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Liebe/r Leser/in,

ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Ich gehe davon aus, dass auch Sie sich schon mal im Ton vergriffen haben. Wir alle tun das. Wir werden ungehalten, barsch, laut und bisweilen auch wirklich beleidigend. Wir blaffen unsere Mitmenschen an, obwohl wir das gar nicht wollen. Es ist nur so, dass wir manchmal die Nerven verlieren – wenn wir warten müssen (obwohl es so wichtig wäre, dass es schnell geht), wenn wir uns missverstanden fühlen (obwohl doch alles sonnenklar ist), wenn etwas schiefgeht (obwohl es doch ganz einfach wäre). Dann sagen wir irgendetwas, das wir im Grunde nicht sagen wollen. Nicht so jedenfalls. Es tut uns auch sofort leid. Am liebsten würden wir die dämlichen und verletzenden Worte, die wir gerade in die Welt posaunt haben, wieder einsammeln. Aber es ist zu spät. Wir haben uns im Ton vergriffen.

Alle machen das manchmal. Mit der Ausnahme vielleicht von zwei Menschen: Angela Merkel und Donald Trump. Sie vergreift sich nie im Ton. Er dagegen immer. Im Ernst: Mir ist keine Szene bekannt, bei der die Kanzlerin die Contenance verlor und mal so richtig aus der Haut fuhr. Gelegenheiten hätte sie gehabt: Sie hätte Helmut Kohl anschreien können, Edmund Stoiber, Gerhard Schröder, Horst Seehofer, Viktor Orban, Boris Johnson. Vielleicht auch mal Donald Trump. Oder ihren Mann.

Oder die Öffentlichkeit – also Sie und mich. Hat sie aber nicht. Immer bleibt sie nüchtern, ruhig und kontrolliert. Zumindest, wenn Kameras und Mikrofone auf sie gerichtet sind. Ich würde gerne wissen, wie so eine typische Krisensitzung mit Merkel abläuft. Wenn mal wieder die Finanzmärkte ausflippen, Flüchtlinge an den Grenzen frieren oder uns ein Virus auflauert. Am Mittwoch empfing sie die Länderchefs im Kanzleramt. Wie bei jedem Corona-Gipfel stand viel auf dem Spiel: die Gesundheit von Millionen Menschen und die Widerstandskraft von Abertausenden Hotels, Gaststätten und anderen Unternehmen. Den einen oder anderen Gast hätte Merkel schon zusammenstauchen können. Vielleicht, weil er aus der Reihe tanzt. Zu egoistisch ist. Seinen Laden nicht im Griff hat. Ich bin sicher: Sie tat es nicht. Auch wenn alles zu spät ist, sie bleibt diszipliniert und kühl. Erstaunlich aber: Bei ihr ist es noch nie wirklich zu spät gewesen. Womöglich gehört das ja zum Geheimnis ihrer Macht: sich nie im Ton zu vergreifen.

So wie es bei dem Verbal-Berseker im Weißen Haus zum guten Ton gehört, sich eigentlich immer in demselben zu vergreifen. Vor seinen Tiraden, seinen Tweet-Attacken ist niemand sicher. Jene nicht, die er zu seinen Feinden erklärt hat – und genauso wenig jene, die er vielleicht morgen zu seinen Feinden erklären wird. Irgendwann hat er jeden Spieler und Gegenspieler, jede Nation und jede gesellschaftliche Gruppe vor seinem Wort-Visier.

Was immer gegen diesen höchst eigentümlichen Charakter zu sagen ist (und es wird ja dauernd irgendetwas dagegen gesagt): Seine Art der Politik zeigt durchaus Wirkung. In einem bemerkenswerten Leitartikel hat Eric Gujer, der „Chefre­daktor“ der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“) dem US-Präsidenten nun attestiert, er habe seiner Nation einen „Stempel aufgedrückt“. Im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem Visionär Barack Obama, werde Trump deutlichere Spuren hinterlassen. Der Volkstribun und Demagoge habe sich im Amt nie anders verhalten als vor seiner Wahl. Gerade jene Eliten aber, die das Land mit einer politisch korrekten Sprache er­ziehen wollten, so die Analyse des „NZZ“-Chefs, hätten jenen „Kulturkampf“ entfacht, der Trump erst an die Macht brachte.

