Buon giorno da Milano! Gestern habe ich das gemacht, was sich viele für heute vorgenommen haben: Sightseeing. Das Schicksal eines Pferdejournalisten ist ja, dass man zwar herumkommt in der Welt, aber so gut wie nie Zeit hat, etwas anderes als Springplatz oder Dressurviereck und die Pressestelle zu Gesicht zu bekommen. Mein persönliches Konzept: Joggen am Morgen. Das klappt nicht immer, aber gestern passte es. Wecker auf 6.45 Uhr, um 7 Uhr auf der Straße, Lauf-App an, Google Maps für die grobe Route. Herrlich! Mailand erwachte. In unzähligen Eckcafés saßen die Mailänderinnen und Mailänder beim ihrem Frühstücks-Cafe. Das ist ungefähr ein Viertelespresso, muss man wissen, sonst ist man enttäuscht. Die Märkte wurden aufgebaut. Pflaumen groß wie Pfirsiche, Pfirsiche XXL, Melonen … Das Tolle ist bei dieser Art der Ortserkundung: Man erlebt viele Viertel, unterschiedliche Baustile, Gässchen und Kirchen. Und hat die Gelegenheit, sich darüber Gedanken zu machen, mal nicht über Pferde nachzudenken. Die wirklich entscheidenden Dinge spielen plötzliche eine Rolle. Etwa, wie die eleganten Wildleder Herrenslipper mit dem Bommel auf dem Spann, die – selbstverständlich auf Leisten gearbeitet – in den Schaufenstern der exklusiveren Viertel stehen, wohl auf italienisch heißen. Ich habe es gegoogelt, „Pantofola Amalfi“ habe ich gefunden. Die Damenschuhe der Saison sind doppelt spitz, vorne und auch der Absatz ist so, dass man wohl einen Sporenschutzgurt auslegen sollte, wollte man zuhause über etwas anderes damit gehen als robuste Fliesen. Elf Kilometer und zwei zwickende Knie später dann ein kleines Frühstück in der Unterkunft, Mails gecheckt, geschaut, was unser toller Grafiker Dirk in Hamburg so layoutet, während wir in Mailand und Warendorf aktiv sind. Und dann zum Turnierplatz. Der Weg führt übrigens durch Straßen, in denen man keine Pantofola Amalfi sieht. Eher Dinge, die einem mal so beiläufig aus der Tasche fallen können und man ist zu bequem, sie wieder aufzuheben. Gelbe Tiefkühltruhen zum Beispiel. Auf dem Rückweg gestern, der etwas früher als die Tage zuvor stattfand, ist mir eine rege Handelstätigkeit auf den Piazzi, den zumeist runden Grünflächen auf der ein oder anderen Kreuzung, aufgefallen. Handelsgut habe ich keines gesehen, aber viele Männer, die Bündel von 50 Euroscheinen aus ihrem Business-Outfit – Jogginghose, Sneaker – zückten oder verschwinden ließen. Ist denn schon wieder Weltspartag? Gestern gab es bei vielen am Stadion nur einen Wunsch: Irgendetwas gegen Insekten. Das die italienische Großstadt-Kriebelmücke uns auflauert, hatte ich ja schon erwähnt. Gestern war viel los. Bei dieser Stimmung konnte man nur ins Schwärmen geraten. Vor allem wenn man Flügelchen und Stech- oder Beißwerkzeuge hat. Adam, mein netter britischer Tischnachbar (der mit der Yorkshire Oma und dem Fish ‘n Chips Rezept) hat sich etwas besorgt. Er sagte, er hoffe, dass es so wirke, wie es stinke. Und dabei nahm seine Gesichtshaut ungefähr die Farbe der Verschlusskappe des Sprays an – giftgrün. Ich bin etwas blind auf der Nase, insofern habe ich es nicht so intensiv gerochen. Aber eine irische Kollegin, der ich den Tipp gegeben hatte, in Adams Objektive-Koffer zu schauen, zeigte sich nach dem ersten Spraystoß tief religiös: „Oh god, oh my god, oh god!!“ Grün wurde sie nicht, aber sie rannte nach einem Taschentuch, um ihre Füße schnellstmöglich wieder von dem Produkt zu befreien. Von der Ordnerfront gibt es auch Neues zu vermelden. Gestern hatten stilvolle schwarze Kordeln die Hundeleinen-Flughafen-Gurte vertrieben. Das Personal war aber dasselbe. In Sachen Ernährung habe ich gestern auch dazu gelernt. Frage: Wie lange braucht man, um in Italien eine Portion Pommes zu erwerben? Antwort: länger als man vermuten sollte. (Wer sich fragt: Pommes? Wieso Pommes im Land des Ciabatta, Tramezzini, der Pizza und Pasta? Ich habe ein Problem mit Weizen, darum). Ich versuche, es kurz zu halten. Am Food Truck anstehen, dann erfahren, dass man an der „Casssa“ vorab bezahlen muss. Dort ist natürlich erst das Bonpapier alle, dann falsch herum eingefädelt. Dann wieder Food Truck, Bon vorzeigen. Daraufhin wird eine (!) Portion ins Öl geschmissen. Wie heiß das war, vermag ich nicht zu sagen, gesiedet haben kann es nicht. Der Dauer des Garprozesses nach zu folgern, hat das Öl die Fritten wohl warm geschmust. Wer nun glaubt, dass das Umkippen zum Salzen und anschließende Portionieren nur noch eine Formsache sei – weit gefehlt! Auf einem Schaschlikspieß wurden die Patate auch noch hübsch angerichtet. Ein Essen für Spießer sollte das wohl suggerieren. Nach 22 Minuten hatte ich tatsächlich meine Fritten auf der Hand und die ersten drei Einzelreiter in der dritten Wertungsprüfung verpasst. Gut, dass ich etwas im Magen hatte, denn die plötzliche Startabsage Marcus Ehnings hätte mir sonst sicher auf eben jenen geschlagen, also den Magen, nicht den Marcus. Die Entscheidung fiel wirklich ziemlich unmittelbar vorm Einreiten. Von der Pressetribüne hört man den Countdown der nächsten Starter am Vorbereitungsplatz. Der Name Ehning war da auch schon gefallen. Nun ja, der Rest ist Geschichte. Platz vier, keine Medaille, und das nach der Führung vorgestern. Ist der Kalauer erlaubt, dass „gute Führung“ sich eben nicht in jeder Lebenslage auswirkt? Egal – heute ist wettkampffreier Tag, viele reisen schon ab. Ich kann leider nicht Sightseeing machen wie viele andere. Zu viel Arbeit und ein Gespräch mit der Pressesprecherin des Weltreiterverbandes FEI, auch in Hinblick auf die Ausstattung der Pressestelle der Europameisterschaften Dressur in der kommenden Woche steht an. Eins steht fest, in Riesenbeck wird es Kaffee satt geben und Fritten unter 22 Minuten. Vermutlich wird das aber in unserem Gespräch nur von untergeordneter Bedeutung sein. |