Bonjour de Le Pin-au-Haras!
Regen! „Il pleut“, es regnet, weiß der Franzose. „Il pleut“, wie blöd! Asterix und Obelix, meine größten Anknüpfungspunkte an Frankreich, wussten schon „es frischt immer mehr auf“. Das ist aus „Asterix bei den Normannen“, also irgendwie ist die Normandie mit im Spiel. Passt also. Wetter wie heute dürfte Goscinny und Uderzo, die Väter der Knollennasen mit dem Faible für Wildschwein und Keilereien, inspiriert haben. Und wenn wir gerade dabei sind: Wer Asterix kennt, kennt auch Troubadix, den verkannten Barden. Genau, der, der immer Schläge bekommt. „Nein, du darfst nicht singen!“ Das entfleuchte mir, zumindest gedanklich, gestern morgen als zum wiederholten Mal als Auftaktmusik eine kräftige Damenstimme ein Chanson trällerte. Nicht, dass ich Chansons ablehne. Ich mag auch Edith Piaf – mit oder ohne Jessi und Dalera, was hier aber, weil artfremd, nicht hingehört. Aber diesen Song, dieses Akkordeon, diese Stimme und diese Lautstärke. Das tut im Ohr so weh wie ein heidnischer Regentanz. War ja auch entsprechend erfolgreich.
Bevor ich auf den gestrigen Regen, der gen Abend pausiert, in der Nacht aber noch ein kleines Revival gefeiert hat, zu sprechen komme, erstmal eine Entschuldigung. Ich habe gestern Morgen einmal die Pferde Dublin (den ja Tom McEwen reitet und der als Dritte heute auf die Geländestrecke geht) mit London (bekanntlich Laura Colletts Wunderwaffe) verwechselt. Das tut mir leid, sorry. Zu meiner Verteidigung sei angeführt, dass beides tolle Holsteiner Pferde sind, von der Machart wie ein „echter Holsteiner“ aussieht. Athletisch, braun, kaum weiße Haare, Galoppiermaschinen. (Übrigens wird zumindest eine Vertreterin aus dem Vorstand des Holsteiner Verbandes heute live verfolgen, wie diese, und natürlich auch das Holsteiner Schimmel-Trio in deutschen Farben, Carjatan, Quidditch und Timmo, sich schlagen werden: Inken Gräfin von Platen-Hallermund sah ich gestern im elegant fließenden braunen Rock durchs Wasser waten. Am letzten Wasserkomplex, der in den französischen Farben gehalten ist, blanc, bleu et rouge. Weiß, blau und rot – was ja auch die Holsteiner Farben sind. Meine dringende Bitte an alle, die ein Weltpferd für den Busch aus Holstein besitzen oder erwerben wollen, bitte keine weitere englischsprachige Hauptstadt als Namen wählen. Das überfordert die Berichterstatter, zumindest mich.
Also, der Regen. Leider ein ernstes Thema, denn nach nur wenigen Stunden und gar nicht einmal so viel Niederschlag, war er wieder da: der schmierige Lehmboden, glitschig, gnadenlos und bei noch so vielen in Erinnerung, die ihre Schuhe und Hosen 2014 auf dem Geländekurs der Weltreiterspiele ruiniert haben. Bei diesem Boden kommt einem nur das dem Sch …-Wort in den Kopf. Schade! Oder so ähnlich. Bei der Abfahrt gestern Abend vom Parkplatz bin ich gerutscht wie auf Glatteis – bei einer Geschwindigkeit von 4 km/h, Sch …raserei, verdammte. Eine englische Kühlerhaube ist mir verdammt nah gekommen, ist aber noch einmal gut gegangen.
Der beeindruckendste Moment gestern war die Dressur von Michael Jung. Nicht weil Michi Chip auf den Punkt fit hatte und jetzt mit 19,4 „Miesen“ führt. Nein, als er einritt, war es plötzlich mucksmäuschenstill im Stadion, in der Pressestelle, ja gefühlt auf dem ganzen Turnierareal. So als hätte die Welt kollektiv den Atem angehalten, um die Dressur der beiden einfach nur zu genießen.
Selbst die britische Vielseitigkeits-Legende Lucinda Green war begeistert. Seit den Olympischen Spielen von Tokio unterhalten wir uns immer gern über dies und das. Nicht über Michi, Tom und Co. Wohl aber über Pferdedinge. Gestern war es nach der Pressekonferenz mal wieder soweit. Wir sprachen über „the strange German term Durchlässigkeit“. Ich weiß nicht, ob Lucinda wirklich so beeindruckt von meiner Körperperformance war. Ich habe ihr versucht, buchstäblich mit Händen und Füßen zu erläutern, dass Durchlässigkeit ist, wenn „the push from the hindquarters“ durch jedes Gelenk, über den Rücken letztendlich in der weichen Reiterhand landet. Ich mutmaße, dass es ein bisschen nach Ausdruckstanz nach Mary Wigman ausgesehen haben muss. Oder nach zu viel Drogen. Aber Lucinda war begeistert. Oder britisch höflich.
Eine nächste große Dame des Vielseitigkeitssports hat mir gestern noch einmal die Klippen des Kurses erläutert, Dr. Annette Wyrwoll. Ganz oben auf ihrer „Klippen-Liste“: das napoleonische Zeltlager auf dem höchsten Punkt der Strecke. Zeltdach, drei Galoppsprünge auf gebogener Linie, dann eine weite Ecke, die man natürlich idealweise rechtwinklig zur Winkelhalbierenden springt. Wie auch sonst. (Sprung 20).
Um dort noch Kraft und Kondition zu haben, müssen die Pferde topfit sein. Die Reiterinnen und Reiter auch. Selbst die durchtrainierte Sandra Auffarth hat ihr persönliches Fitnesstraining neben dem standardmäßigen Ausgleichssport erweitert. Beim Galopptraining hat sie die Bügel noch einmal „richtig kurz“ gemacht, „das gibt nochmal richtig Muckis“.
Auf die Geländestrecke, von der wir erst nach der Versendung dieses Newsletters wissen, ob sie eventuell wegen der Bodenverhältnisse verkürzt werden wird (auf st-georg.de gibt’s aktuelle News), freut sich Nicolai Aldinger. Freimütig gibt er zu, dass Dressur nicht seine Lieblingsdisziplin ist. Dennoch hätte er heute fast etwas Besonderes geschafft. Nämlich 33 zu werden mit 33,3 Strafpunkten. „Hat nicht ganz hingehauen“, sagt Aldinger. Er ist 34.
Ein Wort habe ich neu gelernt. Hinter mir im Pressezelt – das übrigens über eine Kaffeemaschine Marke 19,99 Euro im Schnäppchenmarkt verfügt, und über keine Milch – wurde über Bilder, Fotos diskutiert. Emotional sollten sie sein, „is that one sociable?” Das Wort muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, S O C I A B L E! Will heißen, ist es tauglich, auf Social Media viele Likes zu produzieren? Ich frage mich, was als nächstes kommt – vielleicht ja Bewegungsabläufe, die tiktokable sind? Wir werden sehen.
Heute morgen ging es früh raus. „There might be a bit of traffic”, hatte es in der WhatsApp Gruppe der Medienvertreter geheißen. Alle, die 2014 im Stau gestanden haben und nach 1000 Kilometern Anfahrt auf das Areal kamen, als alles vorbei war, wissen, dass es sich nicht um eine leere Drohung handelt.
Morgenstund hat Gold im Mund? Naja. Gold um den Hals am Sonntagmittag wäre auch schön. Vor allem aber: nur gesunde Pferde im Ziel! Nichts ist heute wichtiger!