| Guten Morgen,
bis heute Mittag um 12 Uhr hat die Landesregierung in Potsdam nach Checkpoint-Informationen Zeit, sich vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu einer absurden Folge der „Großveranstaltungsverbotsverordnung“ zu äußern – und der Ausgang des „Normenkontrolleilverfahrens“ (sorry für die langen Wörter, wir befinden uns auf dem Boden der Juristerei) kann auch erhebliche Auswirkungen auf Berlin haben.
Im Kern geht es um den smarten Versuch, größere Veranstaltungen wie Konzerte auch mehr als 1000 Fans zugänglich zu machen – und zwar im beliebten „Autokino Berlin“ gleich hinter der Stadtgrenze in Schönefeld, direkt gegenüber dem Flughafen SXF. Für 928 Kraftfahrzeuge ist das Gelände zugelassen, im Juli sollen hier noch Hundeprofi Martin Rütter (23.7.), Alligatoah (24.7.), das DJ-Duo „Gestört aber geil“ (25.7.) und Nena (26.7.) auftreten. Tickets werden pro Auto inklusive zwei Personen angeboten, Karten für die Rücksitze können dazugekauft werden. Somit hätte der Veranstaltungsort eine Kapazität von 3000 Zuschauern – die auf ihrem Platz fixiert und fein voneinander getrennt durch Blech und Autoglas per Stereo-UKW-Kanal die Shows durch ihre Windschutzscheibe verfolgen können (Fenster und Türen müssen geschlossen bleiben). Corona-sicherer ist nur eine Odyssee im Weltraum.
Doch das Landratsamt Dahme-Spreewald besteht auf der maximalen Zahl von 1000 Personen auf dem Gelände – inklusive Mitarbeiter der Veranstalter, Parkwächter, Security, Catering und Künstler-Crew. Da rechnet sich der Aufwand nicht, schon gar nicht bei prominenten Künstlern – oder es müssten astronomisch hohe Eintrittspreise aufgerufen werden. Gestern Mittag verweigerte die Leiterin des Ordnungsamts Dahme-Spreewald dem Veranstalter per Fax ihre Zustimmung, mehr als 1000 Personen in ihren Autos auf den Platz zu lassen – sie zitiert die „GVVV“ (siehe oben) und kommt zu dem Schluss:
„Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass die beschriebenen Autokinoevents Großveranstaltungen im Sinne der Regel sind.“
Im Sinne der Regel? Hm, sollte es nicht der Sinn der Regel sein, Ansteckungen zu vermeiden, nicht aber, auf wiehernden Amtsschimmeln Prinzipien zu reiten? Zumal die Verordnung so oft und so schnell geändert wurde, dass sich selbst ein superschnelles Amt daran ohne Sturzgefahr kaum festhalten kann. Und in einem Auto… (siehe oben). Aber die Amtsleiterin hat sich ihrem Schreiben zufolge auch gleich noch ganz oben abgesichert:
„Meine Rechtsaufassung wird durch den Verordnungsgeber geteilt.“
Puh, einmal durchatmen – und ein kleiner Einschub: Sind Autokino-Konzerte nicht ohnehin genauso fade wie Tagliatelle ohne Nudeln, Tempranillo ohne Trauben oder ein Tauchurlaub in der Badewanne? Also, wer sich einen Moment Zeit nehmen will: Arte hat das Alligatoah-Konzert am 25.4.20 in Düsseldorf aufgezeichnet, für einen Atmosphäre-Eindruck empfehle ich den letzten Song „Willst Du“ ab 2:33:00. Wir haben auch ein paar Künstler nach ihrer Meinung gefragt, hier ihre Antworten:
Alligatoah, Autokino-Pionier, dessen Berliner Konzert kurz vor der Absage steht: „Wir hätten es in diesen schwierigen Zeiten nicht für möglich gehalten, wieder auf einer Bühne zu stehen. Umso mehr freut es uns, bei den Autokinokonzerten unsere Als wieder zu sehen und mit ihnen ein Stück Normalität erleben zu dürfen“.
Nena, deren Konzert auf der Kippe steht: „Es ist auf jeden Fall eine völlig neue Live-Erfahrung für mich und sicher auch für alle, die in die Konzerte kommen. Das hat ja auch fast schon was Historisches. Ich freue mich, wieder auf die Bühne zu gehen und ich werde meinen Humor sicher nicht zu Hause lassen. Wir werden wie immer alles geben und uns gemeinsam mit den Fans eine richtig schöne Zeit machen und aus diesen absurden Umständen etwas Schönes und Abgefahrenes gestalten, das wir alle so schnell nicht vergessen werden“.
Das „Deutsche Symphonie Orchester“, dessen für August geplantes Konzert wegen der unsicheren Lage bereits abgesagt werden musste: „In Zeiten geschlossener Konzerthäuser und Kultureinrichtungen ist das Orchester der Überzeugung, dass das Erlebnis von Live-Musik keinen Luxus, sondern die Befriedigung eines existenziellen menschlichen Bedürfnisses darstellt. In der aktuellen Notlage freier Musiker*innen sowie freier Bühnen- und Tontechniker*-innen, Beleuchter*innen, Stage-Hands und Veranstaltungshelfer*innen sind Formate wie das „Autokino“ für diese außerdem eine der wenigen Möglichkeiten, ihrem Beruf nachzugehen.“
Den Eilantrag hatte der Rechtsanwalt des Veranstalters am Montag eingereicht, das OVG gab dem Land nur wenig Zeit für eine Stellungnahme – möglicherweise der Hinweis auf eine skeptische Haltung des Gerichts gegenüber der Verordnung in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit. In anderen Städten (z.B. Düsseldorf, Stuttgart, Hamburg, Hannover) können Autokino-Konzerte auch mit mehr als 1000 Zuschauern stattfinden – NRW z.B. hat solche Veranstaltungen von der Verbotsverordnung ganz einfach ausgenommen. Dieser direkte Weg zur Bühne steht auch der Landesregierung in Potsdam offen – mit der nächsten GVVVÄ (Ä wie Änderung). Viel Zeit hat sie allerdings nicht: Bleibt Brandenburg stur, werden die Konzerte wohl abgesagt, trotz aller Hygiene-, Schutz- und Abstandsmaßnahmen – und gegen die Interessen von Veranstaltern, Künstlern und Fans. | |