Daniel Pipes

"Gottlose Sarazenen drohen mit Vernichtung

von Daniel Pipes
Middle East Quarterly
Winter 2012

http://de.danielpipes.org/20082/gottlose-sarazenen-drohen-mit-vernichtung

Englischer Originaltext: "Godless Saracens Threatening Destruction":

Anmerkung des Autors: Diese Studie als in meinem Buch von 1983, In the Path of God: Islam and Political Power (New York; Basic), S. 348 Fußnote 47 als "anstehend" angekündigt. Sie zu beenden dauerte 38 Jahre, aber hier ist sie, mit einem anderen Untertitel. Dieser Artikel ist Teil 1; Teil 2, zur Moderne, wird in der nächsten Ausgabe erscheinen.

In einem Gespräch, das offenbar am 13. Juli 634 stattfand, nur zwei Jahre nach Mohammeds Tod, wurde ein alter Mann gefragt, was er von "dem Propheten, der bei den Sarazenen erschienen ist" hielte. Er antwortete, dass Mohammed "ein Blender ist. Kommen die Propheten mit Schwert und Streitwagen?" Ein weiterer stimmte zu und merkte an: "Es gibt keine Wahrheit von dem sogenannten Propheten, nur Blutvergießen." Einige Monate später bezeichnete der Patriarch von Jerusalem in einer Predigt an Heiligabend 634 die Muslime als "den Schleim der gottlosen Sarazenen, die mit Abschlachten und Vernichtung drohen".[1]

So begann die christliche Reaktion auf Muslime Unheil verheißend in einem Moment, als sich die religiöse Leidenschaften auf Höchststand und die Empfänglichkeit für neue Einflüsse auf niedrigstem Stand befanden. Diese feindselige Reaktion blieb dann über das nächste Jahrtausend, von 634 bis 1700, weitgehend statisch. Erst in den letzten drei Jahrhunderten entwickeltenl sich Einstellungen, die die alte Feindseligkeit mit etwas verblüffend anderem mischte.

Die folgenden Seiten skizzieren die christlichen Reaktionen auf den Islam und die Muslime im Verlauf des Jahrhunderts. Warum betrachtete Europa[2] Muslime solange negativ? Teil II wird fragen, warum dies sich zum Teil änderte und wie die aktuelle Lage aussieht.

Militär – außerhalb Europas

Zwei Herausforderungen, militärisch und religiös, sind für Europas ursprüngliche und dauerhaft Feindseligkeit gegenüber Muslimen verantwortlich.

Zwei Herausforderungen, eine militärische und eine religiöse, sind für Europas ursprüngliche und dauerhafte Feindseligkeit gegenüber Muslimen verantwortlich. Muslime eroberten vor dem Jahr 1700 nicht nur einen Großteil der Christenheit und bedrohten, was ihrer Kontrolle Widerstand leistete, sondern sie stellten auch eine einzigartige religiöse Herausforderung dar. Diese Kombination verlieh ihnen eine einzigartige Rolle.

Was "die älteste Front der Welt"[3] genannt worden ist, tat sich mit den militärischen Siegen der Muslime über Christen auf. Zwei Jahre nach dem Tod Mohammeds im Jahr 632 begannen Muslime byzantinisches Territorium nördlich von Arabien zu überfallen; nur 82 Jahre später hatten sie Ländereien erobert, die sich von den Pyrenäen bis nach Zentralasien erstreckten, darunter Syrien, Ägypten, Nubien, Nordafrika und Spanien, wie auch die vielen Im Irak und dem Iran lebenden Chrsiten. Fakt ist: In weniger als einem Jahrhundert wurde fast das gesamte Christentum außerhalb von Europa und Anatolien abrupt in das eingegliedert, was die Muslime Dar al-Islam nennen (von muslimischen Herrschern kontrolierte Territorien).

In vormodernen Zeiten stellten Christen die Mehrheit der Bevölkerung, die unter muslimische Kontrolle gerieten, darunter in Syrien, Ägypten, Nubien, Nordafrika und Spanien sowie diejenigen, die im Irak und im Iran lebten. In Europa kamen Angriffe nach dem Jahr 955 überwiegend von Muslimen, die ihre Angriffe bis 1700 fortsetzten.

