Bibliodiversität: Kaum haben wir uns an das sperrige Wort gewöhnt, das an die schwindende Artenvielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt gemahnt, bekommen wir eine zusätzliche Silbe untergejubelt, und diesmal soll es um die schwindende Vielfalt in der Buch- und Verlagswelt gehen. Mir ist das Wort – zugegeben – ein erstes Mal begegnet, als Jörg Sundermeier vom Verbrecher-Verlag die Folgen einer Entscheidung der Buchgroßhändler kommentierte, Bücher, die nur selten verlangt würden, nicht mehr gedruckt bereitzuhalten, sondern auf Bestellung schnell zu drucken, als einzelnes Exemplar, und bei aller Varianz in Größe und Umschlaggestaltung natürlich in einer überschaubaren Auswahl von Ausstattungsmerkmalen, Papp- und Papierqualitäten.
Solche Entwicklungen im Bereich hinter dem Buchladen sind für uns Leserinnen und Leser schwer einsehbar, oft technischer oder administrativer Natur, und doch wirken sie sich aus auf das, was wir lesen, was wir zu lesen bekommen. Am Samstag ist Indie Book Day. Noch ein gewöhnungsbedürftiges Wort. Es soll dazu einladen, im Buchladen einmal darauf zu schauen, welche Bücher aus Verlagen stammen, die zu Konzernen gehören oder zumindest seit Jahren etabliert sind – genauer gesagt dazu, an eben jenen Büchern, die das Bestseller-Geschehen oft dominieren, vorbeizuschauen: auf Titel aus meist kleineren, unabhängigen Verlagen, von denen manche mit Leidenschaft, Mut und Feingespür wettmachen, was ihnen an Image und Marketingbudget fehlen mag. Ihre Lieblingsbuchhandlung wird auch aus diesem Sortiment eine Empfehlung für Sie parat haben.
Fridtjof Küchemann
Redakteur im Feuilleton.
Wenige Tage vor der Leipziger Buchmesse hat jetzt die umtriebige Kurt Wolff Stiftung die gefährdete Bibliodiversität zum Thema gemacht . Sie berichtet, dass viele unabhängige Verlage ohne das Geld des Deutschen Verlagspreises nicht mehr überleben könnten. Der wird seit 2019 jährlich jeweils 63 Verlagen verliehen, drei von ihnen bekommen jeweils 60.000, die anderen sechzig jeweils 24.000 Euro, es gibt im Durchschnitt 350 Bewerbungen pro Jahr. Nicht nur die Kurt Wolff Stiftung möchte aus der Förderung per Preisgeld eine strukturelle Förderung machen: In ihren Koalitionsvertrag hatte die Regierungsparteien vor drei Jahren die Prüfung dieses Ansinnens aufgenommen, die Mittel sollten von Bund und Ländern kommen. Ein Jahr vor den nächsten Wahlen steht das Ergebnis dieser Prüfung noch aus.
Stichwort Marketingbudget: Wir danken herzlich für die schönsten und schlimmsten Blurbs und Klappentexte, die Sie uns nach dem letzten Newsletter zugeschickt haben! Sie stammen ausnahmslos von größeren Verlagen, ihre Lektüre ist ein schmerzliches Vergnügen, ihre Wiedergabe kommt mir regelrecht unanständig vor. Dabei ist ihr Abdruck auf dem Hinterteil eines Buches es genau genommen auch. Ein Hinweis auf die Vorgänger von Klappentexten auf den Buchdeckeln der Barockzeit hat mir besonders gefallen, hier sei viel zu finden, das an Originalität und Sprachmächtigkeit die heutigen Produktionen in den Schatten stellt. Vielleicht wusste man damals einfach noch nicht so viel vom lesenden Pferd.
Falls Sie an ein „Indie Book“ geraten, das Sie gleich weiterempfehlen möchten, oder auf einen gelungenen Blurb, der nicht von Steve Martin stammt – „I laughed, I cried, and then I read the book“ –, lassen Sie es uns gerne wissen. Sie erreichen uns per Mail an Literatur-NL@faz.de.
