereinigten Staaten ihrer engen Bindung an Deutschland entledigen könnten – das war unvorstellbar.

Die Verkümmerung des europäischen Gens
Europa wurde größer und größer – aber politisch nicht unbedingt stärker und souveräner. Kanzler Helmut Schmidt und Präsident Valéry Giscard d’Estaing legten die Grundlagen für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, Kanzler Helmut Kohl und Präsident François Mitterrand übten kraftvoll den deutsch-französischen Gleichschritt und begründeten im Vertrag von Maastricht die Europäische Union. Aber dann begann in Deutschland das europäische Gen zu verkümmern: Angela Merkel pflegte es wenig, Olaf Scholz gar nicht. Die EU-Kommission wurde mächtiger denn je, weil von den EU-Mitgliedsstaaten kaum noch politische Initiativen ausgingen. Aber sie war und ist nicht mächtig genug, große Strategien für eine eigenständige Rolle Europas in der Weltpolitik zu entwickeln. 

Und so kam es, dass Emmanuel Macron im September 2017 in einer großen Rede vor den Studenten der Pariser Universität Sorbonne einen drastischen Appell formulierte: „Das Europa, das wir kennen, ist zu langsam, zu schwach, zu ineffektiv“, sagte der französische Präsident. Und er entwarf Pläne für die „Neugründung eines souveränen, geeinten und demokratischen Europas“. Macron sprach unter anderem von einem gemeinsamen Militär, von einer europäischen Armee. In Deutschland wurden solche Ideen herablassend behandelt und als präsidentielle Propaganda abgetan – gerade so, als sei es etwas Schlechtes, leidenschaftlich Propaganda für Europa zu machen.
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Trump treibt die EU-Staaten dazu, sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen
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Die Neugründung Europas muss nun in einer Zeit geschehen, die dafür nicht viel Zeit lässt. Trump hat Europa mit seiner Putin-Scharwenzel-Politik in den Ausnahmezustand gestürzt. Er hat die Ukraine verraten, er hat die Nato infrage gestellt, die so manchen EU-Mitgliedsstaaten sehr viel wichtiger war als die Europäische Union. Er hat in wenigen Wochen das Koordinatensystem einer Politik verbogen, die bisher die „westliche“ hieß. 

Die Zukunft Europas heißt Europa. Sie zu realisieren wird ungeheuer schwer sein. Aber vielleicht, hoffentlich, ist der Trump-Schock ein heilsamer Schock. „Wir haben nur noch zwischen Untergang und Einigung zu wählen.“ Das ist die dramatische Situation, in der sich die neue Bundesregierung befindet. Hoffen wir, dass sie sich diesem Notstand gewachsen zeigt.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Dr. jur. Mutter Courage
Jutta Limbach besaß ein gelassenes Selbstbewusstsein und ein unerschütterliches Vertrauen in die Grundrechte. Sie war Jura-Professorin, Justizsenatorin in Berlin im Kabinett von Walter Momper, sie war Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts von 1994 bis 2002 und dann Präsidentin des Goethe-Instituts. Vor allem aber war sie Jutta Courage: eine zerbrechlich wirkende, aber starke Vertreterin des starken Staates, freilich in ganz anderer Weise als viele krachlederne Innenminister. Ein starker Staat war für sie derjenige Staat, der weiß, „dass die Menschen- und Bürgerrechte die besten Garanten der inneren Sicherheit sind“. Limbach ist 2016 gestorben.

Gunilla Budde, Geschichtsprofessorin an der Universität Oldenburg und Spezialistin für Familien- und Geschlechtergeschichte, hat soeben eine feine Biografie über Limbach publiziert: sehr kundig, gut zu lesen, lehrreich. Am Schluss, auf Seite 288, findet sich das bezeichnende Motto Limbachs: „Wer etwas verändern will, muss tiefer träumen und wacher sein als andere.“ Die Biografin Gunilla Budde ergänzt: „Und geistesgegenwärtig leben.“

Gunilla Budde: Jutta Limbach. Ein Leben für die GerechtigkeitBiografie. Das Buch ist soeben erschienen bei C.H. Beck. Es hat 331 Seiten und kostet 29,90 Euro.
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"Ein Brechmittel, aber handwerklich erstklassig"
Dieses SZ-Interview ist der Hammer: Es ist klar, klug und lehrreich. Ann-Kathrin Eckardt und Christian Mayer haben es mit dem Unternehmensberater, Coach und Bestsellerautor Peter Modler geführt. Das Interview ist so spannend wie Modlers Lebenslauf: Er hat erst Jura studiert, hat dieses Studium, vom Recht genervt und enttäuscht, abgebrochen, weil er als Anti-Kernkraft-Aktivist Strafanzeigen kassiert hatte. Er studierte dann stattdessen katholische Theologie, promovierte in diesem Fach, wollte Religionslehrer werden, erhielt aber ein Berufsverbot, machte daher eine Lehre als Zimmermann.

Im Interview mit der SZ redet er über „Macht“ und ihre Inszenierung - und weist darauf hin, dass sie immer einen theatralischen Aspekt hat und haben muss. Er lobt in diesem Zusammenhang Alice Weidel, die für ihn „ein Brechmittel, aber handwerklich erste Klasse“ ist. Er analysiert die Machtmethoden von Donald Trump und sinniert, was demokratische Politiker und Führungskräfte der Wirtschaft von solchen Leuten lernen können und was nicht. Er schöpft dabei aus seinem neuen Buch: „Macht. Wie du sie anwendest, auch wenn du nichts von ihr wissen willst.“ Das Buch ist soeben im Campus-Verlag erschienen und kostet 22 Euro.
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