Mit einer einzigen Ausnahme fielen die wenigen Regionen außerhalb Europas, die den ersten arabischen Ansturm überlebten, schließlich doch er muslimischen Eroberung zum Opfer. Konstantinopel, Hauptstadt von Byzanz und Pforte nach Osteuropa, widerstand den muslimischen Angriffen acht Jahrhunderte lang, was mit einer muslimischen Marineexpedition im Jahr 654 begann. Es unterlag schließlich am 29. Mai 1453 den osmanischen Türken, einer der schwärzesten und am stärksten nachhallenden Daten in der christlichen Geschichte. Byzanz hielt in Anatolien mehr als vier Jahrhunderte stand, von 653 bis 1071, aber dann überrannten die Türken sein Land und eliminierten schließlich 1461 das letzte griechische Königreich. Die Armenier fieleln 666 unter muslimische Herrschaft und blieben es danach, mit Ausnahme eines langen Zeitabschnitts von 885 bis 1375. Genauso fielen die Georgier 654 unter muslimische Kontrolle, erfreuten sich eines Aufstands im Mittelalter und fielen im 16. Jahrundert wieder unter muslimische Herrschaft. Viele in den Ebenen Syriens lebende maronitische Christen flohen vor der muslimischen Herrschaft, indem sie in die Berge des Libanon zogen; dort behielten sie den größten Teil der islamischen Ära hindurch ihre Unabhängigkeit, fielen aber schließlich an die Osmanen. Dongola im Sudan hielt bis etwa 1350 aus und das nahe gelegene Alwa bis 1504.

Nur das christliche Königreich Äthiopien widertand dem muslimischen Drang nach Territorium, was es zum einzigen überlebenden christlichen Land außerhalb Europas machte. Und auch dieses Land wäre dem Jihad (muslimischer Krieg gegen Nichtmuslime) zum Opfer gefallen, hätte es nicht gegeben, was die Historikerin Elaine Sanceau die "kaum weniger als übenatürliche" Intervention eines kleinen portugiesischen Kontingents zu seinen Gunsten nennt.[4] Es war in der Tat fast übernatürlich, da die von Ahmad Gran geführte muslimische Invasion von 1530/31 das uralte christliche Königreich überrannt hätte, hätten die 350 portugiesischen Kanoniere und Gewehrschützen 1541 nicht zusammen mit zweihundert Äthiopiern gegen 15.000 Bogenschützen, 1.500 Berittene und 200 türtische Arkebusiere standgehalten.

Orthodoxe äthiopische Priester nehmen an einer religiösen Zeremonie in Addis Abeba teil. Im 4. Jahrhundert nahm Äthiopien das Christentum als Staatsreligion an. Es war das einzige christliche Königreich außerhalb Europas, das dem muslimischen Drang nach Territorium standhielt. Mehr als 60 Prozent der Äthiopier sind auch heute noch Christen.

Diese christlichen Länder gingen zu einer Zeit verloren, als die Levante und Nordafrika – nicht Europa – das Kernland der Christenheit waren, seinen größten Bevölkerunganteil, Schlüsselinstitutionen und Kulturzentren hatten. Die muslimische Herrschaft zerstörte die Vorherrschaft der östlichen Christenheit und dezimierte die Macht ihrer Kirchen. Vier von fünf Patriarchaten (Alexandria, Antiochia, Konstantinopel, Jerusalem) verloren einen Großteil ihrer Autonomie und ihres Einflusses, als sie unter muslimische Herrschaft gebracht wurden. Westeuropäer, schreibt Norman Daniel, betrachteten das Christentum als "eine einzige Nation, die im Aufstieg des Islam eines Drittels ihrer besten Provinzen beraubt wurde"[5] und danach noch weiterer. Europa war zur Waise geworden.

Militär – Europa

Näher an Europa kam jede größere Insel im Mittelmeer unter muslimische Herrschaft. Die Dauer schwankte zwischen mehreren Monaten für Sardinien bis zu mehr als sechs Jahrhunderten für Zypern. Muslime hersschten von 903 bis 1228 über die Balearen-Inseln und überfielen die Inseln hunderte Jahre lang davor und danach. Sie herrschten von 814 bis ins frühe zehnte Jahrhundert auf Korsika; auf Kreta von 826 bis 961 und von 1669 bis 1897; auf Zypern von 649 bis 965 und von 1573 bis 1878; auf Malta von 869 bis 1091; auf Rhodos kurz von 653 bis 658 und 717 bis 718, dann von 1522 bis 1912; und auf Sizilien von 827 (allerdings standen vor 965 nur Teile der Insel unter muslimischer Kontrolle) bis 1091.

