Herzlichen Glückwunsch, Grundgesetz!
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Tägliche Post vom Chefredakteur

Stimme
des Westens

Michael Bröcker

27. April 2019

Liebe Frau Do,

eine große Verfassung muss kurz und dunkel sein, sagen die Juristen nach einem Zitat, das Napoleon Bonaparte zugesprochen wird. Und sie meinen damit, dass ein solcher Text, um für alle Zeiten gültig zu sein, in seinen Grundzügen klar und knapp sein muss, aber auch ausreichend flexibel in ihrer Ausgestaltung. Denn die Verfassung soll nicht das Klein-Klein im Alltag einer Gesellschaft regeln, sondern das große Ganze. Unser Grundgesetz, das von klugen Frauen und Männern im Auftrag der Besatzungsmächte erarbeitet und am 23. Mai vor 70 Jahren verkündet wurde, ist ein Musterbeispiel für eine freiheitliche und demokratische Ordnung. Das Grundgesetz ist modern und zeitlos aktuell in seinen Grundrechten, fast poetisch in seiner Präambel, anspruchsvoll in der Ambivalenz, etwa wenn es die Trennung von Kirche und Staat betont, aber das Grundgesetz „in Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott“ sieht. Der Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ist ein so schönes wie klares Bekenntnis zur Menschlichkeit. Das Grundgesetz ist ein flammendes Plädoyer für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, aber es betont die Grenzen durch die Rechte anderer oder die Verpflichtungen für das Gemeinwohl. Das Grundgesetz ist die geschriebene Ordnung für den Nationalstaat, betont aber die europäische Einigung als Ziel. Welch eine schöpferische Kraft die Mütter und Väter des Textes hatten.

Wir sahen in der Redaktion jedenfalls gute Gründe, dem Grundgesetz anlässlich seines Geburtstages acht Sonderseiten in der Zeitung zu widmen. Mit spannenden und interessanten Beiträgen, wie ich finde. So gibt der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio im Interview seine ganz eigene Liebeserklärung an das Grundgesetz ab. Der Rechtsphilosoph Horst Dreier analysiert in einem Gastbeitrag, wie wehrhaft das Grundgesetz in Fragen der Religion ist. Frank Vollmer erklärt, welche Rolle die vier Mütter des Grundgesetzes gespielt haben, und Henning Rasche analysiert, was es mit dem „Volke“ auf sich hat, von dem die Staatsgewalt ausgeht, und warum es einen neuen Patriotismus braucht. Und wenn Sie ihr eigenes Wissen rund um unsere Verfassung testen wollen, können Sie sich an unserem Quiz versuchen.

Herzlichst,

Ihr

Michael Bröcker

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