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Tagesspiegel Checkpoint vom Mittwoch, 27.09.2023 | früh neblig, später Sonnenschein, 14 bis 26°C. | ||
+ Berlin spart an Sterbe- und Trauerbegleitung für Kinder + Görlitzer Park bekommt Zaun zum Jahreswechsel + Einmillionster deutscher Kriegstoter wird geborgen + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, na, dann mal raus in die Sonne! Oder gleich rein ins Wasser! Das Prinzenbad in Kreuzberg heißt ab 7 Uhr alle Badegäste herbstlich Willkommen. „Bei uns kann man zurück in den Sommer reisen“, erklärt die freundliche Frau von den Badeauskunft am Checkpoint-Telefon. Die Wassertemperatur liegt im wärmsten Becken bei mehr als 22 Grad, die Sonne des Spätsommers heizt es weiter auf. „Wir haben hier schon Leute, die sich beschweren, dass ihnen das Wasser zu warm ist.“ Das Prinzenbad, das neben dem Olympiabad, dem Bad am Insulaner sowie dem Strandbad Wannsee die Saison über den Sommer hinaus verlängert hat, sei täglich gut besucht, erzählt die Frau von den Badeauskunft. Den restlichen September kann man in Kreuzberg noch täglich bis 19 Uhr planschen, im Oktober dann werktags bis 16 Uhr. „Und wem es zwischendurch zu kalt wird, der kann nebenan in die kleine Schwimmhalle gehen.“ So gerät Berlin doch noch in die richtigen Bahnen. | |||
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Berlin muss sparen und kürzt dabei an seinem sozialen Gewissen. Nach den umstrittenen Einsparplänen für Frauenhäuser und Gewaltprävention (der Checkpoint berichtete) sowie für Brennpunktschulen (Hintergründe hier) soll auch der Zuschuss für die Sterbe- und Trauerbegleitung für Kinder sinken. „Uns fehlen ab nächstes Jahr 20.000 Euro Mietzuschuss. Da wir unsere Hilfe zu großen Teilen schon als unbezahlte Überstunden leisten, müssen wir im Zweifel unsere Beratungen reduzieren oder ganz einstellen“, sagt Annette Dobroschke, Leiterin von Tabea e.V., im Checkpoint-Gespräch. Die Beratungsstelle am Bahnhof Charlottenburg hilft jährlich etwa 300 Kindern nach plötzlichen Todesfällen von Geschwistern oder Eltern. Am Dienstag etwa habe sich eine Familie gemeldet, deren siebenjähriger Sohn gerade seinen Vater verloren hat; zudem gab es die Anfrage einer Schulsozialarbeiterin für einen 14-Jährigen, der seine Mutter tot in der Wohnung aufgefunden hat. Für ihr Beratungsangebot wurde Dobroschke, die den Hilfsverein vor 30 Jahren ehrenamtlich aufgebaut hat, mehrfach ausgezeichnet. „Mein Bundesverdienstkreuz liegt in der Schublade. Wir brauchen aber eine Wertschätzung durch Unterstützung unserer Angebote.“ Am meisten ärgert die Pädagogin und Traumatherapeutin, dass kein Verantwortlicher aus der Berliner Politik mit dem Verein über die geplanten Kürzungen gesprochen habe und dass „die Senatsverwaltung für Gesundheit weiß, dass wir bereits jetzt unterfinanziert sind“. Dobroschke hofft nun auf die Haushaltsverhandlungen im Abgeordnetenhaus. Sie sagt: „Das Wesen einer Gesellschaft zeigt sich darin, wie sie mit ihren Ärmsten umgeht. Die geplanten Kürzungen bei Frauenhäusern, Suchtprävention und der Sterbebegleitung für Kinder werfen ein trauriges Licht auf Berlin.“ Berlin ist strukturell nicht reich. Aber wird das wirklich besser, wenn die Stadt an ihren sozialen Rändern spart? „Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der Stadt beuten sich meist selbst aus“, sagt Dobroschke. „Wir bringen es aber nicht übers Herz, zu streiken. Denn die Opfer, denen wir helfen, brauchen unsere Hilfe.“ Wie die beiden Jungen, die den Tod der Eltern verkraften müssen und deren Umfeld auf Beratung und Betreuung hofft. | |||