Viel Spaß beim Lesen!
Ihr Fridtjof Küchemann
.
P.S. Am Samstag erscheint, rechtzeitig vor der Leipziger Buchmesse, auch die Literaturbeilage der F.A.Z. in diesem Bücherfrühjahr. Sie eröffnet mit einer Besprechung von Percival Everetts Roman „James“, einem Buch, das schon vor seiner amerikanischen Publikation auf Deutsch herauskommt. Es erzählt die Geschichte von Mark Twains Roman „Huckleberry Finn“ aus neuer Perspektive. Weitere Belletristik aus dem englischsprachigen Raum ist mit Büchern von Teju Cole, Rebecca F. Kuang, Nana Kwame Adjei-Brenyah und John Milton vertreten, deutsche Neuerscheinungen stammen von Şehnaz Dost, Matthias Jügler, Jochen Schimmang, Michael Lentz und Alexandru Bulucz, außerdem gibt es Klassisches: den ersten Band einer von Reiner Stach kommentierten Kafka-Ausgabe und Thomas Steinfelds Goethe-Biographie.
Französische Literatur wird Thema mit Apollinaire und Marie Darrieussecq, spanische mit Isaac Rosa, norwegische mit Vigdis Hjorth, schwedische mit Aris Fioretos, und zum flämischen Gastlandauftritt auf der Leipziger Messe werden Femke Vindevogel und Paul van Ostaijen gewürdigt. Als Hörbücher werden Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ und fünf Erzählungen von Rilke besprochen, und bei Kinder- und Jugendliteratur geht es um die aktuellen Titel von Armin Kaster, Tamara Bach, Jörg Mühle, Sachiko Kashiwaba und Stefanie Höfler.
Die Sachbücher setzen ein mit Jens Beckerts Ermahnung zu Realismus im Kampf gegen die Erderwärmung. Martin Wikelski möchte dem Planeten den Puls fühlen, Volker Reinhardt porträtiert Giordano Bruno, und Jonathan Eig legt eine Biographie von Martin Luther King vor. Karl-Heinz Kohl betrachtet Beiträge der Indigenen zur Moderne, Michael Hampe hält es nicht mit Zwecken und Björn Vedder nicht mit dem Leben auf dem Land, während Golo Maurer Rom sah und blieb. Philipp Lenhard nimmt die frühe Kritische Theorie in den Blick, Andreas Petersen das Unbewusste unter kommunistischen Auspizien und Florence Hazrat die Karriere des Ausrufezeichens. Michael Grüttner gibt eine Gesamtdarstellung der Universitäten in der NS-Zeit, Katja Hoyer eine kurze Geschichte des deutschen Kaiserreichs, und ein Fotoband dokumentiert die Geschichte eines thüringischen Dorfs. Den Schluss machen wie immer politische Bücher, diesmal mit einem thematischen Schwerpunkt auf Ostdeutschland.
Zum dritten Mal präsentieren sich die Niederlande und Flandern auf einer deutschen Buchmesse. Was hat sich zum Auftritt in Leipzig verändert, und inwieweit wird Literatur überhaupt noch national gedacht? Ein Gastbeitrag. Von Jan Konst
Zuerst klang es gespenstisch: In der DDR geborene Babys wurden gegenüber ihren Müttern für tot erklärt, leben aber unter anderer Identität noch. Dann fing ich an zu recherchieren. Von Matthias Jügler
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten aus der Buchbranche: Die Verlegerin Barbara Laugwitz hat es geschafft, mit dem dtv-Verlag gegen den Trend zu wachsen. Von Hannes Hintermeier
Eine RAF-Terroristin verstehen und beim Schreiben auf Distanz halten: Stephanie Bart stellt im Gespräch mit Andreas Platthaus beim Rheingau Literatur Festival ihr Buch „Erzählung zur Sache“ vor. Von Andreas Platthaus
Der Einsatz Künstlicher Intelligenz bei Übersetzungen beunruhigt die Buchbranche. Verlage stehen vor schwierigen Fragen: Was geht verloren, wenn Automaten Texte übertragen? Und wie gut können sie es schon? Von Miguel de la Riva, Tobias Rüther, Harald Staun und Anna Vollmer
100 Jahre nach dem Tod von Franz Kafka widmet sich ein neuer Film dem Schriftsteller und seiner großen Liebe Dora Diamant. Wir schauen hinter die Kulissen – mit Bildern vom Set, die der Hauptdarsteller fotografiert hat. Von Sabin Tambrea
Otfried Preußler soll weichen: Das Gymnasium in Pullach darf den Antrag auf Umbenennung beim Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus stellen.
