im Vorfeld der Bekanntgabe von Literaturpreisen wird ja oft spekuliert, wer ihn bekommen könnte, manche schließen sogar Wetten ab. Damit, dass in diesem Jahr der Schriftsteller Oswald Egger den renommierten Preis erhalten würde, hat aber wohl kaum einer gerechnet. Viele dachten eher an Jenny Erpenbeck, weil auch Ingo Schulze, der neue Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die den Preis vergibt, aus dem Osten kommt. Aber das war zu kurz gedacht.
Egger ist in Südtirol geboren. Er debütierte, das können Sie bei meinem Kollegen Andreas Platthaus nachlesen , 1993 mit Gedichten, „Die Erde der Rede“ hieß sein erstes Buch. In „Diskrete Selbstständigkeit“ verhandelte er die Wechselwirkungen von Literatur und Mathematik. Das fast 800 Seiten dicke Buch „Die ganze Zeit“ mit Prosatexten, Vierzeilern und Zeichnungen über das Phänomen der Zeit, wurde von einigen Kritikern als „Gesamtkunstwerk“ gepriesen. Andere schafften es die ganze Zeit allerdings nicht bis ans Ende.
Julia Encke
Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Im Jahr 1971 hat übrigens Uwe Johnson den Büchnerpreis erhalten. Damals bekam er für den heute mit 50.000 Euro dotierten Preis 10.000 DM und sprach in seiner Dankesrede über: Geld. „Der Verfasser möchte einen solchen Betrag nicht als schlichte Freundlichkeit annehmen, oder etwa als Honorar für die von Empfängern dieses Preises erwartete Rede“, sagte er. „Er hält sich für verpflichtet, Ihnen zu beschreiben, wofür er den größeren Teil dieses Geldes angelegt hat, bevor er es überhaupt besaß; er ist überzeugt, daß die Anwesenden ein Recht auf solche Kostenabrechnung anzumelden haben.“
Der großartige Schauspieler Charly Hübner hat im Suhrkamp Verlag gerade eine Hommage an Johnson herausgebracht, „,Wenn du wüsstest, was ich weiß‘ – Der Autor meines Lebens“, heißt das Fanbuch, das ich Ihnen sehr empfehlen kann, genauso wie die Rezension, die mein Kollege Mark Siemons darüber geschrieben hat : Hübners Johnson-Begeisterung geht auf die Tage nach dem Untergang der DDR zurück, als er gerade Abitur gemacht hatte und mit seiner Zukunftseuphorie den mit dem Verschwinden ihres Staats hadernden Eltern derart auf die Nerven ging, dass diese ihn vor die Tür setzten. Er kam in einem Forsthaus unter und las dort alle möglichen Klassiker, die ihm ein Buchklub zuschickte, irgendwann auch den Roman „Jahrestage“: „Johnson hatte mich sofort.“ Und zwar nicht nur, so Mark Siemons, weil es „Weltliteratur aus der Heimat“ ist, aus Mecklenburg, woher auchHübner kommt. Von Anfang an war dieses Buch mit seinen oft vertrackten Wort- und Gedankenstellungen für ihn vielmehr die Schule einer besonderen Art des Lesens: „Johnson zwingt uns dazu, gleich von vornherein zu verweilen, nicht zu eilen.“ Der Schlüssel zu diesem Autor sei die Langsamkeit – „da entsteht sein Sog“.
Ob Sie die Bücher des diesjährigen Büchnerpreisträgers jetzt langsam, ob Sie sie ihn schnell lesen wollen, die ganze Zeit oder gar nicht – das entscheiden Sie. Sind Sie mit der Wahl der Jury in diesem Jahr denn überhaupt einverstanden? Schreiben Sie mir an Literatur-NL@faz.de.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung vergibt mit dem Büchnerpreis die wichtigste deutschsprachige Literaturauszeichnung. In diesem Jahr hat sie ihn Oswald Egger zugesprochen. Von Andreas Platthaus
Rückverweise auf Pastior: Der Germanist Ralf Simon befragt in Marbach den Dichter Oswald Egger. Ihr gemeinsames Interesse ist die Tradition des poetischen Experiments. Von Hendrikje Schauer
Ein intensiver, nachbohrender, auch koboldhafter Umgang mit Sprache: Der Dichter Oswald Egger tritt an zur Thomas-Kling-Poetikdozent an der Universität Bonn. Von Andreas Rossmann
Sein Ehrgeiz war offenbar, aus möglichst wenig Grundworten möglichst viel Text zu produzieren: Oswald Egger hütet die „Herde der Rede“ mit Lallen und Lispeln. Von Harald Hartung
Der Einzige in Schwimmhosen: Im Juli 1912 besuchte Franz Kafka die Naturheilanstalt Jungborn am Harz. Was ist von dieser heute noch übrig? Von Jan Wiele, Jungborn
„Heute neunzig Jahr“ hieß das letzte Buch, an dem Uwe Johnson gearbeitet hat. Das Fragment zieht die Summe eines Schreibens, das in der deutschen Literatur einmalig ist. Eine Wiederlektüre aus gegebenem Anlass. Von Matthias Göritz
Die junge Frau, die alte Stadt und die Angst vor einem Feuerball, der auf die Erde prallt: Durs Grünbein stellt im Gespräch mit Andreas Platthaus beim Festival LiteraTurm sein Buch „Der Komet“ vor. Von Andreas Platthaus
Vor acht Jahren stürzten sich die von Trump erschrockenen Amerikaner auf „Hillbilly Elegy“. Es war die Biographie eines 31 Jahre alten Mannes – der jetzt mit Trump ins Weiße Haus will. Unsere Rezension von 2016. Von Andreas Ross
Jede Woche fragen wir Menschen aus dem Kulturbetrieb, was sie lesen und welches Buch in ihrem Schrank sie ganz bestimmt nicht lesen werden. Diesmal antwortet der musikalische Leiter der Olympischen Spiele, Victor Le Masne. Von Ralf Niemczyk (Protokoll)
Es ist Sommer. Und ganz gleich, ob Sie schon in die Ferien fahren oder nicht: Das Literaturrätsel im Juli führt Sie an den Strand. Finden Sie das Lösungswort! Von Jürgen Kaube
Bye bye Gevatter Hase: Stefan Pannors Untersuchung über die Selbstzensur in den Comics von Disney hätte als Buch erscheinen sollen, aber der Verlag bekam kalte Füße. Jetzt springt das „Comic-Jahrbuch“ in die Bresche. Von Andreas Platthaus
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