Wer hätte nach dem äußerst starken ersten Quartal gedacht, dass die Edelmetalle all ihre Gewinne bis zur Jahreshälfte wieder abgeben und den Juli mit neuen Tiefständen beginnen würden? Gold und Silber notieren derzeit mit unter 1080 bzw. 14,20 Euro pro Unze auf dem niedrigsten Stand seit April 2016. Damals hielten die meisten den Brexit noch für äußerst unwahrscheinlich und Donald Trump sogar für völlig unmöglich – und das nicht nur als skurrile Figur im Reality-TV sondern erst recht als möglichen Präsident der Vereinigten Staaten. Wie kommt es also, dass die Edelmetallkurse diese und diverse weitere unkalkulierbare Risikofaktoren nicht gebührend widerspiegeln? Sollten denn nicht Gold und Silber als eine Art „Fieberthermometer“ für solche offensichtlichen „Immunschwächen“ des gefährlich überschuldeten Weltwirtschaftssystems fungieren? Mal ganz zu schweigen von der immer noch extrem lockeren Geldpolitik der Zentralbanken, die allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres Assets im Gegenwert von über einer Billionen Dollar aufgekauft haben. Müsste diese frische, aus dem Nichts geschaffene Liquidität nicht für zusätzliche Nachfrage nach Gold und Silber sorgen? Meiner Meinung nach gibt es zwei Hauptfaktoren für diese widersprüchliche Entwicklung: Erstens wirken die Niedrigzinsen und Kaufprogramme von EZB & Co. im Gegensatz zu früheren geldpolitischen Exzessen heute sehr gezielt auf die deflationsgefährdeten Märkte und verursachen dabei (bisher) weniger Inflation im herkömmlichen Sinne (steigende Verbraucherpreise) als in der Vergangenheit. Die sinkenden Zinsen haben vor allem die grenzbelasteten Schuldner dieser Welt - von Staaten über Banken und Unternehmen bis zu den Verbrauchern - für einige Jahre vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt und damit im Wesentlichen sinkende Preise verhindert. Die erhofften Wachstumsimpulse blieben weiterstgehend aus und damit auch die für frühere Niedrigzinsphasen typische Spirale aus höheren Gewinnen, mehr Beschäftigung, besseren Löhnen, anziehender Nachfrage und steigenden Preisen. Paradoxerweise haben die Kaufprogramme der Zentralbanken bis dato sogar in gewisser Hinsicht einen negativen Einfluss auf die Edelmetallkurse gehabt. Die Kurse der erworbenen Staats- und Unternehmensanleihen und Aktien wurden künstlich vor einem Einbruch bewahrt und in die Höhe getrieben, wodurch die Verzinsung entsprechend niedriger wurde. Die Märkte haben sich extrem schnell an diese neue „Marktgesetzmäßigkeit“ gewöhnt, ihr Verhalten entsprechend angepasst und fahren zumindest bisher recht erfolgreich im „risikolosen Windschatten“ mit. Drastisch ausgedrückt wurde das Ausfallrisiko ganzer Anlageklassen und damit eines der Haupt-Kaufargumente für die ausfallgeschützten Edelmetalle einfach aus der Gleichung gestrichen. Der zweite Faktor liegt in dem fehlerhaften Preisfindungsmechanismus an den Terminbörsen in London und New York. Gold und Silber sind von Natur aus knapp, das ist ein, wenn nicht sogar der wesentliche Grund für ihre hohe Werthaltigkeit. Die an den Börsen gehandelten Papieransprüche jedoch sind nicht knapp und haben mittlerweile fast vollständig den Bezug zu den tatsächlich verfügbaren Beständen verloren. Der „Flashcrash“ vom 26.06., bei dem ohne erkennbaren Grund in wenigen Sekunden Gold-Verträge im Wert von 2 Milliarden Dollar auf den Markt geworfen wurden, ist nur eines von unzähligen Beispielen für diese absurden, spekulativen Auswüchse. In der Folge jedenfalls fiel der Goldpreis unter die wichtige Marke von 1250 US Dollar und geriet aus einem Aufwärts- in einen Abwärtstrend. Vielleicht wage ich mich noch einmal in einem späteren Thema an die schwierige Aufgabe, diesen Preisfindungsmechanismus und dessen Schwächen genauer zu erläutern. Fürs erste reicht es festzuhalten, dass diese Art von Buchgoldhandel bis auf sehr wenige Ausnahmen unzureichend durch physische Lagerbestände gedeckt ist und ein Großteil der Kontrakte in Cash und nicht in Gold beglichen werden. Dieser Markt unterliegt naturgemäß völlig anderen Gesetzmäßigkeiten als ein rein physischer Handel, ist sehr viel anfälliger für Spekulationen und Manipulationen wie die vergangener Woche und verunsichert verständlicherweise die physischen Investoren. Wenn die gezielte Geldschöpfung also bisher alle Anlageklassen außer den Edelmetallen befördert und gleichzeitig der Preisfindungsmechanismus eine faire Bewertung des physischen Angebots verhindert, warum sollte man dann überhaupt noch in Gold und Silber investieren? Ganz einfach: Beide Faktoren werden nur für eine begrenzte Zeit wirken können, da sie sich gegen die Kräfte des freien Marktes richten. Wie bei einer gespannten Feder bedarf es im Zeitverlauf immer mehr Anstrengung, um der natürlichen Gegenkraft standzuhalten. Je länger diese Marktverzerrungen am Laufen gehalten werden, desto schmerzhafter werden die unausweichlich folgenden Anpassungsprozesse. Entweder die unterdrückten Kredit-Ausfall-Risiken brechen eines Tages durch und reißen das gesamte Finanzsystem in die nächste, noch größere Krise, oder die Asset-Preisinflation bahnt sich ihren Weg in alle anderen Lebensbereiche und entwertet Schulden und Guthaben gleichermaßen. Beides führt erfahrungsgemäß zu starker Nachfrage nach Edelmetallen, welche wiederum auch die Preise zwangsweise den physischen Realitäten anpassen wird. Ihr Sönke Mißfeld |