Valéry Giscard d’Estaing habe ich einmal bei einem Empfang der Deutschen Botschaft in Paris persönlich erlebt. Einige Jahre ist das her, der ehemalige französische Staatspräsident muss damals schon bald neunzig Jahre alt gewesen sein. Ich erinnere mich an einen großgewachsenen, eleganten Mann mit perfekten Umgangsformen, der sich im Gespräch als außerordentlich wach, interessiert und politisch hellsichtig erwies. Im Oktober 2019 erst hat mein Kollege Stefan Brändle den soeben im Alter von 94 Jahren verstorbenen Giscard für uns interviewt, und der elder statesman gab ausnahmslos kluge, unaufgeregte Antworten, die man im heutigen politischen Betrieb kaum noch zu hören bekommt. „Früher basierte die Politik auf der Kultur“, so Giscard, „heute auf der Kommunikation.“ Besser kann man Wandel der politischen Kultur in einem einzigen Satz wohl kaum beschreiben; letztlich leitet sich von dieser Feststellung alles andere ab. Und zwar auch jene Bemerkung, mit der Monsieur le Président die Fragestunde beendete: „Zu meiner Zeit traf man, wenn man einmal gewählt war, wichtige Entscheidungen. Das ist heute kaum mehr der Fall.“ Frankreich verliert einen wahren homme d‘etat. Männliche Monokulturen Nachdem gestern bei uns das „Lob der alten weißen Männer“ zu lesen war, folgt heute eine Art Kontrastprogramm. Nach der schrecklichen Amokfahrt von Trier hat unser Hospitant Jakob Arnold mit dem „Männerforscher“ Christoph May darüber gesprochen, warum solche Taten eigentlich so gut wie nie von Frauen begangen werden. Die meisten Männer würden in einer „toxischen Umgebung“ heranwachsen, würden in männlichen Monokulturen sozialisiert „und sind dort mit einer ungeheuren Sprach- und Fantasielosigkeit konfrontiert, die sie oft nur schwer aufbrechen können“, so May. „Im seltenen, aber schlimmsten Fall radikalisieren sie sich und nehmen anderen Menschen ihr Leben.“ Man muss seine Thesen nicht allesamt teilen, aber einen Anlass zur männlichen Selbstreflexion sollten sie durchaus geben. Ihr Alexander Marguier, Chefredakteur |