Bonjour de Le Pin-au-Haras!
Die dritte Nacht im Paradies liegt hinter, der zweite Dressurtag vor uns. Familie Jung, also Michis Eltern, hatten übrigens das gegenteilige Paradies als Unterkunft gebucht. Sie haben nicht einmal das Gepäck abgestellt, dann sind sie wieder abgereist. Jetzt sind sie in einem Hotel, das 40 Kilometer entfernt ist. Anfahrt eine halbe Stunde, tägliche Autobahnmaut inklusive. Aber so, wie „Chip“ gestern Abend im Training ging, ist das nur eine kleine Anekdote am Rande. Das Sonnenlicht tauchte den athletischen Körper des Hannoveraners in güldenes Licht. Ich habe beschlossen, das als positives Zeichen zu verstehen. Man muss die Signale auch erkennen, finde ich. (Wobei man der Fairness halber sagen muss, dass die englischen Pferde auch glänzten – aber das war nur profaner Sonnenschein…). Interessanterweise ritt Laura Collett ihren Dublin gestern im Dressurtraining, nachdem der erste Teil der Dressur beendet war, mit Springsattel und Vorgeschirr. Sah aber trotzdem verdammt nach Dressur aus, nach verdammt guter Dressur. Nun ja, heute um 17.50 Uhr werden wir es wissen. Dann ist Schluss mit der Dressur (Startzeiten der deutschen Reiter stehen am Ende dieses Newsletters).
Überhaupt Dressur. Tag eins sagt nicht viel aus, aber dennoch ist Platz zwei in der Mannschaftswertung, ein Einzelreiter auf Rang zwei hinter der amtierenden, dressurstarken Weltmeisterin und alle drei Deutschen in der Top 10 auf jeden Fall schon mal ein gelungener Auftakt, auch wenn Christoph Wahler (Vierter) und Malin Hansen-Hotopp (Zehnte) Punkte haben liegen lassen (die ausführliche Meldung zum ersten Dressurtag steht hier).
Für einen super Abschluss des Tages hatte gestern Jérôme Robiné gesorgt. Mit seinem Iren Black Ice, „Ben“, legte er die zweitbeste Dressur hin. „Geil geritten“, fasste Bettina Hoy es zusammen. Könnte Journalistin werden die Gute – komplexer Sachverhalt kompakt zusammengefasst. Aber Bettina hat ja auch so genug zu tun, ist aktiv in jeder Hinsicht. Deswegen ja auch Aktivensprecherin beim Weltverband (FEI).
Malin Hansen-Hotopp freute sich trotz vermasseltem fliegenden Wechsel. Es ist so schön, jemand zu treffen, aus dem Lebensfreude und Dankbarkeit schier herauszufließen scheinen. Keine leeren Floskeln, einfach nur wahre Freude. Glück, dabei sein zu dürfen. Dankbarkeit für ein Trainingslager auf der Anlage des Franzosen Astier Nicholas, für einen tollen Teamabend, der dank der Unterstützung von Madeleine Winter-Schulze zustande gekommen ist.
Am Samstag muss Malin als erste deutsche Starterin ran. Da sei sie vermutlich dann schon nervös. Sie hat sich übrigens, wie alle, einen Motivationssong ausgesucht. „Don’t stop me now“, Queen, Freddie Mercury, legendär. Coole Musikauswahl, seitdem ich es weiß, saust mir „don’t stop me, don’t stop me…“ durch den Kopf. Und natürlich auch die Textzeile, „I’m having such a good time“.
Die hatten auch die anderen Deutschen im Trainingslager. Fitness ist ein Topthema. Rodolphe Scherer, Disziplintrainer Gelände der deutschen Equipe seit eineinhalb Jahren und begeistert von dieser Aufgabe, sagt, man bräuchte für die Geländestrecke auf dem letzten Drittel vor allem eins: „Patrol, Patrol, Patrol“ – sprich ausreichend Benzin im Tank. Mit Scherer konnten wir Journalisten heute sprechen, die FN-Presseabteilung lässt nichts unversucht, uns optimal zu informieren – merci beaucoup, an dieser Stelle dafür.
