| Liebe Leserinnen und Leser, |
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neulich kam beim Abendessen die Frage auf, was eine „Synekdoche“ sei. Denken Sie jetzt aber bitte nicht, wir hätten keine anderen Gesprächsthemen. Auf den Begriff war meine ältere Tochter in einem Vorbereitungsheft zum Deutschabitur gestoßen. Mit der dortigen Erklärung konnten aber weder sie noch ich etwas anfangen. Also schauten wir nach und fanden, dass ganz verschiedene Arten, einen Begriff durch einen naheliegenden anderen zu ersetzen, Synekdochen sind. „Bruttosozialprodukt pro Kopf“ – ein Teil, der Kopf, steht für das Ganze, den Bürger. „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – das Besondere, Brot, steht für das Allgemeine, Nahrung. „Der Autor des ‚Faust‘ wurde 1749 in Frankfurt geboren“ – das Spätere steht für das Frühere, denn als Goethe geboren wurde, war er natürlich noch kein Autor. | Jürgen Kaube | Herausgeber. | |
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| „Siegfried Unseld, der legendäre Suhrkamp-Verleger“, meldet synekdochisch die „Zeit“, „war Mitglied der NSDAP.“ 1942 war Unseld im Alter von siebzehn Jahren der Partei Adolf Hitlers beigetreten. Das hat der Historiker Thomas Gruber herausgefunden. Zum Zeitpunkt seines Parteieintritts war Unseld noch nicht Verleger des Suhrkamp Verlags und nicht einmal erwachsen, sondern Abiturient und Sohn eines SA-Obersturmführers und einer Mutter, die sich in der NS-Frauenschaft engagierte. „Zeit“-Redakteur Alexander Cammann will daraus einen „Fall Unseld“ machen. Wäre ja noch mal schöner, eine NSDAP-Mitgliedschaft, aus der sich keine Pointe gewinnen lässt. Der Siebzehnjährige gibt sie nicht her. Aber wie ist es mit dem „lebenslangen Beschweigen“ des frühen Fehltritts? Ob Unseld ihn beschwiegen hat, weiß Cammann allerdings nicht. Er weiß nur, dass Unseld über seine Mitgliedschaft nicht öffentlich geredet hat. Doch auch das genügt ihm nicht. „Verschweigen, verdrängen, vergessen“, schreibt er und fügt an, „was genau davon zu welchen Anteilen“ auf Unseld zutreffe, müsse jetzt diskutiert werden. Nun ist Psychoanalyse – hat Unseld verdrängt? – bei Verstorbenen noch schwieriger als bei Lebenden. Ob er die NSDAP-Mitgliedschaft vergessen haben kann, ist wiederum eine Frage, die sich anteilsmäßig nicht beantworten lässt: Ein wenig oder zu einem Drittel vergessen kann man so etwas ja nicht. Bleibt das Schweigen. *** Unsere Empfehlungen dieser Woche: Was ist öffentliches Schweigen? Andreas Platthaus über die vermeintliche Enthüllung von Siegfried Unselds Mitgliedschaft in der NSDAP „Ein brutaler Prozess“: Wie die Berliner Sparvorgaben ein Erzählprogramm für Kinder und die Zentral- und Landesbibliothek treffen Unser neues Literaturrätsel dreht sich um die fatalen Folgen des Romanelesens, um das Büchermachen und um Bibliotheken. *** Dennoch fährt Cammann fort, Unseld habe verdrängt. Zugleich soll sich aber die Energie seiner unermüdlichen Arbeit für Suhrkamp, der wie kein anderes Haus jüdische Autoren und Traditionen pflegte und 1990 den Jüdischen Verlag als Tochter integrierte, „aus einer Art geheimem Schuldmotor“ gespeist haben. Was denn nun, verdrängt, vergessen oder von Schuld angetrieben? Als reichte das falsche Pathos noch nicht, wird zusätzlich angeboten, die Energie verdanke sich „vielleicht auch“ dem schon unter Hitler entwickelten Leistungsfanatismus. Den Brei an Vermutungen, der hier angerührt wird, sollen jetzt Zeitzeugen und Freunde Unselds klären helfen und sagen, ob Unseld denn je über 1942 geredet habe. Das ist eine Frage, die beantwortet sein müsste, bevor von Beschweigen gesprochen werden kann. Der Redaktionsschluss kam dem Versuch zuvor, sie zu stellen und auf die Antwort zu warten. Vergessen kommt nicht in Betracht. Verdrängen kaum, wenn von einem „Schuldmotor“ die Rede sein soll. Es ist also gar nichts mit der gespielten Sorge, das vermutete Schweigen Unselds sei eine „das Selbstverständnis des Landes verstörende Erkenntnis“. Dafür, dass der Redakteur sein Nichtwissen mit Pathos aufblasen kann, muss gleich das ganze Land verstört sein, obzwar dunkel bleibt, worüber. Moral: Vor undurchdachtem Gebrauch der Synekdoche wird gewarnt. Man fällt sonst leicht auf die eigene Rhetorik herein. Freundliche Grüße Ihr Jürgen Kaube Unter den richtigen Einsendungen zum Literaturrätsel aus dem März haben wir ein Exemplar von Christian Krachts neuem Roman „Air“ verlost. Das richtige Lösungswort war FIKTION, die Einzelschritte zur Lösung lassen sich wie immer nach Ende der Einsendefrist direkt im Literaturrätsel finden. Gewonnen hat Antje W. aus Augsburg. Wir gratulieren und wünschen eine anregende Lektüre – und allen Rätselfreunden viel Vergnügen mit der frisch veröffentlichten neuen Folge.
