immer wenn vor der Buchmesse im Frühjahr oder im Herbst die Longlist und Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse und den Deutschen Buchpreis verkündet wird, gibt es enttäuschte Autorinnen und Autoren, die sich Hoffnungen gemacht hatten, unter den von der Jury Nominierten zu sein. Es gibt verständnislose, manchmal empörte Kritiker, die sich wundern, dass wichtige Namen fehlen. Aber aus der Perspektive der Verlage und des Buchhandels stellt sich die Nominierungsfrage dann nochmal ganz anders dar. Denn mit den Preisen verbindet sich für sie die Hoffnung auf Verkaufserfolge, die der Buchmarkt gegenwärtig so dringend braucht. In diesem Jahr, schreibt mein Kollege Andreas Platthaus mit Blick auf die nun veröffentlichte Shortlist für Leipzig, hat es sich die siebenköpfige Jury unter dem Vorsitz der Literaturkritikerin Insa Wilke einerseits leicht gemacht, „indem sie so ziemlich alle naheliegenden Titel aussonderte“. Und andererseits schwer aus demselben Grund. Denn nun werden sich Stimmen erheben, „die für die ganze sonstige unberücksichtigte Prominenz streiten“.
Das sehe ich genauso. Mit Wolf Haas‘ Roman „Eigentum“ ist eine wichtige und auch prominente Stimme nominiert, mit Dana Vowinckels „Gewässer im Ziplock“ die Entdeckung einer beeindruckenden und eigenwilligen Debütautorin gesichert. Warum Daniel Kehlmann mit „Lichtspiel“ nicht dabei ist, ist aber so unverständlich wie das Fehlen von Maxim Billers Roman „Mama Odessa“, Lana Lux‘ „Geordnete Verhältnisse“ oder Anne Rabes „Die Möglichkeit von Glück“ – das in unserer Rubrik „Was lesen Sie?“ in diesem Newsletter übrigens auch die Historikerin Hedwig Richter empfiehlt.
Julia Encke
Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Ein offenbar programmatisches Statement der Jury findet man dann unter den Sachbüchern, die sie für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert hat. Als könne es nicht abseitig genug sein, ist ein Hörbuch mit „Jahrhundertstimmen 1945-2000“ nominiert. Die Fortsetzung eines ersten Teils mit „Jahrhundertstimmen“ von vor drei Jahren. Really? Es gibt gerade Sachbücher, die in die Krisen- und Kriegszeiten, in denen wir leben, Differenzierung bringen und analysieren, was vor sich geht. Die den gesellschaftlichen Debatten eine Grundlage geben. Aber wir sollen uns „Jahrhundertstimmen“ anhören? Die anderen Nominierten gehen – allerdings eher pflichtschuldig – zumindest in diese Richtung: ein Buch über das Klima, eins über „Frauenhass“ und Christina Morinas tatsächlich wichtiges Buch „Tausend Aufbrüche“ über die Entwicklung der Demokratie in der Bundesrepublik und der DDR. Aber was ist mit „Triggerpunkte“ von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser, einem der wichtigsten Debattenbücher dieser Saison, das angesichts der Rede von der „Spaltung der Gesellschaft“ die Frage stellt, wie sehr die Meinungen in der Bevölkerung tatsächlich auseinanderliegen? Was ist mit Herfried Münklers „Welt in Aufruhr“ über die Weltordnung der Zukunft? Was mit der in der aktuellen Diskussion so wichtigen Biographie zu Hannah Arendt oder der von Wolfgang Herrndorf? Was ist mit Nicole Seiferts Buch „Einige Herren sagten etwas dazu“, die sich erstmals den Autorinnen der Gruppe 47 zuwendet und eine völlig neue Perspektive eröffnet?
Die Jury des Preises der Leipziger Buchmesse hört sich lieber Jahrhundertstimmen an und will, dass wir es auch tun. Der Bedeutung, die dieser Buchpreis für die gesellschaftliche Debatte und für den Buchhandel haben könnte, wird sie auf diese Weise nicht gerecht. Aber wir können ja zum Glück sowieso lesen, was wir wollen. Unserem Leser Oliver Wiegand aus Staßfurt gratulieren wir an dieser Stelle herzlich, das Februar-Literaturrätsel unseres Newsletters gewonnen zu haben. Der Gewinn, das Sachbuch „Adieu Osteuropa“ von Jacob Mikanowski, erschienen bei Rowohlt Berlin, senden wir Ihnen zu. Und wir bedanken uns natürlich auch bei allen anderen Leserinnen und Lesern für die zahlreichen Zuschriften und die vielen richtigen Antworten! Das Lösungswort hieß „Kraftakt“. Die genauen Antworten für das Rätsel, das sich diesmal um Literatur und Sport drehte, finden Sie hier. Und wenn Sie uns auf diesen Newsletter antworten möchten, schreiben Sie bitte an Literatur-NL@faz.de.
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