| | | | | 2. Mai 2025 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | in den oft auch nicht guten, aber alten Zeiten haben sich Leserinnen und Leser immer wieder mal, gerne beim Chefredakteur, darüber beschwert, dass âso viel Werbungâ in der Zeitung sei. Die einen beklagten sich darüber, dass ihnen Prospekte entgegenfielen; die andern bemängelten, dass vor lauter BMW, Aldi oder Telekom der Charakter der SZ beeinträchtigt werde. Those were the days, sang Mary Hopkin schon 1968, und meinte damit zwar nicht das Schwinden der Zeitungsanzeigen, sondern das Schwinden der Jugend und der Liebe. Anzeigen in der gedruckten Zeitung gibt es heute nicht mehr viele, was die Profitabilität des Verlagsgeschäfts erheblich beeinträchtigt. Manche Verleger sind offenbar so arme Hunde geworden, dass einer von ihnen jetzt Kulturstaatsminister werden soll, was mutmaÃlich weder der Kultur noch der Regierung Merz dienlich sein wird. Die Werbung ist â wie das Einkaufen, erhebliche Teile der Liebe und des Zeitungswesens â ins Digitale abgewandert. Man merkt dies auch daran, dass einem jede Menge Werbezeugs individuell aufs Mobiltelefon geschossen wird. Das Herausschütteln dieses Werbezeugs ist schwieriger als früher das Herausschütteln der Prospekte, weil der GroÃe Datenteufel, von dem nicht einmal Johannes auf Patmos etwas wusste, immer wieder neues Werbezeugs schickt, auch wenn man das alte löscht. Der Datenteufel sammelt jederzeit alle Daten, die er kriegen kann. Wer diesen Text auf einem digital gefüttertem Gerät liest, füttert auch den Datenteufel. Nichts bleibt spurlos, nichts ist mehr privat. Dieser Tage erhielt ich von einem dieser illegitimen Amazon-Kinder, einem deutschen E-Versand, eine Mail mit einem Angebot, das mich nachdenklich machte. Für 129 Euro hätte man drei Flaschen Wein bekommen, die von Günther Jauch signiert worden sind. Was den Weinhandel als solchen angeht, bin ich skeptisch, nicht weil ich Wein nicht mag, sondern weil ich in meiner ökonomiefeindlichen Verblendung früher â those were the days â dagegen stritt, dass der Verlag, der mich beschäftigte, unter dem Namen der Zeitung, für die ich verantwortlich war, Wein verkaufte. Ich denke bis heute, dass Weinhandel einerseits und literarische Reportagen, entschiedene Kommentare sowie exklusive Nachrichten andererseits ungefähr so viel miteinander zu tun haben wie der FC Bayern und der Suhrkamp-Verlag. Nur weil der eine in der FuÃballwelt ein berühmter Name ist, verkauft er nicht die Bücher von Jürgen Habermas. Um so zu denken, muss man nicht unbedingt ein reaktionärer Schuster-bleib-bei-deinem-Leisten-Mensch sein. Man kann sich auch einfach darum sorgen, dass eine, sagen wir, wesensfremde Aktivität das Wesen des Suhrkamp-Verlags, des FC Bayern oder vielleicht sogar der SZ beeinträchtigt. Nur so als Idee. Nun ist der Verkauf von Wein durch Günther Jauch keine wesensfremde Aktivität. Jauch, den ich von früher kenne, war mal Journalist und wurde dann anderweitig berühmt. Er macht schon lange Werbung, was bedeutet, dass der Betonverband, die Allianz oder eine Online-Apotheke Günther Jauch mieten, damit er sagt, es sei gut, mit Beton zu bauen, eine Lebensversicherung abzuschlieÃen oder eine Karte an ein Lesegerät zu halten (auch Jauch dient dem GroÃen Datenteufel). Das funktioniert, weil Jauch so bekannt ist, dass seine Bekanntschaft auch positiv für das jeweilige Produkt wirkt, wenn man Jauch dafür mietet. Er ist ein netter Mensch, aber ganz und gar nicht billig. Früher war ich darauf manchmal neidisch, weil ich weniger nett bin und mich auch niemand für einen siebenstelligen Betrag mieten wollte. Eigentlich für gar keinen Betrag. Und verweigert hätte ich mich sowieso. Jauch ist auÃer nett, reich und berühmt auch noch Winzer. Er hat vor 15 Jahren ein Weingut an der Saar gekauft, das früher â mein Gott, wie häufig kommt dieses Wort in diesem Text vor â schon mal seiner Familie gehörte. Und von diesem Weingut kann man nun via GroÃem Datenteufel drei signierte Flaschen für 129 Euro kaufen. Was sagt die Signatur? Sie hat keinen Einfluss auf den Geschmack des Weins, so wenig wie etwa diese Kolumne Einfluss auf den Geschmack einer Flasche des sogenannten SZ-Weins hat. Wenn ein Schriftsteller âseinâ Buch signiert, dann kann das für den Sammler oder die Leserin eine eigene Identität dieses Buchs schaffen. Die Signatur macht etwas Besonderes aus dem Massenprodukt, sie hebt es heraus, sie âpersonalisiertâ es. Niemand möchte so sein wie alle anderen. (Die Agenten des GroÃen Datenteufels wollen durch die âPersonalisierungâ von Werbezeugs oder Websites einen ähnlichen Effekt erreichen.) Man könnte sich, kaufte man denn den signierten Wein, in dem Trugschluss wiegen, Günther Jauch habe die Flasche extra für den Käufer signiert. Weil eine handschriftlich gezeichnete Flasche Wein allerdings kein Kunstwerk ist, ist die Signatur nur ein Marketinggag â und spätadornistische Vögel wie ich schreiben auch noch drüber. Andy Warhol, der wie kaum ein anderer in der vordigitalen Welt den individualisierten Massencharakter von Kunst zum Gegenstand seines Tuns machte, war nachgerade der Prophet unseres Zeitalters, in dem so viele massenhafte Individualität in der digitalen Welt anstreben. Eine gedruckte Marilyn, die von Warhol signiert ist, ist ungleich teurer als eine unsignierte Marilyn, selbst wenn die vom selben Druckstock stammt. Die Signatur schafft die Illusion besonderer Authentizität (âdas ist seine Handschrift ...â). Für signierte Weinflaschen allerdings gilt das nicht. | |
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| | | | | | | | | | Von Amazon bis Zensur | | Die Literaturbranche lebt von Ãberzeugungstätern. Sie organisieren sich im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, den es seit genau 200 Jahren gibt. Zum Geburtstag gibt es natürlich: ein Buch. | | | |
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