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Wenn der Görlitzer Park eines sicher nicht ist, dann so sicher wie der Central Park in New York. Der Drogen- und Kriminalitätshotspot von Kreuzberg soll deshalb zum Jahreswechsel einen Zaun bekommen. „Der Central Park galt früher als der unsicherste Park der Welt, dann wurde er umzäunt und nachts abgeschlossen“, sagt Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und folgt Empfehlungen von Ermittlern, die in der bisherigen Steinmauer am Görlitzer Park ein Versteck für kriminelle Geschäfte erkennen. Grünen-Politikerin Antja Kapek, die mit ihrer Familie in Parknähe wohnt, hält von diesem Vorgehen nichts. „Lösen sich die illegalen Drogenhändler in Luft auf, wenn da ein Zaun steht und Kameras hängen?“, fragt Kapek am Checkpoint-Telefon und gibt gleich die Antwort selbst: „Natürlich nicht. Das Problem wird sich in die Hauseingänge und Treppenhäuser am Park verlagern und für die Anwohnenden sogar noch verschärfen.“ Dem Vorwurf, der von den Grünen regierte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg habe dem Drogenhandel im Park zu lange zugesehen, tritt Kapek entgegen. „Drogenhandel verschwindet nicht, indem man ihn verbietet. Es braucht eine andere Drogenpolitik der Bundes mit legalen Druckräumen und Fixpunkten für Abhängige. Die Polizei kann am Ende nur Symptome bekämpfen.“ Wegner dagegen hat eine Hoffnung, die über den neuen Zaun hinausreicht: „Heute ist der Central Park nachts nicht mehr abgeschlossen – und zu einem der sichersten Parks geworden.“ Wird man das jemals einmal über den Görlitzer Park sagen können? Was denken Sie? | |||
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Die Zahl ist kaum zu fassen, aber zeigt wie kaum eine andere die deutsche Geschichte. Am Donnerstag soll im Baltikum der einmillionste deutsche Kriegstote auf früheren Schlachtfeldern geborgen werden, um ihn zu identifizieren und auf einem Friedhof zu bestatten. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der als gemeinnützige Organisation im Auftrag der Bundesregierung nach verschollenen Toten sucht, betreut inzwischen mehr als 830 Kriegsgräberstätten in 46 Ländern. Allein in Berlin gibt es 170 Friedhöfe für die Opfer von Krieg und Gewalt mit etwa 150.000 Toten. Thomas Schock ist Chefumbetter des Volksbundes. Der 59 Jahre alte Kieler gräbt seit 26 Jahren nach deutschen Kriegstoten im Ausland und organisiert die Umbettungen. Im Interview erzählt er, wie Deutschland mit dem schwierigen Erbe der Weltkriege umgeht, die es selbst angefacht und entfacht hat. Herr Schock, es herrscht wieder Krieg in Osteuropa. Gleichzeitig gräbt der Volksbund nach Toten früherer Kriege, gibt ihnen ein reguläres Grab und pflegt es. Kommt Ihnen das absurd vor oder heilsam? Es hat seltsame Seiten, ja. In Vilnius haben wir bei der Suche nach Opfern des Ersten und des Zweiten Weltkrieges noch sterbliche Überreste von Soldaten der Napoleon-Feldzüge gefunden. Zuletzt haben ukrainische Soldaten nördlich von Kiew Schützengräben ausgehoben und dabei Gebeine eines deutschen Wehrmachtssoldaten geborgen, der einst hier auch in Schützengräben lag. Sie wurden uns übergeben, damit wir sie ordentlich bestatten können. Sie bergen menschliche Überreste auf früheren Schlachtfeldern, identifizieren