Vor einem Jahr aber musste die erfolgsverwöhnte Autorin erkennen, dass weltweiter Ruhm nicht immun macht gegen Anfeindungen. Ganz im Gegenteil.
Erstmals im Jahr 2017 geriet J.K. Rowling in die Kritik, als man ihr vorhielt, auf Twitter einen Transgender-feindlichen Tweet gelikt zu haben, in dem Transfrauen als „Männer in Kleidern“ bezeichnet wurden. Im Dezember 2019 der nächste Vorwurf: Sie würde die Forscherin Maya Forstater verteidigen. Das Problem: Forstater sei bekannt dafür, sich zu weigern, Transmenschen mit den korrekten Pronomen anzusprechen. Im Juni dieses Jahres blies Rowling dann der nächste mediale Shitstorm ins Gesicht: Die 55-jährige Harry-Potter-Autorin regte sich in einem Social-Media-Tweet über einen Artikel auf, in dem aus Gründen der Inklusion Frauen „Menschen, die menstruieren“ genannt wurden. Rowling zeigte sich wütend darüber, dass das Geschlecht „als soziales Konstrukt“ dargestellt wird. Wenn Geschlecht nicht real sei, dann sei die gelebte Realität aller Frauen ausgelöscht, so die Argumentation der Schriftstellerin.
Daraufhin krachte eine Welle der Empörung über Joanne K. Rowling zusammen. Potter-Fans riefen zum Boykott ihrer Bücher auf, und auch erst durch die Verfilmungen ihrer Zauber-Romane zu Weltruhm gelangte Darsteller wie Daniel Radcliffe, Emma Watson und Rupert Grint, wandten sich von der Harry-Potter-Schöpferin ab – und zeigten sich solidarisch mit der sogenannten queeren Community. Rowling wehrte sich: „Ich respektiere das Recht jedes Transmenschen, so zu leben, wie er es für authentisch und angenehm hält“, verteidigte sich die aus ihrer Sicht zu Unrecht als transphob gebrandmarkte Autorin. „Ich würde mit Euch protestieren, wenn Ihr dafür diskriminiert werdet, dass Ihr Transgender seid. Gleichzeitig wurde mein Leben davon geformt, dass ich eine Frau bin. Ich glaube nicht, dass es hasserfüllt ist, dies zu sagen.“
Anfang September nun kündigte Rowling die Veröffentlichung ihres neuen Buches an. Und noch bevor das allererste Exemplar im Handel war – und das Publikum überhaupt die erste Zeile zu Gesicht bekam –, brach die Hölle los. Worum geht’s?
In ihrem neuesten Werk mit dem Titel „Troubled Blood“ (in der deutschen Übersetzung „Böses Blut“), das die berühmte Harry-Potter-Autorin unter dem Pseudonym Robert Galbraith veröffentlichte, schlüpft die Hauptfigur – ein Serienkiller – in Frauenkleider, bevor er seine Opfer kalt macht. Was ein wenig nach altbekanntem Thriller-Stoff à la „Das Schweigen der Lämmer“ oder nach einem berühmten Hitchcock-Plot klingt, bringt nun die ohnehin schon aufgewühlte Queer-Gemeinde endgültig zum Ausflippen. Und die Kritik an J.K. Rowling erreicht einen neuen Höhepunkt: Ein Aufschrei hallt durch die sozialen Kanäle, mehr als 300.000 Follower kündigten der Autorin die Gefolgschaft. „Sie ist nicht nur EIN transphober Mensch, sie ist DER transphobe Mensch, das berühmte Gesicht der Anti-Trans-Bewegung“, schreibt eine Userin auf Twitter. Wer kein Problem mit Rowlings Aussagen habe, sei selbst transphob, kommentiert ein anderer User. Schon ist von der „meistgehassten Frau des Internets“ die Rede. Aufrufe, ihre Bücher öffentlich zu verbrennen, machen im Netz die Runde – auf TikTok kann man inzwischen sehen, wie Worten auch Taten folgen. Selbst vor expliziten Todesdrohungen schreckt der wütende Mob inzwischen nicht mehr zurück: „Rest in Peace, J.K. Rowling.“
Willkommen im Jahr 2020.
Ich selbst habe bisher kein einziges Buch von J.K. Rowling gelesen (für Harry-Potter-Romane bin ich vermutlich ohnehin schon zu alt), und ich teile auch nicht jede ihrer Einstellungen zum Thema Transgender oder queere Lebensformen. Wie aber heutzutage immer mehr Menschen mit vermeintlich Andersdenkenden umgehen, ist nur mit einem Wort zu beschreiben: abstoßend. Shitstorm statt Debattenkultur, Hassbotschaften statt Verständigung.
Die mediale Hexenverbrennung der einstmals gefeierten Wunderschriftstellerin ist aber nur ein Beispiel für die zunehmende Radikalisierung öffentlich geführter Auseinandersetzungen. Ob Flüchtlingsdebatte, Black-Lives-Matter-Bewegung, oder aktuell die Corona-Diskussion: Die Lager stehen sich inzwischen feindseliger und unversöhnlicher gegenüber denn je.
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