Was das europäische Festland angeht, griffen es Wellen an Invasoren in der Antike und im frühen Mittelalter an. Aufstände von nichtmuslimischen Völkern wie den Kelten, Goten, Magyaren und Wikingern endeten 955 bis auf die einzige Ausnahme der mongolischen Invasion Osteuropas 1240/41. Im Gegensatz dazu setzten die Muslime ihre Angriffe fast weitere 800 Jahre bis 1700 fort. Damit kamen die Angriffe auf Europa bis auf die Ausnahme der Mongolen (von denen viele zum Islam konvertierten, so dass auch sie fast ins Muster passen) nach 955 überwiegend von Muslimen.

Der Jihad kam in zwei Hauptwellen: ein arabischer Feldzug im Westen vom 8. bis ins 10. Jahrhundert und ein türkischer Feldzug im Osten vom 14. bis ins 17. Jahrhundert. (Die beiden Zeitalter der muslimischen Kontrolle über Kreta, Zypern und Rhodos spiegelt diese zweifache Offensive.)

Auf dem europäischen Festland unterlagen die Christen oft muslimischen Attacken. Araber eroberten von 711 bis 716 Spanien, zerstörten das dortiuge christliche Westgotenreich, zogen nach Gallien weiter und kamen 732 bis nach Poitiers, 350 km südwestlich von Paris. Edward Gibbon spekulierte bekanntlich, dass ohne den Sieg der Franken bei Poitiers

heute in den Schulen von Oxford vielleicht die Interpretation des Koran gelehrt würde und seine Kanzeln beschnittenen Leuten die Heiligkeit und Wahrheit der Offenbarung des Mahomet demonstrieren würden.[6]

Obwohl die Araber es nicht schafften eine feste Basis außerhalb der Iberischen Halbinsel zu etablieren, wurden ihre Überfälle zu einem traurigen Fakt des Lebens in vielen Teilen des Europa des neunten und zehnten Jahrhunderts. Eine bemerkenswerte Expedition brachte die muslimischen Invasoren 846 in die Vororte Roms, wo sie die Papst-Kirche des Heiligen Petrus angriffen. Eine nach diesem Feindeinfall gebaute Mauer zum Schutz des Papstes – mit Arbeit, die weitgehend von muslimischen Gefangenen geleistet wurde – führte schließlich zur Gründung des unabhängigen Vatikanstaates. Italien beherbergte einmal ein unabhängiges muslimisches Emirat, auch wenn es nur kurz existierte (853 bis 871) und klein war (in Bari, nahe des Absatzes des italienischen Stiefels).

Arabische Plünderer eroberten 889 die Stadt Fraxinetum (heute Garde-Frainet) bei St. Tropez an der Côte d'Azur und hielten sie fast ein halbes Jahrhundert; von dort durchstreiften sie das Rhonetal und kamen bis in die Schweiz. Einmal, 954, plünderten Muslime aus Fraxinetum das Kloster von St. Gallen am Bodensee an der heutigen schweizerisch-deutschen Grenze. In den 920-er Jahren kontrollierten Muslime viele der durch die Alpen führenden Pässe.

In den 920-er Jahren kontrollierten Muslime viele der Pässe, die durch die Alpen führten. 954 plünderten arabische Angreifer das Kloster von St. Gallen (oben) an der heutigen schweizerisch-deutschen Grenze.

Die arabische Präsenz weitete sich östlich nach Athen aus, wo um das Jahr 1000 eine Kolonie Muslime lebte. Sie bauten eine Moschee an der Stelle des antiken Tempels, dem Asclepium, und arbeiteten als Tagelöhner in der Stadt.[7] Dieser Invasionen wird heute noch mit Namen von Orten gedacht: So leitet Pontresina, eine Stadt bei St. Moritz in der Schweiz, ihren Namen vom lateinischen "Pons Saracenorum" ab, Brücke der Sarazenen, ein mittelalterlicher Begriff für Araber und Muslime.[8] So Angst einflößend und machtvoll diese Überfälle auch in das Gedächtnis der örtlichen Einwohner eingeprägt sind, hatten sie doch wenig Stehvermögen; tatsächlich machten die Muslime viele Jahrhunderte nach der Eroberung Spaniens in Europa keine nachhaltigen Fortschritte.

