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Liebe/r Leser/in,

und was, wenn es einfach die richtige Entscheidung war? Dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder seinen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger im Amt lasse, so lese ich, sei eine gefährliche Entscheidung. Oder eine kurzsichtige. Oder eine gerissene. Oder eine machtpolitisch motivierte. Das mag so sein: Söder will die Koalition mit den Freien Wählern nicht aufgeben, will deren Chef Aiwanger nicht zum Märtyrer machen, will bis zur Wahl am 8. Oktober sein Versprechen einer Wiederauflage der „bürgerlichen Koalition“ nicht aufgeben. Der Rauswurf des Ministers wäre, bedingt auch durch die bayerische Verfassung, eine ziemlich komplizierte, laute und unberechenbare Angelegenheiten. Komplizierte, laute und insbesondere unberechenbare Angelegenheit aber kann Söder wenige Wochen vor der Wahl nicht brauchen. Das sehe ich ein. So wie ich einsehe, dass nun all diese Mutmaßungen und Deutungen des Söder'schen Votums zu lesen sind. Aber sie überzeugen mich nicht. Sie übersehen eine Kleinigkeit. Ein Wort mit vier Buchstaben: fair. Söder selbst nutzte dieses kleine Wort bei seiner gestrigen Erklärung zwei oder dreimal. Er sagte, nach sorgfältiger Abwägung hätte er es als nicht fair empfunden, Aiwanger rauszuwerfen.

Fairness, das ist Gerechtigkeit ohne Brimborium. Sie kommt ohne große Gesten aus – und ohne Paragrafen. Fairness, das ist der Tugendkompass des praktischen Lebens. Es heißt, wir haben einen Sinn für Fairness. Wenn das stimmt, dann wissen wir: Es wäre zwar nachvollziehbar, wenn Söder Aiwanger vor die Tür setzen würde. Er würde damit womöglich Entschlossenheit und moralische Strenge demonstrieren. Aber es wäre, nach heutigem Wissensstand, nicht fair. Vor 36 Jahren wurde in der Schultasche Hubert Aiwangers ein abscheuliches, judenfeindliches, hetzerisches und durch und durch bösartiges Flugblatt entdeckt. Das ist ungeheuerlich und unfassbar. Aber es ist alles, was wir sicher wissen. Aiwanger selbst trägt wenig zur Aufklärung bei, und sein Bekenntnis der Reue wirkt tölpelhaft. Aber seit wann müssen Minister ihren Job räumen, weil sie Tölpel sind? Was bleibt: Aiwanger hat als Jugendlicher einen schrecklichen Fehler gemacht. Für den er jetzt um Verzeihung bittet. Würde Söder diese Bitte nicht annehmen, würde dies bedeuten, dass er dem erwachsenen Aiwanger die Fähigkeit abspricht, aus diesem Fehler gelernt zu haben. Söder müsste sich zumindest auf Indizien berufen können, die den Verdacht nähren, Aiwanger sei noch immer geprägt von jenem Ungeist, der ihn einst verleitete, das Flugblatt zu verwahren. Für diesen Verdacht aber gibt es keine Indizien. Aiwanger mag ein Schreihals sein, ein Populist, ein König der Bierbänke. Lässt sich aber daraus ableiten, er sei ein weichgespülter Rechtsradikaler, eine Art Krypto-Nazi? Söder hat diese Frage mit Nein beantwortet. Und er hat sich für Fairness gegenüber seinem strauchelnden Vize entschieden.

Fairness, das lernen wir aus dieser Affäre, hat ein ziemlich dickes Fell. Aiwanger reagierte auf die schweren und berechtigten Vorwürfe gegen ihn mit einer geradezu unverschämten Stümperhaftigkeit. Seine Antworten auf die 25 Fragen der Staatskanzlei klären nichts auf. Sie vernebeln und lassen beinahe alle Fragen offen. Das Flugblatt, so beteuert Aiwanger, habe ihn schon als Schüler schockiert und sei ein „einschneidendes“ Erlebnis gewesen. Das Erlebnis muss so einschneidend gewesen sein, dass er leider vergessen hat, ob er weitere Flugblätter dieser Art verteilte. Man mag argumentieren, dass diese Art der Verteidigung doch so dumm gar nicht sei. Sie habe ihm schließlich das Amt gerettet. Doch das Gegenteil ist wahr. Aiwanger bleibt nicht wegen seiner erbärmlichen Reaktion Minister. Sondern trotzdem. Der Ministerpräsident hatte die 25 Fragen an Aiwanger mit der expliziten Mahnung verbunden, sein Minister müsse vollständig aufklären. Es dürften keine Fragen offenbleiben. Von diesem Anspruch ist wenig übrig geblieben. Söder wird wissen, dass er sich mit seiner Entscheidung angreifbar macht. Er wird die Risiken kalkuliert haben – und die Vorteile, die sich ihm bieten, wenn er Aiwanger im Amt lässt. Dass ein verantwortlicher Politiker sich auf die Kunst der Berechnung versteht, halte ich für keinen allzu großen Fehler. Im Übrigen dürfen Entscheidungen durchaus einem ziemlich kalten Kalkül entspringen. Selbst wenn es die richtigen sind.

Herzlich grüßt

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Markus Krischer,
stellvertretender Chefredakteur FOCUS Magazin

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