Um dem Niedergang der Fernsehgesprächssendungen über Literatur etwas entgegenzusetzen, hat sich Insa Wilke „Café lit“ ausgedacht. Auf der gleichnamigen Website und bei Youtube sind jetzt zwei Pilotsendungen zu sehen. Von Andreas Platthaus
Bei „Frankfurt liest ein Buch“ geht es vom 22. April an um den Roman „Zebras im Schnee“ von Florian Wacker. Und um die Zwanzigerjahre, eine Zeit des Neuen. Von Florian Balke
Ständig entscheiden andere, was wir wann und wo zu lesen haben: In einer britischen Umfrage erklären tausend Kinder, was ihnen den Spaß am Lesen nimmt. Von Fridtjof Küchemann
Auch Frauen können sich toxisch verhalten. Im Interview erklärt die Autorin Sophia Fritz, was der weibliche Teil der Gesellschaft für mehr Gleichberechtigung tun könnte. Von Kim Maurus
Aus diesem Archiv ersteht der umfangreichste Familienroman der deutschen Literaturgeschichte. Der Schatz ruht in seinem Keller. Ein Besuch bei Gerhard Henschel in Bad Bevensen. Von Andreas Platthaus
Mit „Dragon Ball“ machte er japanische Zeichentrickkunst im Westen populär und erzählte Geschichten von wilden Affen, wunscherfüllenden Drachen und Kung-Fu als Weltverbesserungstechnik. Zum Tod von Akira Toriyama. Von Axel Weidemann
Die Entschuldigung des Westens für die Verletzungen, die er der Welt zugefügt hat: Hektor Haarkötter legt eine Kulturgeschichte des Küssens vor, in der er mit Hollywood und dem Kapitalismus hart ins Gericht geht. Von Mina Marschall
Rückenschmerzen, schlechtes Bier und Zugluft: Sandra Langereis folgt beeindruckend leichtfüßig dem rastlosen Leben des Erasmus von Rotterdam. Von Maren Elisabeth Schwab
Dana Grigorceas Roman „Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“ bedient sich des Mythos um den rumänischen Bildhauer Constantin Brâncuși. Dabei liegt seine Stärke nicht im Blick auf den bildnerischen Prozess. Von Tina Hartmann
Ein Verbrechen aus unwiderstehlicher Zuneigung? Dieses Gedicht handelt von der Verletzlichkeit der Rose und all dessen, was sie symbolisiert. Von Thomas Combrink
Als hätten Astrid Lindgren, Helge Schneider und Ronja von Rönne gemeinsam ein Buch geschrieben: In Filiz Penzkofers Jugendroman überwinden drei junge Menschen Vorurteile und Ängste. Von Oliver Jungen
Die Romantik des Analogen: Fiona Longmuirs Kinderkrimi „Auf der Suche nach Emily McCrae“ ist auch ein Plädoyer für das Leben in der Kleinstadt. Von Anna Vollmer
Die schönsten Seiten des Frühlings: Jetzt 3 Monate F.A.Z. und Sonntagszeitung mit 50% Rabatt lesen und Kurzurlaub in Hamburg inkl. Hafenrundfahrt gewinnen.
Vom Albert-Schumann-Theater über die Hauptwache bis zum Zeilpalast: Gehen Sie auf spannende Zeitreisen – mit historischen Fotos und aktuellen Aufnahmen.