Liebe/r Leser/in, seit einigen Tagen, und gerade nach der Hamburg-Wahl, diskutiert Deutschland über den Begriff der politischen Mitte: Welche Bevölkerungsgruppe zählt dazu, welche nicht? Wie wählt die Mitte heute? Gehören Robert Habeck und Bodo Ramelow dazu? Was ist mit einem FDP-Kandidaten, der sich mit AfD-Stimmen wählen lässt?
Es gibt eine recht einfache Definition: In der politischen Mitte wohnen Vernunft, Verantwortung und Verlässlichkeit. Wer sich also zur Mitte zählt, kann sein politisches Handeln daran messen. Und schon wird klar, dass es nicht Parteien sind, die eine statische Mitte gepachtet haben, sondern dass es politisches Verhalten ist, das Mitte definiert.
Auch den Soziologen Andreas Reckwitz interessiert die Mitte. Er beschreibt unsere Gesellschaft als eine Gesellschaft der Singularitäten, in der nur das Besondere, nicht das Gewöhnliche zählt. Und in dieser Gesellschaft gibt es eine neue Mittelklasse, die sich durch die Digitalisierung, veränderte Arbeitswelten und die Sehnsucht nach einem besonderen Lifestyle herausgebildet hat, das sogenannte Neobürgertum. Es ist die breite Schicht der Hochqualifizierten: Sie ballt sich in bestimmten Stadtvierteln, kauft im Bio-Supermarkt, fährt dennoch SUV und schickt die Kinder auf bestimmte Schulen. Wahrscheinlich ist es dieses Neobürgertum, das in Hamburg grün gewählt hat.
Das Team CDU, in seinem ideologischen Selbstzerstörungswahn zwischen links (Ramelow wählen) und rechts (mit der AfD gemeinsam wählen), sollte sich mit der Reckwitz’schen These der Neudefinition des Bürgertums beschäftigen. Denn am Ende gewinnt immer der Wähler.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen Start in die Woche. |