vor vielen Jahren stand ich auf dem Weg in den Urlaub in einer Münchner Buchhandlung, und ich war bereit, ein weiteres Buch mitzunehmen, auch wenn mir der Lesestoff in den nächsten beiden Wochen ganz sicher nicht ausgehen sollte. Ich hatte mich für Donna Tartts „Distelfink“ so gut wie entschieden, als der Buchhändler den Kopf neigte, um mich über seine Brille hinweg ansehen zu können. „Sie wissen schon: Literatur ist das nicht“, sagte er, und das hat mir zwar nicht die Neugier auf das Buch, wohl aber die Lust verdorben, hier etwas zu kaufen.
In der Vorwoche hat Sandra Kegel an dieser Stelle über die Buchhandlung ums Eck geschrieben, in der wir alle wohl zu wenig vorbeischauen, und der Blick auf Ihre Zuschriften dazu lässt mich von einer Deutschlandreise träumen, von Eck zu Eck, hinter denen Bücherläden auf uns warten, in denen wir keine Lektüre ausgeredet bekommen, sondern auf neue Ideen gebracht werden: von der Büchertruhe in Keitum auf Sylt bis zur Freiburger Buchhandlung zum Wetzstein. Es würde eine längere Reise werden, kommt mir vor.
Fridtjof Küchemann
Redakteur im Feuilleton.
Eine wunderbare Möglichkeit, ein Gespräch zu beginnen in einer Buchhandlung, ist für mich die Frage, mit welchem Buch ich am besten anfange als Einstieg in das Werk eines Autors oder einer Autorin, mit dem ich bislang nicht vertraut bin. In meiner Lesebiographie gibt es unzählige solcher Leerstellen, und ein paar von ihnen kenne ich nicht nur beim Namen, sondern ich bin auch neugierig, sie gelegentlich zu füllen. Richard Ford gehört dazu.
An diesem Freitag wird der amerikanische Schriftsteller 80 Jahre alt. Verena Lueken, vor Jahren Korrespondentin in New York für unser Feuilleton, ist nicht nur mit seinem Werk bestens vertraut, sie kennt ihn auch persönlich. Man merkt das, wenn man liest, was sie zu seinem Geburtstag geschrieben hat. Ich habe ihr vor ein paar Tagen geschrieben und die Frage nach der Einstiegslektüre gestellt. Ihre Antwort kam prompt:
„Ich würde ja immer mit ‚Wild Life‘ anfangen, seinem kurzen Mutter-Sohn-Montana-Roman, dem einzigen übrigens, der je verfilmt wurde, von und mit Paul Dano. Erstaunlich. Vermutlich ist er gar nicht rezensiert worden damals. Also ist ‚Unabhängigkeitstag‘ ein guter Einstieg, weil es eines der wirklich großen Bücher von ihm ist. Das ist allerdings keine sehr überraschende Empfehlung. Ich liebe seine Kurzgeschichten, ‚Rock Springs‘ von ganz früher oder ‚Irische Passagiere‘ etwa, da habe ich gerade wieder drin gelesen. Es geht bei Ford ja immer wieder darum, dass wir auch im Kleinen moralische Entscheidungen treffen, die Konsequenzen haben, so oder so, mit denen wir, mit denen seine Figuren und andere dann leben müssen. Das heißt, es geht um Verantwortung. Zu wissen, dass es darauf ankommt. Ein sehr schöner Einstieg ist übrigens auch ‚Between Them‘, seine Erinnerungen an Mutter und Vater. Da hast du nicht nur den Autor und Erzähler, sondern auch den Sohn – das ist ein sehr schönes Buch, aus dem sich fast eine Poetik ableiten ließe (... gäbe es dazu nicht so viele andere Quellen, seine Essays etwa, die aber gar nicht übersetzt und auch nicht gesammelt sind, sondern ganz verstreut herumliegen).“
Ich werde mir wohl als erstes „Between Them“ besorgen. Und wenn ich schon in der Buchhandlung ums Eck bin, nehme ich mir vielleicht den Erzählungsband „Was ich sonst noch verpasst habe“ von Lucia Berlin mit. Matthias Glasner, dessen Film „Sterben“ gerade im Wettbewerb der Berlinale läuft, kommt in seiner Antwort auf unsere Frage, was er gerade liest, darauf zu sprechen, und was er schreibt (übrigens auch, was er über „Infinite Jest“ von David Forster Wallace schreibt, als Buch aus seinem Schrank, das er wohl nie lesen wird), macht mich neugierig.