Eine zweite Welle Eroerungen begann 1356, als die osmanischen Türken den Bosporus überschritten und Gallipoli von den Byzantinern eroberten. Im Verlauf der nächsten Jahrhunderte eroberten die Osmanen Griechenland und fast die gesamte Balkanregion, eine Tatsache, der wieder mit vielen Ortsnamen gedacht wird: Balkan ist zum Beispiel Türkisch für Berg. Viele christlichen Völker, darunter die Griechen, Serben und Ungarn, fielen unter muslimische Herrschaft. Der osmanische Vormarsch erreichte seinen Höhepunkt mit zwei erfolglosen Belagerungen Wiens in den Jahren 1529 und 1683.

Als Teil eines Versuchs Griechenland von der osmanischen Herrschaft zu befreien, beschoss eine Koalition europäischer Söldner-Armeen den Parthenon, den die Türken als Munitionslager nutzten; und im September 1687 hinterließen ein direkter Treffer und das nachfolgende Feuer das Gebäude als die Ruine, die man heute kennt. (Die Explosion hatte auch den Effekt die Türken zur Kapitulation zu zwingen.)

Muslimische Seemacht konnte fast jede Küste treffen. Berber-Piraten landeten 1627 in Island und nahmen hunderte Gefangen, um sie als Sklaven zu verkaufen.

Die Macht der Türken reichte über den Balkan hinaus: Im Norden hielten die Osmanen von 1672 bis 1699 die polnische Region Podolia; im Osten herrschte eine unabhängige muslimische Dynastie von 1475 bis 1774 über die Krim; und im Westen hielten sie 1480/81 vorübergehend Otranto in Italien. Muslimische Seemacht konnte fast jede Küste erreichen. In einem Extremfall landeten zwei Berbergruppen, eine aus Marokko, die andere aus Algier, 1627 in Island. Der Vorfall wurde als Tyrkjaránið bekannt; dabei wurden hunderte Gefangene gemacht, um sie Zuhause als Sklaven zu verkaufen. Obwohl diese Vorstöße nicht viel zur Folge hatten, hätten die Dinge auch anders ausgehen können. Bedenken Sie die Offensive in Italien, die die Osmanen wegen interner Zwänge aufgaben; Bernard Lewis weist darauf hin, dass sie schwerwiegende Folgen hätte haben können.

Die Leichtigkeit, mit der die Franzosen ein paar Jahre später, 1494/95, in der Lage waren italiensische Staaten einen nach dem anderen fast ohne Widerstand zu erobern, legt nahe, dass die Türken, hätten sie ihre Pläne durchgezogen, den größten Teil oder ganz Italien ohne allzu große Mühe erobert hätten. Eine Eroberung Italiens durch die Türken 1480, als die Renaissance gerade begann, hätte die Geschichte der Welt verändert.[9]

Sieht man sich das gesamte kontinentale Europa an, dann kontrollierten Muslime manchmal den größten Teil von oder die ganzen Staaten Portugal, Spanien, Ungarn, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Kosovo, Albanien, Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Beralrus und Moldawien. Zusätzlich herrschten sie über Teile von Frankreich, der Schweiz, Italien, Österreich, Polen, Litauen, der Slowakei, Solweniens und der Ukraine.

Über einen Zeitraum von mehr als zwölfhundert Jahren gewannen Christen wiederholt ihre Unabhängigkeit von Muslimen.

Diese weit verbreitete muslimische Präsenz bedeutete, dass Christen im Verlauf eines zwölfhundert Jahre dauernden Zeitraums wiederholt ihre Unabhängigkeit gegen die Muslime gewannen, von der 722 begonnenen spanischen Reconquista bis zu Albaniens Unabhängigkeitskrieg 1912. Es überrascht nicht, dass Muslime weithin als der führende Feind betrachteten wurden und sich in Südeuropa, besonders in Portugal, Spanien, Sizilien, Serbien, Griechenland, Bulgarien und Rumnäien nationale Identitäten in Gegnerschaft zu ihnen bildeten. Araber, Sarazenen, Mauren, furchtbare Türken, Tatarenhorden und Berber-Piraten dienten als Gegenkulisse für christliche Tapferkeit. Heilge (ganz besondoers König Ludwig IX. von Frankreich) machten sich einen Namen, indem sie sich gegen die Muslime behaupteten.