Rodolphe erzählte mit leuchtenden Augen von seiner Haras du Pin Vergangenheit. Sein Vater ist hier 1969 als 17-Jähriger bei der Europameisterschaft dabei gewesen. Er selbst ist hier bei den Weltmeisterschaften im eigenen Land 2014 geritten. Und nun als Trainer, nach der WM in Pratoni und vor den Olympischen Spielen von Paris, sei er jetzt hier im Einsatz mit diesen Reitern. Die Augen leuchten lebhaft, während eine kleine normannische Brise sich in den grauen Haaren des 51-Jährigen verfängt. „Es ist ja noch nicht so lange her, dass ich selbst noch geritten bin“. (Das ist charmant untertrieben, 2022 ist er im Oktober noch das 5*-Turnier in Pau geritten). „Und nun bin ich hier mit Michiiiee und Sandraaaa“. Scherer spricht Englisch, aber bei den Namen der beiden fällt er in die französische Aussprache. „Deutsch“, sagt er, „kann ich nicht“. Gar nicht? Doch, zwei Worte könne er. Und die sind gleichzeitig seine Empfehlung an Malin Hansen-Hotop, wenn sie das erste Wasser (Hindernis 7) mit seinem recht beeindruckenden Tiefsprung und der schmalen Ecke im Teich geschafft hat. Dann gelte: „Pinne rin!“
Dieser Teich ist übrigens das einzig ebene Terrain im gesamten Kurs. Das hat uns Kursdesigner Pierre Le Goupil, der auch bei den Olympischen Spielen bauen wird, verraten. Der hagere Mann mit gepflegter Glatze sprüht den Charme eines Intellektuellen aus. Fürs Klischee fehlt nur noch eine Gauloise und ein Pastis. Er spricht langsam und bedacht. Damit bekommt jedes Wort Bedeutung. Selbst, wenn er so Profanes erzählt, wie die Bewässerungsproblematik des ersten Wasserhindernisses. Das muss nämlich auch während des Geländerittes permanent wieder aufgefüllt werden. Warum? Weil der Bereich so gut drainiert ist.
Die schönste Geschichte aber ist die der letzten Kombination, 27AB (die Einzelbeschreibung der Sprünge ist hier auf unserer Webseite). „Le lavoir du Conseil Department de l’Orne“ heißt das Hindernis offiziell. Also „das Waschhaus des Rats des Regierungsbezirks l’Orne“. Letzteres ist der Sponsor, das Waschhaus steht schon länger da. Der Clou aber ist nicht, was da steht, sondern was da hängt: An einer Wäscheleine baumeln hölzerne Unterhosen aus dem Bereich Damentrikotagen. Le Goupil sagt, eine sprachliche Verwechslung habe zu diesem kuriosen Schlüpfersprung geführt. Sein englischer Hindernisbauer Dominic Moore habe „Panties“, Schlüpfer, verstanden, er habe aber von „Pants“, also profanen Hosen, gesprochen. Die Gegenrecherche beim Schlüpferschnitzer ergab: Nein, so war es nicht. Moore sagt, der Kursdesigner habe sehr wohl eine schlüpfergezierte Wäscheleine bestellt. Wie auch immer dem sei. Den Tanga-Trouble gilt es nach ca. 5.600 Metern hügeligen Terrains zu bewältigen. Da muss man die Pferde noch einmal gut auf dem Hinterbein haben, egal was man unter der weißen Reithose trägt.
Die Stiefel mit den Laufschuhen haben einige der deutschen Mannschaftsreiter getauscht in den letzten Tagen. Nicht nur die Pferde müssen konditionsstark sein, die Reiter auch. Jérôme Robiné fühlt sich fit. Er ist in den letzten Tagen zusammen mit Christoph Wahler gelaufen gewesen. „Der Chrischi hat mich die Berge raufgezogen“, sagt der Overnight-Zweite. Männer, die auf Berge rennen – das klingt nach rundherum gut vorbereitet. Wir drücken die Daumen!