Daniel Pipes

Hören Tyrannen auf ihre Lakaien? Ein Blick auf Putin und Saddam

von Daniel Pipes
Washington Times
23. Mai 2022

https://de.danielpipes.org/21219/hoeren-tyrannen-auf-ihre-lakaien-ein-blick-auf

Englischer Originaltext: Do Tyrants Heed Their Minions? A Look at Putin and Saddam
Übersetzung: H.Eiteneier

Drei Tage bevor Russlands Präsident Wladimir Putin den Einmarsch in die Ukraine befahl, versammelte er seine höchsten Sicherheitsmitarbeiter zu einer im Fernsehen ausgestrahlten Scharade. Dabei fragte er jeden reihum, ob er seinem Plan zustimmt zwei Gebiete der östlichen Ukraine als unabhängige Staaten anzuerkennen. Sich windend und manchmal umhertastend beugten sie sich pflichtbewusst dem Willen ihres Herrn.

Putin met with his security council on February 21, 2022.

Aber es muss nicht immer so sein, wenn ein absoluter, brutaler Diktator seine Berater trifft, um ein wichtiges Thema zu besprechen, besonders wenn die Konferenz im Privaten stattfindet. In einem solchen Fall könnten sie vielleicht offen reden und Einfluss auf seine Entscheidung nehmen.

Wir wissen das, weil es seltene, wenn nicht einzigartige Aufnahmen einer solchen Begegnung gibt. Sie ereignete sich im Juli 1986 in Bagdad unter dem Patronat des irakischen Machthabers Saddam Hussein. Amatzia Baram und Ban al-Maliki erzählen es in einem aktuellen Artikel im Journal of the Middle East and Africa. "Die Macht der Wahrheit: Säkulare Ideologie versus islamische Realpolitik – ein heftiger Streit in Saddams Irak." Kein Nahost-Regime, vermerken sie, "hinterließ uns ein solch detailliertes und lebendiges Dokument einer grundlegenden Diskussion im Herzen eines herrschenden Regimes zu einem so entscheidenden Thema."

And diesem Punkt in Saddams Herrschaft, erklären die Autoren, "konnten Diskussionen [in] der Führung manchmal immer noch fast frei geführt werden." Als Ergebnis "konnten ranghohe Parteimitglieder hinter verschlossenen Türen immer noch die Wahrheit aussprechen". Die Diskussion illustriert, wie Baram und Maliki schreiben, "die Spannungen zwischen Ideologie und Praxis in einem ideologisch orientierten diktatorischen Regime und den überraschenden Grad an freier Meinungsäußerung".

Saddam Hussein presiding over a meeting (this one on Nov. 14, 2002).

Es ging um etwas Grundsätzliches. Die Ba'ath-Partei, in deren Namen Saddam herrschte, bestand auf Säkularismus im öffentlichen Leben. Bis 1986 hatte der Islamismus so breite Unterstützung gewonnen, dass Saddam eine große Dringlichkeit empfand dieser Herausforderung mit dem Beginn eines Dialogs mit der Muslimbruderschaft (MB) in Ägypten und dem Sudan zu begegnen. Er berief ein 90-minütiges Treffen seiner Berater ein, um diese Veränderung zu bestätigen. Die Anwesenheit eines betagten Michel Aflaq, eines christlichen Mitgründers der Ba'ath-Partei, machte die Diskussion etwas heikel. Aflaq, der nominell Macht und echtes Prestige besaß, wollte natürlich, dass der Säkularismus weiter dominant bleibt.

Der dramatische Höhepunkt der Veranstaltung kam, nachdem Saddam seine vorgeschlagene Initiative zur MB erklärte hatte. An diesem Punkt schaltete sich Tariq Aziz, sein christlicher Außenminister, in die Diskussion ein. Aziz hörte Argumente, die Saddam zustimmten, war sich aber nicht bewusst, dass Saddam selbst die Idee des Dialogs zuvor aufgebracht hatte. Also griff Aziz unbekümmert ein und widmete eine 14-minütige Tirade der Argumentation gegen eine solche Veränderung. Er setzte sogar die ultimative rhetorische Waffe ein, indem er Saddams Worte zitierte, um gegen eine Übereinkunft zu eifern: "Der Genosse Saddam hatte früher deutlich geredet..."

Die Autoren berichten:

Bis auf eine kurze, vier Sekunden dauernde Unterbrechung, sagte niemand ein Wort, als er fortfuhr. Die Teilnehmer waren ungläubig und vor Angst erstarrt, weil sie begriffen haben mussten, dass Aziz nicht wusste, dass er den Boss attackierte. Sie waren sich auch Saddams feingeschliffenen Sinns für Humor bewusst: In einem solchen Forum gegen ihn zu opponieren war, gelinde gesagt, riskant. ... Aziz hätte leicht einen gefährlichen Fehler gemacht haben können. Wie weit würde er gehen?

Bemerkenswerterweise reagierte Saddam auf diese Meinungsverschiedenheit nicht damit Aziz auf der Stelle zu erschießen, sondern er gab ihm und seinen beiden Verbündeten (einer davon war Aflaq) nach. So erklären Baram und Maliki: "Schließlich zwangen die drei Oppositionellen Saddam zu einem Kompromiss. ... Durch Aziz' Angriff gegen seinen Vorschlag erkannte Saddam, dass die Diskussion in eine möglicherweise gefährliche Phase eingetreten war. Er begriff, dass, sollte er nicht schnell handeln, seine Genossen den Verdacht haben könnten, dass er dabei war die Kernprinzipien der Ba'ath zu verlassen." Verblüfft änderte er seinen früheren Vorschlag, kam seinen Kritikern entgegen und stufte den Dialog mit der MB herab.

Heitere Monster: Saddam Hussein (links) und Michel Aflaq 1979.

Drei Jahre darauf, als die MB im Sudan an die Macht kam, unterstützte Saddam sie, was sein Zugeständnis von 1986 zu einem kurzlebigen machte. Dass seine Untergebenen so viel Einfluss auf ihn ausübten, wie sie das machten, zeigt, dass ein Despot manchmal auf seine Berater hört. Die Aufnahmen offenbaren einen Saddam, "der von der weitverbreiteten Wahrnehmung eines nicht herauszufordernden Tyrannen abweicht, der nicht in der Lage ist Widerspruch zu dulden und seine Entscheidungen willkürlich und eigenmächtig trifft".

Wieder zurück in der Gegenwart könnte Putins im Fernsehen übertragenes Versatzstück eine ähnlich aufrichtige Diskussion im Privaten zur Ukraine-Politik vorausgegangen sein. Wir wissen nicht, ob er so isoliert und launenhaft ist, wie er wirkt. Putin könnte einfach nur der Rudelführer sein.

Daniel Pipes (DanielPipes.org, @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
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