Muslime spielten diese Rolle auch in der Literatur, vom mittelalterlichen Chanson de Roland und Cantar de mio Cid über Don Quixote und Os Lusiadas in der frühen Moderne bis zum modernen Le Camp des Saints und Soumission.[10] Andorras Nationalhymne, 1921 eingeführt, beginnt so: "Der große Karl der Große, mein Vater, befreite mich von den Sarazenen."

Feindseligkeiten mit Muslimen kurbelten die Militärtechnologie an. Galileo zum Beispiel entwickelte das Telekop nicht nur, um Kopernikus' heliozentrische Theorie zu beweisen, sondern auch als "Spionierglas", das miltärische Nachrichteneinheiten nutzen konnten, um osmanische Marinefahrzeuge zwei Stunden früher sehen zu können als mit dem bloßen Auge.[11] Von Muslimen umzingelt zu sein inspirierte Marine-Entdeckungen, angefangen mit denen, die Prinz Heinrich der Navigator von Portugal (1394 bsi 1460) anregte.

Eine Membran muslimischer Völker von Spanien über Nordafrika und die Levante bis nach Zentralasien und Sibirien, trennte das mittelalterliche Europa vom Rest der östlichen Hemisphäre ab; praktisch von Muslime umzingelt zu sein, verschärfte christliche Ansichten. Nicht nur schafften es wenige Europäer über die Muslime hinauszureichen, sondern Berichten aus dem nichtmuslimischen Afrika und Asien – zum Beispiel die von Marco Polo – wurde oft mit Skepsis begegnet.

Umzingelt von Muslimen und "beschäftigt mit augenblicklichen Problemen, die die Bedrohung durch den Islam mit sich brachte, verlor Europa den [nichtmuslimischen] Osten als Land der Realität völlig aus den Augen", schreibt der Historiker Donald Lach.[12] Christen erkannten kaum, wie begrenz ihr Blick war: "Der Islam zwang die Christen nicht nur in einer eng abgeschirmten Welt zu leben ... er ließ sie auch das Gefühl haben, dass eine solche Existenz eine normale sei", vermerkt John Meyendorff.[13] Zusätzlich fühlten sich die Europäer oft isoliert und ohne Hoffnung. So schreibt Roger Bacon in den späten 1260-er Jahren: "Es gab wenige Christen; der ganze Umfang der Welt ist von Ungläubigen bewohnt und es gibt niemanden, der ihnen die Wahrheit zeigt."[14] Die Europäer behielten dieses klaustrophobische Gefühl von Feinden umzingelt zu sein bis etwa 1450.

Etwa eintausend Jahre, vom ersten Angriff auf Konstantinopel im Jahr 654 über den zweiten Angriff auf Wien 1683, stellten Muslime für Europa die konstanteste externe Herausforderung dar, so dass Europa sich mehr als ein Jahrtausend wegen muslimischer Macht große Sorgen machten. Die religiöse Herausforderung durch den Islam verstärkte dieses Gefühl der Bedrohung dann noch.

Religion – eine künstliche Religion, Mohammed

Die islamische Religion bereitete den Europäern nicht weniger Sorgen als die muslimischen Armeen. Der Islam stellte für die Christenheit mehrere einzigartige Herausforderungen dar: Sie wurde als falsch betrachatet. Sie maßte sich an das Evangelium zu vervollkommnen und abzulösen. Sie bot einen brauchbaren und attraktiven alternativen Lebensstil. Und sie war für mehr christliche Konvertiten attraktiv als jede andere Religion. Der prominente schottische Verwaltungsleiter in Indien und Islamforscher Sir William Muir schrieb 1845, der Islam sei "der einzige ungtarnte und beachtliche Antagonist des Christentums".[15] Wilfred Cantwell Smith fügte 1957 hinzu: "Bis zu Karl Marx und dem Aufkommen des Kommunismus organisierte und begann der Prophet die einzige ernste Herausforderung zu westlicher Zivilisation, der sie sich im gesamten Verlauf ihrer Geschichte gegenüber sah."[16]

