| | | | | 3. Juli 2022 | | Prantls Blick | | Die politische Wochenschau | | | |
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| | | Prof. Dr. Heribert Prantl | | | |
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| | | Europa ist keine langweilige Reihenhaussiedlung. Es ist ein groÃes, ein groÃartiges Haus mit vielen Räumen, vielen Türen, vielen Kulturen und Menschen - Menschen mit den verschiedensten Lebensstilen. Dieses Haus bewahrt, wenn es gut geht, die europäische Vielfalt und den Reichtum, der sich aus dieser Vielfalt ergibt. Am vergangenen Wochenende konnte ich diese Vielfalt sehen, hören und schmecken. Ich war bei der Eröffnung des Donaufestivals in der Doppelstadt Ulm und Neu-Ulm dabei; es ist ein Spektakel, das zehn Tage lang dauert: Da gibt es Musikbühnen, da gibt es einen Markt der Donauländer, da gibt es ein internationales Jugendcamp, kulturelle Begegnungen, Diskussionen. Man geht durch dieses Donaufest und es wird einem bewusst: Ohne ein starkes Osteuropa ist dieses Europa nicht rund, nicht gesund, nicht zukunftsmächtig. Das kleine Europa, das Europa der EWG, hat sich am Rhein entlang entwickelt. Im groÃen Europa, im Europa der EU, kommt die hoffentlich gute Entwicklung an der Donau entlang dazu â bis hin zur Mündung des groÃen Stroms im rumänisch-ukrainischen Grenzgebiet. Ave Maria aus der Ukraine Bei der Eröffnungsveranstaltung sang ein ukrainischer Opernsänger, der im Krieg schwer verwundet und im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm gesundgepflegt worden ist. Er sang, es war eine Geste der Dankbarkeit, vor groÃem Publikum das Ave Maria von Bach/Gounod. Er sang sehr innig und bewegend; und spätestens bei diesem Lied war die Frage obsolet, ob man in Zeiten des Kriegs so ein Fest feiern darf. Europa hat viele Defizite â und so ein Fest ist auch dafür da, die Klage über diese Defizite und Enttäuschungen zu artikulieren. Istvan Pasztor, der Parlamentspräsident der Autonomen Provinz Vojvodina der Republik Serbien hat das getan, Bischof Franjo Komarica aus Banja Luka auch: Europa tut zu wenig, in Brüssel und in Westeuropa, so die Klage, fehlt die Leidenschaft für Osteuropa, es gibt zu viel Naserümpfen über den Balkan. Es fehlt die visionäre Kraft, die in der groÃen Versöhnungsmesse steckte, die vor genau sechzig Jahren der französische Präsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer in der Kathedrale von Reims feierten. Es war dies der Beginn der deutsch-französischen Freundschaft. Davon handelt mein heutiger SZ-Plus-Text. Es wäre gut, dachte ich mir bei der Eröffnung des Donaufestivals in Ulm/Neu-Ulm, wenn man dann am Ende einer solchen Veranstaltung ein gemeinsames Lied anstimmen könnte, eine Europahymne. Europa, so war mein Gedanke, ist ein zu nüchternes Projekt geworden, man kann es nicht singen. Europa fehlt eine (aber nicht blutrünstige) Marseillaise â eine Hymne, in der Hoffnungen und die Sehnsüchte stecken, auch die der Osteuropäer. Mit Verstand und Mut zur Tat Norbert Lammert, der frühere Bundestagspräsident, so habe ich mich da erinnert, hat vor zwei Jahren so eine Hymne geschrieben â auf die Melodie von Beethovens âOde an die Freudeâ. Man kann Lammerts feinen Text gut singen, und er beginnt so: âFür Europa lasst uns streiten / mit Verstand und Mut zur Tat/ um den Fortschritt zu begleiten, / der noch nicht begriffen hat, / was wir können, was wir sollen, / unter Nachbarn alle gleich, / die in Eintracht leben wollen, /frei und froh, durch Vielfalt reich.â Und am Ende heiÃt es: âDenn es gibt noch die Dämonen, / die in manchen Köpfen sind, / und den Kontinent bedrohen, / wenn die Klugheit nicht gewinnt ⦠/ Nichts währt ewig. Ohne Eifer / Gibt es auch Europa nie. / Doch vielleicht sind wir nun reifer: / Freiheit durch Demokratieâ.
