es herrscht gerade große Aufregung in dem, was man den Literaturbetrieb nennt. Zwei Jurorinnen des Internationalen Literaturpreises, der vom Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ vergeben wird, haben bei den Kollegen der „Zeit“ erzählt, wie es 2023 in der Jury zuging. Ronya Othmann, die Romane und Gedichte vorgelegt hat und für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt, und Juliane Liebert, eine Lyrikerin und ebenfalls Journalistin, berichten von grotesken Kriterien einzelner Juroren. Vorgeblich gehe es um die Qualität der zu beurteilenden Bücher, tatsächlich aber sei vor allem aufgrund „politischer“ Gesichtspunkte entschieden worden.
„Politisch“ heißt dabei: Es sei in der Jury vor allem wichtig gewesen, welche Hautfarbe die Kandidaten hatten. Die französische Autorin Mariette Navarro, deren Roman „Über die See“ zunächst favorisiert wurde, erscheint auf einmal als „weiß“, und es wird dagegen protestiert, dass zwar sie, aber nicht zwei „schwarze“ Autorinnen es in die Endauswahl für den Preis geschafft hatten. Also zogen einzelne Juroren ihre Voten für Navarro wieder zurück.
Jürgen Kaube
Herausgeber.
Dem Romancier Péter Nadás, einem der großen Erzähler unserer Tage, gereichte es zum Nachteil, dass die Feuilletons – in denen zu publizieren die Juroren jederzeit gerne bereit sind – ihn mögen. Nach den Gründen dafür wird am Ende nicht gefragt. Sogar dass er auf Ungarisch schreibt, wird zum Argument, denn diese Sprache scheint manchem Juror nicht exotisch oder marginal genug. Ausgerechnet Ungarisch. Dabei hatten viele Juroren zuvor mitgeteilt, das Buch von Nadás sei großartig. Aber das eine sei Literatur, das andere Politik, und die sei wichtiger.
Damit sind wir im Zentrum dieser Groteske angelangt, bei der Vorstellung nämlich, Preisverleihungen für Romane seien ein politischer Akt. Die tatsächliche Politik weiß davon natürlich nichts. Die Preisverleihung hat auch keinerlei politische Folgen, sie verändert keine Mehrheiten, sie führt nicht zu einer anderen Gesetzgebung, sie wirkt nicht einmal auf größere Bevölkerungsgruppen ein. Es blasen nur Juroren die Backen auf und behaupten, sie machten Politik, indem sie irgendjemand nach Kriterien des Geschlechts, der Hautfarbe, der Herkunft einen Preis verleihen. Sie gefallen sich im Gefühl, die Aufmerksamkeit des Lesepublikums zu lenken, das noch nicht ausreichend verstanden habe, was es eigentlich lesen solle, nämlich weder die „weiße“ Französin noch Péter Nadás. Der Preisträger, der senegalesische Autor Mohamed Mbougar Sarr, hatte Glück, dass man ihm seinen „weißen“ Übersetzer nach einiger Diskussion am Ende doch nicht übel genommen hat.
Jetzt ist die Empörung groß. Es wird behauptet, Jurysitzungen bedürften der Verschwiegenheit. Othmann und Liebert hätten die goldenen Regeln der Preisvergabe gebrochen. Jurymitglieder könnten nur frei diskutieren, wenn von ihren Diskussionen nichts nach draußen dringe.
Das behaupten sogar Leute, die in Klagenfurt einen der bekanntesten Literaturpreise in öffentlicher Sitzung vergeben. Es scheint also durchaus möglich. Nur muss man sich, wenn Publikum anwesend ist, eben besser überlegen, was man von sich gibt, und vieles von dem, was in der Berliner Jury geredet worden ist, wäre vermutlich auf offener Szene nicht gesagt worden.
Die Beurteilung von Büchern nach Gesichtspunkten der Herkunft ihrer Autoren ist das neue Spießertum. Es ähnelt den Literaturkritikern vergangener Zeiten, die in den Romanen vor allem die Familie, das Landleben diesseits der urbanen Sündhaftigkeit, den christlichen Glauben und das Abendland bekräftigt sehen wollten. Oder die insgeheim dachten, Frauen könnten nicht schreiben.
Heute werden einfach nur andere Werte eingesetzt, die von der Literatur oder, schlimmer noch, von Eigenschaften der Autoren bekräftigt werden sollen. Weil es andere Werte sind, versteht sich eine solche „Literaturpolitik“ als fortschrittlich und kritisch. Dabei umweht sie derselbe Muff wie ihre Vorfahren, der Muff der Leute, die sich für Funktionäre der Menschheit halten, tatsächlich aber nur in Jurys sitzen.
Ob Sarr, Nadás oder Navarro das bessere Buch geschrieben haben, wird nie objektiv entschieden werden können. Literatur ist kein Hunderennen. Die Leser stehen glücklicherweise nicht vor der Entscheidung, entweder das eine oder das andere Buch zu lesen. Es macht auch niemand einen Fehler, wenn sie oder er eines dieser Bücher vorzieht. Nur Literaturkritiker machen sich lächerlich, wenn sie sagen, eines dieser Bücher sei besser, aber aus „politischen“ Gründen müsse der Preis doch an ein anderes gehen. Auf diese Lächerlichkeit haben Ronya Othmann und Juliane Liebert hingewiesen. Ihre Indiskretion ist darum verzeihlich, denn die Diskretion schützt mitunter nur das Absurde.
Legen Sie sich doch, die Sommerferien sind nicht mehr fern, alle drei Bücher in den Koffer, und urteilen sie selbst. Es sind schlussendlich die Leser, nicht die Jurys, die darüber entscheiden, wer die Aufmerksamkeit gewinnt.
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