Das ganze Mittelalter hindurch betrachteten Christen den Islam nicht nur als gefälschte Religion, sondern als Deformation der christlichen Botschaft, Perversion ihres eigenen Glaubens. Der Heilige Johannes der Damaszener (gest. ca. 749) betrachtete den "Aberglauben der Ismaeliten" als christliche Häresie.[17] In diesem Geist stellten sich mittelalterliche Christen vor, dass Muslime eine unheilige Dreieinigkeit anbeteten: Mahon (d.h. Mohammed), Tervagant und Apollin. Sie betrachteten den islam als Inbegriff des Bösten, als teuflisch clevere Mischung aus Doktrinen, die menschliche Schwächen ausnutzen. In einer prägnanten Formulierung erklärt Norman Daniel, dass der Islam für "eine sexuell verdorbenen Tyrannei auf der Grundlage falscher Lehren" steht.[18]

Anschuldigungen von islamischer Manipulation von Religion, Macht und Sex wurden Teil des europäsichen Standardrepertoires und zeigten eine "erstaunliche Hartnäckigkeit"; sie tauchten während des gesamten Mittelalters immer wieder in verschiedenen Formen und endlosen Varianten auf.[19] Der irische Autor eines zweibändigen Werks zu nationalem Charakter, Richard Chenevix (1774 – 1830) erklärte, der Islam erfülle jeden üblen Impuls:

Um den verschiedenen Charakteren zu entsprechen, die Arabia Felix, Arabia Petrea und Arabia Deserta gehören, muss die [islamische] Religion so differenziert werden wie diese Bezirke. Für die einen muss es grausam sein, für andere lustbetont; eitel, luxuriös, enthusiastisch, ungestüm für alle. Dem Räuber muss die Plünderung von Ungläubigen eingeschärft werden; dem Krieger muss Eroberung und Ausrottung gepredigt werden, dem Trägen müssen die Vergnügungen der Sinne erlaubt werden; allen Jüngern muss eine Ewigkeit lüsterner Seligkeit vesprochen werden, vorausgesetzt sie fallen bei der Verteidigung des Propheten.[20]

Die Ablehnung des Islam als gültiger Glaube ist auf die Person des islamischen Propheten Mohammed ausgerichtet.

Die Ablehnung des Islam als gültiger Glaube ist auf die Person des islamischen Propheten Mohammed ausgerichtet. Annemarie Schimmel vermerkt: "Mehr als jede andere historische Persönlichkeit war es Mohammed, der in der mittelalterlichen christlichen Welt Angst, Abneigung und Hass hervorrief."[21] Die Christen nahmen an, dass Mohammed mehr als Mensch war, denn wie konnte ein bloßer Sterblicher solch clevere Möglichkeiten entwickeln, um Anhänger zu finden und sie offensichtliche Unwahrheiten glauben machen? Mohammeds Botschaft stellte Täschung und Gewalt dar; insbesondere sein Leben (die vielen Ehefrauen, die Billigung von Polygamie und dem Konkubinat) führten zum Vorwurf eines sexuellen Freibriefs. Daniel stellte fest, dass Mohammed wegen "der Gewalt und Stärke schlecht gemacht, mit der er seine Religion anordnete; die Obszönität und Lässigkeit, mit der er seine Anhänger, die er nicht überzeugte, bestach; und schließlich sein erwiesenes Menschsein, das er ständig beweisen wollte, obwohl kein Muslim das bestritt, geschweige denn das überhaupt wollte."[22]

Ähnliche rechtfertigten solche Einstellungen gegenüber Mohammed christliche Ablehnung all dessen, was der Islam repärsentierte. Wenn Mohammed ein Blender war, wie konnten Muslime da lauter sein? Christen gaben dieser Skepsis in ihrer Terminologie Ausdruck. "Mahomet" bedeutete im Englisch des 16. Jahrhunderts einen Götzen, "Mahometry" bedeutete Götzendienst.[23]

Ähnlich zeigten europäische Christen ihre Verachtung für den Islam, indem sie den Anhängern Mohammeds eher ethnische als religiöse Namen zuordneten. Bernard Lewis schreibt: "In Griechenland konnten die Muslime Araber, Perser, Hagarener[24] oder sogar Assyrer genannt werden; in Russland waren sie Tataren; in Spanien Mauren; im Großteil Europas Türken; und im östlichen wie im westlichen Christentum wurden sie üblicherweise Sarazenen genannt, ein Name undurchsichtiger Herkunft, der aber sicher eine ethnische Bedeutung hat."[25]

Religion – Konversion

Als zivilisierte Völker, die einen anspruchsvollen Glauben mit einer verlockenden Kultur brachten, unterschieden sich Muslime von fast allen anderen Invasoren Europas, die sich auf Plünerung konzentrierende Stammesangehörige waren. Muslime taten mehr als Grundbesitz zu zerströren; sie forderten die Vorherrschaft des Christentums heraus.