Um Sie noch ein wenig neugierig zu machen: Torsten Hoffmann und Kevin Kempke schreiben über die Neue Rechte als subversive Lesebewegung. Keine andere politische Strömung nimmt Literatur gegenwärtig so ernst. Kerstin Holm porträtiert die exilrussische Schriftstellerin Alissa Ganijewa, die aus Dagestan stammt. Die arme Region im Nordkaukasus erhält Investitionen als Lohn für die Rekrutierung von Soldaten für den Ukrainekrieg. Und Roswitha Quadflieg hat für uns aufgeschrieben, was es für sie als Autorin heißt, mit ihren Büchern schon vier Verlagspleiten oder Dauer-Fastpleiten durchgemacht zu haben.
Viel Spaß beim Lesen und beste Grüße aus der Redaktion!
Jede Woche fragen wir Menschen aus dem Kulturbetrieb, was sie lesen und welches Buch in ihrem Schrank sie ganz bestimmt nicht lesen werden. Diesmal antwortet der Filmregisseur Matthias Glasner, dessen neuer Film jetzt im Wettbewerb der Berlinale gezeigt wird.
Die exilrussische Schriftstellerin Alissa Ganijewa stammt aus Dagestan und hält Moskau dessen koloniale Ausbeutung vor. Die arme Region im Nordkaukasus erhält Investitionen als Lohn für die Rekrutierung von Soldaten für den Ukrainekrieg. Die russische Opposition ignoriert das. Von Kerstin Holm
Wenn ein Buchverlag aufgibt, wird gemeinhin die Lage der Wirtschaft beklagt, der Bildung, des Lesens. Was ist mit den Autoren? Ein Erfahrungsbericht nach vier Verlagspleiten oder Dauer-Fastpleiten. Von Roswitha Quadflieg
Sie inszenieren sich als subversive Lesebewegung und wollen Romane für ihre Zwecke zurückerobern: Keine andere politische Strömung nimmt Literatur gegenwärtig so ernst wie die Neue Rechte. Über die Strategien neurechter Kulturpolitik. Ein Gastbeitrag. Von Torsten Hoffmann und Kevin Kempke
Schongauer will nur noch seine Ruhe – und bekommt Besuch: Bodo Kirchhoff stellt im Gespräch mit Sandra Kegel im Literaturhaus Frankfurt seinen Roman „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“ vor. Von Sandra Kegel
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Fußball, Radrennen, Eislaufen und Hochsprung: Die Fragen unseres neuen Literaturrätsels führen in die Welt des Sports. Aus Buchstaben ihrer Antworten ist auch diesmal ein Lösungswort zu bilden. Von Jürgen Kaube
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Die berühmten Bücherstände sollten für die Olympia-Eröffnung weichen: Präsident Macron hat sich nach Protesten nun dafür eingesetzt, dass die „bouquinistes“, deren Geschichte weit zurückreicht, nicht abgebaut werden.
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Auf die gewissenhafte Quellenkritik lässt er eine neue Erzählung der Völkerwanderung folgen: Der Wiener Historiker Herwig Wolfram wird neunzig. Von Uwe Walter
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Als sie erfuhr, dass sie Krebs hatte, schrieb die italienische Aktivistin Michela Murgia noch ein Buch. Es half ihr, die Krankheit als Komplizin ihrer Komplexität zu begreifen. Von Karen Krüger
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Es hat verheerende Folgen, dass sich der moderne Mensch im Gegensatz zur Natur versteht: Sascha Mamczak und Martina Vogl zeigen in ihrem neuen Jugendsachbuch, dass der Mensch Teil des Lebensnetzes ist, das er zerstört. Von Fridtjof Küchemann
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