die Toten, beerdigen sie in ganz Europa, benachrichtigen die Nachkommen. Welchen Wert hat diese Arbeit für Sie? Wir arbeiten für den Frieden, indem wir den Toten des Krieges ein würdiges Grab geben, das uns mahnt, Frieden zu halten. Man erkennt den Wert an den Funden, die wir jetzt in der Ukraine machen. Wenn uns heutige Soldaten melden, dass sie Gebeine früherer Soldaten entdeckt haben, ist das berührend. Sie haben die Erkennungsmarken des Wehrmachtssoldaten aufgehoben und so die Identität des Toten gesichert. Wo und wie suchen Sie sonst nach Überresten? Wir suchen in ganz Europa nach unbekannten Toten. Wenn wir Informationen aus Archiven zu ehemaligen Schlachtfeldern haben, oder wenn es noch Zeitzeugen gibt – eine alte Frau, die sich erinnert, dass an ihrem Feldrand einst Menschen verscharrt wurden – dann prüfen wir zunächst die Verdachtsstellen. Wir untersuchen die Beschaffenheit der Böden, sichten alte Luftbilder. Deutsche Flugzeuge haben zum Beispiel die Schlachtfelder von Stalingrad überflogen, nachdem die Sowjets diese zurückerobert hatten. Beim Vergleich mit früheren Bildern sieht man ehemalige Bunker, die zugeschüttet worden sind. Das könnte ein Ort sein, an dem Tote begraben worden sind. Sie werden in dieser Woche im Baltikum den einmillionsten deutschen Kriegstoten ausgraben. Welche Bedeutung hat dieses traurige Jubiläum? Die Zahl ist unfassbar. Aber wichtiger ist das jeweilige Einzelschicksal. Wir versuchen, den toten Soldaten ihre Biografien zurückzugeben. Die Lebenswege sind auch wichtig für die Bildungsarbeit. Die Zahlen aus dem Zweiten Weltkrieg sind kaum zu begreifen. In den 200 Tagen der Schlacht um Stalingrad gab es eine Million Tote. Es gelten noch mindestens eine Million Wehrmachtssoldaten als verschollen. Da draußen liegen viel mehr Tote, als wir uns vorstellen. Wie empfinden Sie den Spagat zwischen der Schuld der Täter, überhaupt der Deutschen am Krieg, und dem Recht auf Totenruhe und Gewissheit? Wir sortieren beim Ausgraben nicht nach guten und schlechten Toten. Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob es sich womöglich um einfache Soldaten handelt oder den Leiter eines Konzentrationslagers. Auf einigen Kriegsgräberstätten informieren wir in Ausstellungen über die Biografien von dort bestatteten Toten. Wir gehen damit offen um. Ein Grab für Kriegstote ist kein ehrendes, sondern ein mahnendes Gedenken. Und jede Nation, in der sich eine Kriegsgräberstätte befindet, hat ihre eigene Sicht. In Polen werden die Namen der Männer von SS-Einheiten in Namenbücher verzeichnet, aber nicht in Grabsteine graviert, weil die SS eine verbrecherische Organisation war und in Polen Massaker verübt hat. Sie sind ein Nachkriegskind. Wie hat sich Ihr Blick auf den Krieg verändert? Der Blick jeder Generation auf den Krieg ändert sich. Gerade sind Kriegsgräberstätten des Ersten Weltkriegs zum Weltkulturerbe erklärt worden. Gleichzeitig ist die deutsche Gesellschaft heute sensibler als früher für die Verbrechen der Wehrmacht. Für mich ist klar: In einem Krieg gibt es keine Helden. Das gesamte Interview, in dem Schock auch über die Auseinandersetzungen im Volksbund über das Gedenken an die Wehrmacht, die derzeitige Arbeit in der Ukraine und in Russland sowie darüber spricht, wie das Suchen nach Kriegsleichen seine eigene Sicht auf das Leben verändert, lesen Sie hier bei Tagesspiegel plus. | |||
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