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Liebe/r Leser/in,

dass dieser FOCUS ein besonderer ist, haben Sie sicher bereits beim Betrachten des Titelblatts gespürt. Es ist unsere Jubiläumsausgabe, denn am 18. Januar feiert FOCUS seinen 30. Geburtstag.
„Fakten, Fakten, Fakten – und immer an die Leser denken“: Das war vom Start weg der Leitsatz von FOCUS, und er gilt auch heute. Denn Sie, liebe Leserinnen und Leser, stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit. Ich möchte Ihnen deshalb herzlich danken – für Ihre Treue, für Ihr Interesse, für Ihr Lob und Ihre Kritik. Dank Ihnen ist die FOCUS-Familie groß geworden. Wir publizieren heute neben dem Muttermagazin erfolgreiche Zeitschriften wie FOCUS-Money oder FOCUS-Gesundheit und sind mit FOCUS Online eines der reichweitenstärksten Newsportale.

In diesem Jubiläumsheft schauen wir nach vorn (30 Menschen, die die Zukunft bewegen, ab Seite 28), aber auch zurück. Markus Krischer, stellvertretender Chefredakteur und seit 1992 an Bord, erzählt ab Seite 42 die Gründungsgeschichte von FOCUS und erinnert ab Seite 47 an die Werbung der legendären 90er Jahre. Ich wünsche Ihnen viel Lesevergnügen bei dieser Zeitreise.

Zur aktuellen Politik: Ein schwer fassbares Phänomen sind in diesen Tagen die Grünen. Eigentlich verstoßen sie täglich gegen fundamentale Prinzipien ihrer Geschichte und gegen Überzeugungen ihrer Basis: Die einst aus der Friedensbewegung hervorgegangene Partei setzt sich aktuell für Waffenlieferungen bis hin zu Kampfpanzern an die Ukraine ein, allen voran Außenministerin Annalena Baerbock. Damit leisten die Grünen ganz nebenbei einen entscheidenden Beitrag zur Wiederbelebung der deutschen Rüstungsindustrie. 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr – mit den Regierungs-Grünen kein Problem! Oder wer hätte vor einem Jahr geglaubt, dass mit den Grünen eine – wenn auch viel zu knappe – Verlängerung von Atomkraftwerk-Laufzeiten zu machen wäre.
Einen neuen Höhepunkt dieser Elastizität der Grünen bis an den Rand politischer Schizophrenie brachte diese Woche, in der Parteichefin Ricarda Lang 2023 zum „Jahr des Klimaschutzes“ ausrief – zwei Tage bevor die Räumung von Lützerath von Klimaaktivisten und linken Krawallos begann, um dort schon bald Braunkohle ausbaggern zu können.
Kohle, die auch deshalb benötigt wird, weil russisches Erdgas als Brückenenergie ins CO₂-freie Zeitalter ausfällt. So gesehen ist die gut dreimonatige Verlängerung der drei deutschen Atomkraftwerke der bislang wichtigste Beitrag der Ampel zum Klimaschutz im neuen Jahr.

Der grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat übrigens beides ausgehandelt: die verstärkte Nutzung der Kohle und die längeren AKW-Laufzeiten. Seine Parteifreundin Luisa Neubauer wiederum geißelte am Mittwoch allein die große Zahl der Polizisten in Lützerath als „Provokation“, deren Einsatz allerdings der grüne Polizeipräsident von Aachen, Dirk Weinspach, leitet. Und die schwarz-grüne NRW-Landesregierung steht eisern zu den Kohlebaggern von RWE, gegen die die Grüne Jugend protestiert.

Manchem an der Parteibasis mag schwindelig werden von den Wendemanövern. Immerhin verfehlte Deutschland im Jahr 2022 seine Klimaziele wegen des verstärkten Einsatzes von Kohle und Öl.
Umso überraschender ist es, dass die Grünen bislang von ihrer Mitwirkung in der Ampelkoalition deutlich profitieren, während ihre Partner SPD und FDP in Um-fragen und bei Wahlen abstürzen. In zwölf von 16 Bundesländern regieren die Grünen inzwischen mit. Und in einer Umfrage in dieser Woche schoben sie sich wieder vor die Kanzlerpartei SPD.

Ganz offenkundig honorieren die Wähler der Grünen (nicht zu verwechseln mit den Mitgliedern), dass sich die Partei angesichts der Zeitenwende Kompromisse abringt, die nicht zuletzt im Inte­resse der Wirtschaft sind. Dafür sieht man ihnen nach, dass die Energiewende – ein Herzensanliegen der Grünen – weiterhin floppt oder dass sie in der Integrations- und Flüchtlingspolitik noch immer romantischen Idealen folgen. Ihre Regierungsfähigkeit müssen die Grünen auch 43 Jahre nach ihrer Gründung immer wieder neu unter Beweis stellen. Ob das ausreicht, um 2023 in Hessen und Berlin die Regierungschefs zu stellen und 2025 die Bundestagswahl zu gewinnen, ist damit noch lange nicht gesagt.

Am diesem Tag, dem 16. Januar 1993, als der erste FOCUS durch die Druckmaschinen in Offenburg lief, berieten die West-Grünen und die Ost-Grünen von Bündnis 90 über ihren Zusammenschluss, es ist sozusagen die Geburtsstunde der Grünen, wie wir sie heute kennen. Die Grünen sind die erfolgreichste Parteineugründung in der Geschichte der alten Bundesrepublik – wenn man von der unmittelbaren Nachkriegsphase absieht. Das verbindet sie übrigens mit unserem Nachrichtenmagazin FOCUS, dem viele Beobachter im Januar 1993 keine große Zukunft prophezeiten – der sich aber rasch als zweites deutsches Nachrichtenmagazin neben dem „Spiegel“ etabliert hat.

Wir von FOCUS sind in den vergangenen Jahrzehnten keinem Streit mit den Grünen aus dem Weg gegangen, vor allem wenn es um wirtschafts- und energiepolitische Themen geht. Und wir bleiben kritisch. Trotzdem an dieser Stelle: herzlichen Glückwunsch von Geburtstagskind zu Geburtstagskind!

Herzlich Ihr

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Robert Schneider,
Chefredakteur FOCUS-Magazin

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