Die meisten mittelalterlichen Christen, die im Dar al-Islam lebten, machten den unwiderruflichen Schritt und konvertierten zum Islam, dem Glauben ihrer politischen Herren, wenn auch in sehr unterschiedlichen Quoten. Christen verschwanden fast aus Arabien, Nordafrika und dem größten Teil Anatoliens, während sie andernorts als kleine Minderheiten im Nahen Osten aushielten. Kopten stellen heute nur ein Zehntel der Bevölkerung Ägytens und von den Jakobitern, Malachitern, Nestorianern und orthodoxen Gemeinschaften überlebten im Fruchtbaren Halbmond und dem Iran nur Reste. Eine Kombination aus politischer Solidarität und unzugänglichem Terrain erlaubte den Armeniern und Libanesen überwiegend christlich zu bleiben.

Die Christen im Nahen Osten zählen aktuell rund 15 Millionen, leben zumeist in Ägypten, dem Libanon, Zypern und Syrien und stellen wenigter als 5 Prozent der etwa 370 Millionen Bevölkerung der Region.

In Europa finden Konversionen von Christen zum Islam mit größter Regelmäßigkeit auf der Iberischen Halbinsel, einigen Mittelmeerinseln, und Teilen des Balkan statt. Spanien und Sizilien sind sogar wichtige mittelalterliche Zentren muslimischer Kultur geworden. Gelegentlich konnte christlische Rückeroberung Muslime zwingen eine Region komplett zu verlassen, wie es in Spanien und auf allen großen Mittelmeerinseln außer Zypern (wo heute rund 150.000 indigene Türken leben) geschah.[26]

Muslimische Herrschaft konnte und wurde umgekehrt werden, Konversionen zum Islam weniger.

Muslimische Herrschaft konnte rückgängig gemacht werden, was auch geschah, Konversionen zum Islam hingegen weniger, denn nur vernachlässigbare Zahlen Muslime fallen von ihrem Glauben ab und sie tun das in der Regel als isolierte Einzelne; die beiden tonangebenden Fälle von gemeinschaftlicher Konversion – die Tataren des Russland des 17. Jahrhunderts und die Sunniten des Libanon um 1700 – fanden beide unter Druck und in der Erwartung sofortiger Vorteile für die Konvertiten statt. Heute lebt in Europa eine indigene muslimische Bevölkerung (heißt, ohne Immigranten nach Europa im Verlauf des letzten Jahrhunderts oder kürzlich erfolgter Konversion zum Islam) von 15 Millionen, zumeist auf dem Balkan und dem türkischen Thrakien. Die dichteste Konzentration und größte Anzahl (rund 10 Millionen) findet sich in Instabul mit geringeren Amzahlen in Albanien, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo und Montenegro.

Schlussfolgerung

Die Begegnung mit dem Islam geschah etwa achthundert Jahre vor dem Kontakt mit den Japanern oder Chinesen, Hindus oder Buddhisten, Afrikanern oder Amerikanern. Tatsächlich wurde die einzigartig feindliche Natur der europäischen Ansichten gegenüber Muslimen ab dem frühen 15. Jahrundert mit dem Aufkommen der Entdeckungsfahrten Europas offenkundig, als Christen weit positiver auf die Nichtmuslime reagierten, denen sie begegneten, und Muslime weit deutlicher als permanenter Feind herausstachen.

Als einziger hartnäckiger Rivale des mitteleuropäischen Europa riefen Muslime Reaktionen hervor, die alle westlichen Beziehungen mit der äußeren Welt beschwören. Der Planet schien zwei Hauptteile zu haben, einen christlich, der andere muslimisch; diese repräsentierten sich und andere, Gut und Böse. Der Historiker R. W. Southern erkannte im "der Existenz des Islam ... das weitreichendste Problem im mittelalterlichen Christentum. Er war ein Problem auf jeder Erfahrungsebene" – praktisch, theologisch und historisch.[27] Der muslimische Faktor beeinflusste das mittelalterlich-christliche Selbstempfinden, Innovation, Entdeckungsreisen und Ansichten zur Außenwelt.