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| | | Das Lächeln des Engels von Reims | | |
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| Das wünsche ich uns allen â reif zu sein für Europa. Ihr
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| Heribert Prantl | | Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung |
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| | | | | | | | Azzurro. Das Versprechen von Glück | | Dieses Buch ist das Tagebuch einer Liebe, der Liebe zu einer Frau, die Italien heiÃt. Stefan Ulrich erzählt begeistert und begeisternd von dieser Liebe, davon, wie sie entstanden ist, warum sie so lange hält und warum sie immer noch wächst. Er erzählt von ihren kleinen und groÃen magischen Momenten. Er erzählt von Geschichte und Gegenwart, von Sinnlichkeit, Geselligkeit, von Farbe und Licht - und davon, wie und wo die Liebe durch den Magen geht. Man erfährt, wenn man es nicht schon weiÃ, wie schwer es ist, in Italien schlecht zu essen. Das Wort âerfährtâ ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen. Stefan Ulrich erfährt das Land 4102 Kilometer und zwei Monate lang, von ganz oben nach ganz unten, vom Brenner nach Trapani, und von links nach rechts und von rechts nach links und von kreuz nach quer. Und es ergeht ihm, wie es schon so vielen Italienreisenden ergangen ist: Die Reise nach Italien, die Reise durch Italien ist eine Reise zu sich selbst. Er kann das bestrickend beschreiben. Stefan Ulrich kennt Italien wie seine Hosentasche: Es ist das Land, in das er schon als Kind mit seinen Eltern reiste und in dem er später jahrelang Korrespondent der Süddeutschen Zeitung war. Aber auf seiner jetzigen Fahrt ins Blaue erlebt er Land und Leute immer wieder neu. Kann man sich immer wieder neu verlieben? Es geht â und man kann das lesen. Auf Seite 349 geht ihm auf, dass es ihm in Italien nie langweilig ist: âDas liegt wohl daran, dass ich in Italien, anders als zu Hause, im Augenblick lebe. Der Augenblick aber kann nicht langweilig sein, weil er keine Dauer in der Zeit hat und schon vorbei ist, wenn man ihn bemerkt.â Stefan Ulrich war und ist ein sehr liebenswürdiger und sehr kenntnisreicher Kollege. Er war mein Stellvertreter als Leiter des SZ-Ressorts Meinung und dort dann auch mein Nachfolger. Wenn er seinem neuen Buch den Untertitel âDie geheimnisvolle Leichtigkeit Italiensâ gibt, dann denke ich mir: auch die Zusammenarbeit mit ihm war von einer geheimnisvollen Leichtigkeit. Stefan Ulrich ist vor kurzem aus dem Tageszeitungs-Journalismus ausgestiegen, um sich dem Schreiben seiner Bücher zu widmen; er ist Schriftsteller und Publizist geworden. Sein neues Buch ist ein verführerisches Lehrbuch des schönen Reisens, voll von Lustbarkeiten und Legenden; es ist eine groÃe, kluge Plauderei, die mit einem wunderbaren Satz endet: âItalien ist das Versprechen von Glückâ. Beim Lesen spürt man mehr als einen Hauch davon. Stefan Ulrich, Und wieder Azzurro. Die geheimnisvolle Leichtigkeit Italiens. Das Buch ist soeben bei dtv erschienen, es hat 368 Seiten und kostet 12,95 Euro. | | | | |
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| | | | | Gott schütze unseren Landkreis | | Vor genau fünfzig Jahren, im Jahr 1972, hatte die bayerische Regierungspartei CSU etwas, was meine GroÃmutter gern als âRappelâ bezeichnete â einen Anfall von Irresein. So etwas passierte und passiert bei der CSU immer wieder. Das Projekt von Franz-Josef Strauà aus dem Jahr 1985, in Wackersdorf eine WAA, eine Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstäbe zu errichten, gehört auch zu diesen Anfällen. Das Besondere am Rappel des Jahres 1972 war, dass das Projekt Gebietsreform eigentlich sehr sinnvoll war; es wurde aber mit einer Unsensibilität sondergleichen durchgesetzt. Die CSU, die sich ja gern als Partei von Geschichte und Tradition inszeniert, paukte die Neugliederung Bayerns mit wenig Sinn und viel Unverstand durch, scherte sich um Proteste nichts und um gut gewachsene Strukturen wenig. Die bayerische SPD fragt sich immer wieder, warum sie im weiÃ-blauen Land keinen Fuà auf den Boden bringt. Eine Erklärung dafür findet sich in ihrem Verhalten vor fünfzig Jahren: Damals hätte sie die Chance gehabt, zum Anwalt der Bevölkerung zu werden, sich hinter deren Klagen zu stellen; aber sie wollte die Gebietsreform noch radikaler anpacken als die CSU: Sie wollte die Regierungsbezirke und Landkreise ganz abschaffen; an deren Stelle sollten Verwaltungsregionen treten. Man lernt: Auch bei der SPD gibt es den Rappel. Der Kollege Hans Kratzer erinnert im Bayernteil der SZ vom Wochenende an die Gebietsreform in Bayern, deren erster Teil am 1. Juli 1972 in Kraft getreten ist. Die Lektüre lohnt auch auÃerhalb Bayerns, weil es in ganz Deutschland solche Gebietsreformen gegeben hat. Und die Unsensibilität war da überall zu Hause. Erst Jahrzehnte später kapierten Politik und Verwaltung, wie wichtig Symbole sind â zu den modernen Symbolen gehören die Autokennzeichen. Die Kennzeichen mit den alten, damals aufgelösten Landkreisen durften und dürfen wieder angeschraubt werden. | | | |
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