Kann es sein, dass dieser Kampf inzwischen auch hierzulande ausgetragen wird? Ist es wirklich gut, wenn wir nur noch „gut“ sprechen dürfen? Werden wir dadurch zu besseren Menschen – oder wird uns die Freiheit der Meinung genommen? Und damit auch die Freiheit, sich manchmal im Ton zu vergreifen? Lesen Sie dazu unsere Titelgeschichte ab Seite 46.

Ganz ohne falschen Ton verlief die Wahl zum Sieger des FOCUS-Innovationspreises. Gewonnen haben die Gründer der App „To Good To Go“, mit der in Restaurants und Geschäften übrig gebliebene Lebensmittel an Konsumenten verteilt werden können.

Ich wünsche den Machern dieses ge­nialen Hilfsmittels von Herzen Glück und Erfolg.

Mit vielen Grüßen,

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Markus Krischer
stellvertretender Chefredakteur FOCUS Magazin

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Aufsteigerin der Woche

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Die Schriftstellerin Anne Weber hat für ihren Roman „Annette, ein Heldinnenepos“ den Deutschen Buchpreis 2020 erhalten. In der Begründung hieß es: „Die Kraft von Anne Webers Erzählung kann sich mit der Kraft ihrer Heldin messen.“ Weber schildert in Versform das Leben der Widerstandskämpferin Anne Beaumanoir, die auch Annette genannt wird. Die heute 96-Jährige rettete jüdische Kinder vor den Nationalsozialisten, kämpfte später für ein unabhängiges Algerien und kam dafür zeitweise ins Gefängnis.

Absteiger der Woche

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Allein der Vorwurf ist für eine Person der Öffentlichkeit eine schwere Bürde: Der ehemalige Nationalspieler und Weltmeister Jérôme Boateng muss sich ab dem 10. Dezember vor dem Amtsgericht München wegen Körperverletzung verantworten. Der 32-Jährige soll laut Staatsanwaltschaft seine damalige Partnerin zweimal attackiert haben, einmal mit Schlägen, ein zweites Mal sei sie von ihm mit Gegenständen beworfen worden. Boateng ließ erklären, es handle sich dabei um unbewiesene Behauptungen Dritter.

Newcomerin der Woche

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Es gibt sie noch, die guten Nachrichten für die SPD. Diese Woche begrüßte Lars Klingbeil Neumitglied Marie von den Benken persönlich im Willy-Brandt-Haus. Die Autorin und Influencerin mit fast 200.000 Twitter- und 220.000 Instagram-Followern war im Juni mit dem Post „Na gut, also hier bin ich. Wird aber nicht einfach mit mir“ in die Partei eingetreten. In einem Interview mit dem „Vorwärts“ stellte die 31-Jährige jetzt klar: „Ich bin keine Politikerin. Ich werde mit ziemlicher Sicherheit nicht Kanzlerin werden.“

Zitat der Woche

„Auch ich werde nervös. Um ganz ehrlich zu sein, würde ich mir Sorgen machen, wenn ich nicht nervös würde, denn wenn ich nervös werde, kann ich die Energie in etwas Positives verwandeln“

Termine der Woche

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Zum Abschluss der 72. Frankfurter Buchmesse erhält Amartya Sen (Foto) am Sonntag, 18. Oktober,  den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Am Donnerstag beginnt in Potsdam beginnt die dritte Runde der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen.

Am Freitag, lädt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zum Europäischen Tourismusforum. Diskutiert werden die Folgen von Corona.

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