Daniel Pipes (www.DanielPipes.org @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
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[1] Walter Emil Kaegi, Jr.: Initial Byzantine Reactions to the Arab Conquest. Church History, Juni 1969, S. 139-49.

[2] Europa wird hier als die Halbinsel westlich etwa des 30. östlichen Breitengrades definiert, dazu seine angrenzenden Inseln, womit der größte Teil von Russlan und die Türkei mit beachtlichen Ausnahme von Istanbul ausgenommen sind. Dieser Bericht konzentriert sich beosnders auf Christen im vormodernen Europa und erweitert das in der Folge manchmal, um den Westen als Ganzes zu meinen.

[3] Gai Eaton: Islam and the Destiny of Man. State Univ. of N.Y. Press / Islamic Texts Society, 1985, S. 2. Diese Analyse akzeptiert die herkömmliche Darstellung des Ursprungs des Islam.

[4] Elaine Sanceau: The Land of Prester John: A Chronicle of Portuguese Exploration. New York (Alfred A. Knopf) 1944, S. 136.

[5] Norman Daniel: Islam and the West: The Making of an Image. Edinburgh (The University Press) 1958, S. 109.

[6] Edward Gibbon: The History of the Decline and Fall of the Roman Empire, Bd. 3. London (Everyman's Library) 1993, S. 469.

[7] Kenneth M. Setton: On the Raids of the Moslems in the Aegean in the Ninth and Tenth Centuries and Their Alleged Occupation of Athens. American Journal of Archaeology, 58 (1954), S. 319.

[8] Manfred W. Wenner: The Arab/Muslim Presence in Medieval Central Europe. In: International Journal of Middle East Studies, Aug. 1980, S. 66 (mit einer Liste weiterer Namen)

[9] Bernard Lewis: The Muslim Discovery of Europe. New York / London (WW Norton) 2001, S. 32.

[10] Daniel Pipes: Wer wird die Zukunft Frankreich schreiben?. The Washington Times, 7. Juni 2016.

[11] Dankwart A. Rustow: The Military Legacy. In: L. Carl Brown (Hg): Imperial Legacy: The Ottoman Imprint on the Balkans and the Middle East. New York (Columbia University Press) 1996, S. 252-53.

[12] Donald F. Lach: Asia in the Making of Europe, vol. 1, bk. 1. Chicago (University of Chicago Press) 1965, S. 22.

[13] John Meyendorff: Byzantine Views of Islam. Dumbarton Oaks Papers, 18 (1964), S. 131-32.

[14] Roger Bacon: Baconiis Opens Maius Pars Septima seu Moralis Philosophia. Eugenia Massa (Hg.) (Turici: In aedibus Thesauri mundi, 1953), 3:122; zitiert in: R. W. Southern: Western Views of Islam in the Middle Ages. Cambridge, Mass. (Harvard University Press) 1962, S. 57.

[15] Sir William Muir: The Mohammedan Controversy and Other Indian Articles. Edinburgh (T. and T. Clark) 1897, S. 2.

[16] Wilfred Cantwell Smith: Islam in Modern History. Princeton, N.J. / Oxford (Princeton University Press / Oxford University Press) 1957, S. 105.

[17] Moderne Forschung hat diese Interpretation erhalten. S. Robert Spencer: Did Muhammad Exist? An Inquiry into Islam's Obscure Origins. Wilmington, Del (ISI Books) 2012.

[18] Norman Daniel: Islam, Europe and Empire. Edinburgh (Edinburgh University Press) 1966, S. 6.

[19] Southern: Western Views of Islam, S. 28.

[20] Richard Chenevix: An Essay upon National Character. London (James Duncan) 1832, Bd. 1, S. 97.

[21] Annemarie Schimmel: And Muhammad Is His Messenger: The Veneration of the Prophet in Islamic Piety. Chapel Hill (The University of North Carolina Press) 1985, S. 3.

[22] Daniel: Islam and the West, S. 107.

[23] Oxford English Dictionary, s.v. "Mahomet" and "Mahometry."

[24] Nachkommen von Hagar, der Magd Abrahams, die ihm Ismael gebar.

[25] Bernard Lewis: Gibbon on Muhammad. Daedalus, Sommer 1976, S. 89.

[26] Bis 1923 lebten auf Kreta Muslime; dann mussten sie unter den Bedingungen des Vertrags von Lausanne in die Türkei umsiedeln.

[27] Southern: Western Views on Islam, S. 2-3.

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