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| | | Der Abschnitt des Koalitionsvertrags von Union und SPD zur Kultur steckt voller Phrasen. Die Langeweile rührt von der Ahnungslosigkeit und mangelnden Kreativität der politischen Protagonisten. |
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| | | Siegfried Unseld, die bedeutendste Verlegerpersönlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte, war von 1942 an Mitglied der NSDAP. Was bedeutet das? |
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| | | Um die fatalen Folgen des Romanelesens, um das Büchermachen und um Bibliotheken dreht sich das Literaturrätsel im April 2025. Setzen Sie aus Einzelbuchstaben von sechs Antworten das Lösungswort zusammen und gewinnen Sie mit etwas Glück ein Buch! |
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| | | Wie aus Trauer die Erkenntnis steigt: Ein Gespräch mit dem Übersetzer Hannes Langendörfer über Daniel Pedersens Buch „Offenes Wasser“ |
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| | | Das hanseatische Oberlandesgericht bleibt seiner Linie treu: Der Roman „Innerstädtischer Tod“ von Christoph Peters verletzt nicht die Persönlichkeitsrechte eines Berliner Galeristenpaars und bleibt deshalb weiter im Handel. |
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Sie eint die Ablehnung des Überfalls auf die Ukraine: Exilverlage und Autoren aus aller Welt versammeln sich bei der russischen Buchmesse in Berlin. |
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Gebrauchte Bücher sind wesentlich günstiger geworden. Auch weil sich Verkäufer im Internet oft nicht mehr viel Mühe mit der Beschreibung ihrer Ware geben. Manchmal fragt man sich, ob die Händler ihr Angebot je gesehen haben. |
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Erst sollte in der Berliner Kultur proportional gespart werden, dann wurde gestrichen. Einem Erzählprogramm für Kinder wurden sechs Wochen Zeit für die Abwechslung beschieden. 2026 soll es noch dicker kommen. |
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Der erste und letzte Zeuge wahrer Empfindung: Der dreiundachtzigjährige Peter Handke erinnert in einem langen Gespräch an die lebensbejahende Kraft der Traurigkeit. |
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Ein Erfolgsautor findet keine heile Welt: Das Charles-Dickens-Museum feiert seinen 100. Geburtstag und zieht Bilanz. |
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Martin Pollack hat aus der radikalen Selbstbefragung eine literarische Tugend gemacht und seinen Lesern Ostmitteleuropa erklärt: Berliner Gedenkstunde für einen bemerkenswerten Schriftsteller und Übersetzer. |
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Vom Glück der Nische: Andreas Neuenkirchen erzählt die Geschichte des Karaoke – zu der neben Stundenhotels und Kakerlaken auch Morde und Bruce Springsteen gehören. |
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Das Debüt des jungen norwegischen Autors Oliver Lovrenski ist mehr als bloß ein Roman über eine harte Jugend. Den Sound des HipHop und das Straßen-Esperanto durchzieht eine verblüffend poetische Linie. |
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Eine auf der Basis geduldiger Lektüre durchgeführte Kartierungs- und Aufräumarbeit: Dieter Thomä nimmt es mit einer Vorsilbe auf und sieht sich auf drei Großbaustellen des Postbetriebs näher um. |
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Eine Neuausgabe und eine Fortsetzung: Was Nenad Veličković im Roman „Nachtgäste“ und Miljenko Jergović im Erzählungsband „Das verrückte Herz“ vom Bosnienkrieg erzählen. |
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Seine Geschichte heißt „Knirsch“, aber es gibt keinen Grund für Joris Bas Backer, über diesen Vorabdruck in „Glitter“ zerknirscht zu sein. Er macht Lust auf die queere Graphic Novel „Falsch gestorben“, die noch in diesem Jahr erscheinen soll. |
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Noemi Vola stellt in ihren Büchern oft die kleinen Dinge in den Vordergrund. Nun sind zwei ihrer Werke auf Deutsch erschienen. Sie zeigen, dass Tränen und Regenwürmer, aber auch Filzstifte zu Unrecht als etwas unfein gelten. |
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Elin Hanssons Jugendroman schildert die Rückkehr eines schwulen Musikers in das norwegische Dorf seiner Kindheit. „Zweiklang“ besticht durch seine Schauplätze, Charaktere und Begleitmelodien. |
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Miguel Tanco illustriert das Thema Leidenschaft an einem ungewöhnlichen Beispiel: der Mathematik. |
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